Beispiel Borussia Wie das Zusammenspiel von Klubs und Verbänden hinhaut

Mönchengladbach · Borussia kassierte während der EM über zwei Millionen Euro für die Abstellung der Nationalspieler, musste dafür aber auch lange auf die Spieler verzichten. Dabei sind die Klubs und Verbände mehr als Vermieter und Mieter. Das weiß auch Gladbachs Manager Max Eberl.

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Borussias Debütanten im DFB-Team

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Foto: dpa/Marco Steinbrenner

Einen Nationalspieler zu mieten, kostete im Juni dieses Jahres 7231 Euro pro Tag. Verfügbar waren die Profis allerdings nicht im Online-Handel oder im Geschäft und auch längst nicht für jeden, sondern lediglich für Nationalmannschaften, die an der Europameisterschaft teilnahmen. Schon lange ist es Usus, dass die Vereine entschädigt werden für die Abstellung ihrer Spieler. Die Summen sind stetig gestiegen, für Borussia Mönchengladbach kamen bei der EM im Sommer deutlich mehr als zwei Millionen Euro zusammen.

Geschäftsmodell Nationalspieler abstellen? Wohl kaum, denn zehn Spieler waren für insgesamt 321 Tage unterwegs. Aufgrund ihrer Urlaube standen die Profis dem neuen Gladbach-Trainer Adi Hütter erst im letzten Testspiel der Vorbereitung zur Verfügung.

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Die Beziehung von Klub- und Nationalmannschaften ist bei genauerer Betrachtung ein sehr spezielles Konstrukt, dessen Erhalt einiger Diplomatie und zahlreicher Agreements bedarf. Gerade wäre eine komplette Gladbach-Elf von unterwegs, wenn die Schweizer Nico Elvedi und Breel Embolo sich nicht verletzt hätten. Trainer Hütter dürfte das eine oder andere Mal vor dem Fernseher sitzen, besonders die Schweiz, in der mit Yann Sommer und Denis Zakaria immer noch zwei Borussia-Stammspieler eine zentrale Rolle bekleiden, hat mit dem vorentscheidenden WM-Qualispiel am Freitag in Italien eine hochinteressante Aufgabe vor der Brust.

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Die Heimatklubs der Borussia-Profis

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Foto: Dirk Päffgen

Jeder Trainer kann da glücklich sein, dass er zwei Daumen zum Drücken hat: einen für den sportlichen Erfolg seiner Nationalspieler, einen für ihre Gesundheit. Manchmal nützt all das Bangen jedoch nichts: Anfang Juli, am Abend vor seinem ersten Training in Gladbach, sah Hütter im TV, wie Embolo im EM-Viertelfinale der Schweiz eine schwere Muskelverletzung erlitt. Erst zweieinhalb Monate später feierte der Stürmer sein Debüt unter Hütter, sieben Wochen später ist er nun wieder außer Gefecht. Zwischendurch war Embolo bei zwei WM-Quali-Siegen der Schweiz ihr Bester gewesen, bekam keine Verschnaufpause - weder die Eidgenossen noch die Gladbacher konnten auf seine Qualitäten verzichten.

Schon im Sommer 2020 hatte sich Embolo auf einer Länderspielreise verletzt, kurioserweise im Zweikampf mit seinem Gladbacher Mannschaftskollegen Matthias Ginter gegen die deutsche Nationalmannschaft. Jonas Hofmann kam später im Jahr mit einer Muskelverletzung vom DFB-Team zurück, im März 2021 wurde er positiv auf Corona getestet und eine Verletzung aus der EM-Vorbereitung beschäftigte ihn noch nach dem Sommerurlaub in Gladbach. Ähnliche Bulletins kann fast jeder Top-Klub aufzählen.

Kein Wunder, dass Ramy Bensebainis Reise zur algerischen Nationalmannschaft zuletzt für eine Posse sorgte, die in dieser Form selten geworden ist. Bensebaini hatte sich in der Länderspielpause zuvor in Algerien verletzt und Gladbach seitdem nicht zur Verfügung gestanden. Dennoch verlangten die Algerier Anfang Oktober, dass Bensebaini anreisen möge. „Der Verband hat sich sehr stur und wortkarg gegeben und gesagt, dass er kommen muss. Am langen Ende hat der Verein keine Handhabe, ich muss die Spieler abstellen, wenn sie einberufen werden“, erklärte Borussias Manager Max Eberl und betonte: „Wir als Verein sind der Arbeitgeber. Die Verbände nutzen unseren Spieler, was am langen Ende auch berechtigt ist.“

Dennoch mutiert das Thema immer mal wieder zu einem Minenfeld. Unvergessen sind die Streitereien des FC Bayern und des niederländischen Verbandes um Arjen Robben, der 2010 nach der WM verletzt ausfiel. „Wenn ich ein Auto miete, muss ich das ja auch in ordentlichem Zustand zurückgeben“, sagte der damalige Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge: „Man hat uns, wenn ich das mal so sagen darf, Arjen Robben enteignet und dann demoliert wieder in die Garage gestellt.“

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Foto: dpa/Swen Pförtner

Es ist nach wie vor so, dass sich der Vereinsfußball zuerst am Länderspiel-Kalender orientiert. In der Saison 2022/2023 führt das aufgrund der Spätherbst-WM in Katar zu einem Spielplan, wie es ihn noch nie gegeben hat. Im Juli beginnt bereits die Saison, nachdem es im Juni noch eine Abstellungsperiode für die Uefa Nations League gegeben haben wird. Nach dem 13. November und dem 15. Spieltag pausiert dann die Bundesliga und nimmt den Spielbetrieb erst am 20. Januar wieder auf. „Wie man politisch zu der WM steht, lasse ich mal außen vor“, sagt Max Eberl. „Aber kalendarisch hat man das Thema Katar meiner Meinung nach gut gelöst. Die nationalen und internationalen Verbände haben das Beste draus gemacht und einen Kalender gefunden, der natürlich intensiv, aber machbar ist.“ Durch die Winterpause nach dem WM-Finale sehe er genügend Gelegenheit, um den Nationalspielern eine Pause zu geben.

Überhaupt ist scharfe Kritik, wie Eberl sie jüngst am algerischen Verband übte, eher selten. Gefragt, ob er beim Zusammenspiel von Klub- und Nationalmannschaftsfußball Reformbedarf sehe, gibt sich der Manager diplomatisch: „Früher waren die Länderspiele oft mittwochs zwischen zwei Bundesligaspielen. Ich finde, dass man da schon einen Schritt nach vorne gemacht hat.“ Neu zu bewerten sei das Thema höchstens, falls die WM künftig wirklich im Zwei-Jahres-Rhythmus stattfinde.

Insgesamt loben die Verantwortlichen in Gladbach häufig die Kommunikation mit den Nationaltrainern. „Ich erinnere mich daran, dass wir mal mit Joachim Löw gesprochen haben, als Matthias Ginter sehr viele Spiele gemacht hatte“, sagt Eberl. „Da wurde das erste Spiel dann weggelassen.“ Eine bittere Pille wird Borussia dennoch im Januar schlucken müssen, wenn Bensebaini mit Algerien am Afrika-Cup teilnimmt. Teenager Joe Scally könnte sich zudem in einer Mini-Länderspielpause auf Reisen mit den USA begeben. In Nord- und Mittelamerika müssen die Teams mindestens 14 Spiele auf dem Weg nach Katar absolvieren, Kanada mit Bayern-Star Alphonso Davies sogar 20.

Gleichzeitig bleibt es ein Geben und Nehmen: Unterm Strich können die Vereine ja auch enorm profitieren – wenn ein Profi nicht nur unverletzt zurückkommt, sondern mit mehr Selbstvertrauen und vielleicht einem höheren Marktwert. Embolo erzielte im Oktober seinen ersten Doppelpack für die Schweiz, war der gefeierte Mann, mit Gladbach kann er sich diese Saison nicht international präsentieren. Bei genauem Hinsehen trägt das Geflecht aus Vereins- und Verbandsfußball seltsame Züge. Summen wie die EM-Miete von 7231 Euro pro Tag spielen da nur eine untergeordnete Rolle.

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