TV-Nachlese zu „Illner“ „Das ist ja nicht das Privatproblem der Ukraine“

Berlin · Deutsche Geschichte, ukrainische Korruption und das große Trauma von Friedrich Merz: Das kommt dabei heraus, wenn Maybrit Illner in der gleichnamigen ZDF-Talkshow über die Ukraine diskutieren lässt.

 Die Talkrunde bei „Maybrit Illner“ am 19.05.2022.

Die Talkrunde bei „Maybrit Illner“ am 19.05.2022.

Foto: ZDF

Am Donnerstagabend ging es bei „Maybrit Illner“ um das Thema „Krieg in der Ukraine – was will der Westen erreichen?“.

Die Gäste:

  • Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin
  • Gregor Gysi (Linke), Bundestagsabgeordneter
  • Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Bundestagsabgeordnete
  • Gustav Gressel, Militär- und Sicherheitsexperte vom European Council on Foreign Relations
  • Yevgenia Belorusets, Fotografin und Autorin aus Kiew
  • Markus Feldenkirchen, Autor

Darum ging’s:

Um Waffenlieferungen, die Verteidigungsministerin und um einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine.

Der Talkverlauf:

Am Anfang der Talkrunde fragt Moderatorin Maybrit Illner, wie einig der Westen angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine sei. Bald geht es aber eher um Uneinigkeit unter deutschen Politikern. An den Linken-Politiker Gysi wendet Illner sich, weil jener sich gegen Waffenlieferungen aus Deutschland ausspricht. Um seine Beweggründe zu erläutern, beginnt Gysi mit seinem Geburtsjahrgang – 1948. Er habe als Kind und auch noch später die „Folgen des schlimmsten Kriegs der Menschheitsgeschichte“ zu spüren bekommen, und jener Krieg sei von Deutschland ausgegangen. Deshalb sei er der Überzeugung, dass Deutschland nie wieder an Kriegen Gewinn machen solle.

Inzwischen sei Deutschland aber der fünftgrößte Waffenexporteur der Welt. „Das heißt, egal ob ein Krieg in Libyen stattfindet, in Syrien, im Jemen, in Mali, oder ob die Türkei völkerrechtswidrig im Irak einmarschiert, wir verdienen immer daran. Das gefällt mir nicht.“ Alternativ würde Gysi das Geld, das andere für Waffenhilfe ausgeben, lieber in humanitäre Hilfe fließen sehen.

Das EU-Beitrittsgesuch der Ukraine unterstützt Gysi ausdrücklich. Im Jahr 2014 hatte er noch eine Art Pufferzone vorgeschlagen, die aus der Ukraine eine Brücke zwischen der EU und Russland hätte machen sollen. „Das steht doch heute gar nicht mehr zur Debatte“, sagt der Linken-Politiker.

Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann muss eine Weile warten, bis sie an der Reihe ist – widerspricht Gysi dann aber aufs Schärfste. Obwohl sie zehn Jahre nach ihm geboren sei, erinnere auch sie sich an zerstörte Häuser und andere Kriegsfolgen. Aber: „Gerade unsere Geschichte“ sei ein Grund, sich nicht auf humanitäre Hilfe zu beschränken. Zwar sei diese ein Muss, ebenso wie Sanktionen gegen Russland. „Aber dass wir die Ukraine zu verteidigen haben, nach unserer Geschichte, wo wir dieses Land kaputtgemacht haben: Ich interpretiere Geschichte in Verantwortung für das, was die Generationen vor uns dort angerichtet haben.“

Die aus Kiew zugeschaltete Yevgenia Belorusets macht sich Sorgen, wenn sie hört, wie Gysi den Schwerpunkt auf humanitäre Hilfe statt auf Waffenlieferungen legen möchte. „Es geht darum, dass mein Land zerstört wird“, sagt die Fotografin und Autorin. Sie sieht Gysis Äußerung als Eingeständnis, dass man sich langsam an die „schlechten Nachrichten aus diesem Gebiet“ gewöhne und zulasse, dass täglich Menschen sterben.

Gysi betont, er sei nicht dagegen, der Ukraine Waffen zu liefern. Diese sollten nur nicht aus Deutschland kommen. „Andere Länder haben eine andere Geschichte, die können auch Waffen liefern.“ Zudem verwehrt sich der Linken-Politiker dagegen, humanitäre Hilfe kleinzureden. Belorusets schaltet sich umgehend in die daraufhin beginnende Diskussion ein und betont, wie dankbar etwa ukrainische Flüchtlinge für jegliche Hilfe seien. Gleichzeitig wirft die Ukrainerin Deutschland und der EU vor, nach der russischen Annexion der Krim nicht genug getan zu haben, um den jetzigen Angriffskrieg zu verhindern. „Putin hat Ressourcen gesammelt, um diesen Krieg zu planen“, sagt sie und warnt: Werde Putin nicht gestoppt, gebe es eine „stille Phase“, in der dann der nächste Angriff vorbereitet werde.

Auch der Militärexperte Gustav Gressel betont, dass die aktuelle Lage eine Krise der europäischen Sicherheit sei. „Das ist ja nicht das Privatproblem der Ukraine“, sagt der Militärexperte. Dabei würden an Deutschland andere Erwartungen gestellt als etwa an Bulgarien oder Estland.

Als Illner ihn nach seiner Einschätzung fragt, wie Putin auf einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine reagieren könnte, winkt Gressel ab. Eine Aufrüstung an Russlands Westgrenze fände bereits statt, „und das sollte uns auch nicht kümmern“. Der Militärexperte spricht sich gegen ständige Überlegungen aus, was Putin provozieren könnte. Das gebe Putin „einen Platz am Entscheidungstisch“ und bestärke ihn in seinen Drohungen. Gressels Schlusswort: „Es gibt keine schnellere Perspektive auf Veränderungen in Russland, als diesen Krieg krachend zu verlieren.“

Immer wieder dreht die Talkrunde zurück zu Debatten innerhalb Deutschlands. Ein Thema ist dabei auch die Forderung des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz nach einem Rücktritt von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD). Strack-Zimmermann findet Merz‘ Forderung unsachlich, unhöflich und „in diesem Zusammenhang völlig daneben“. Kühl ordnet die FDP-Verteidigungsexpertin Merz‘ Verhalten in dessen Verhältnis zu Frauen ein. „Na ja, Herr Merz ist ja vor 16 Jahren das Opfer von Frau Merkel geworden, er wurde ja von ihr über Nacht kaltgestellt. Ich glaube, da spielt auch ein großes Trauma eine Rolle.“

Die FDP-Politikerin stellt sich zudem hinter Lambrecht und erinnert daran, dass noch kein Verteidigungsminister nach 80 Tagen im Amt mit einem solchen Thema konfrontiert wurde. „Ich erlebe sie als eine gute Verteidigungsministerin“, sagt Strack-Zimmermann, ergänzt allerdings: „Sie ist auch eine sehr loyale Ministerin ihrem Kanzler gegenüber.“

Den Einwand des Journalisten Markus Feldenkirchen, Lambrecht fehle die Erfahrung mit militärischen Angelegenheiten wischt Strack-Zimmermann beiseite. „Nicht jeder, der ein Jahr bei der Bundeswehr war, ist hier der große Feldherr.“ Die Verteidigungsministerin müsse zwar Entscheidungen treffen, aber dazu habe sie fachkundige Menschen an ihrer Seite, darunter den Generalinspekteur, und könne auf sehr viel Know-how zurückgreifen. „Das würde auch jemand tun, der ein paar Monate Dienst geschoben hat und sagt: Ich habe gedient, ich bin so richtig tough.“

In einem zuvor aufgezeichneten Interview mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geht es zunächst um den ukrainischen Antrag auf einen Beitritt zur EU. Dabei betont von der Leyen die Voraussetzungen für eine Aufnahme: Wie andere Länder auch müsse die Ukraine bestimmte rechtsstaatliche, wirtschaftliche und politische Standards erfüllen. Der Ablauf des Verfahren hänge letztlich davon ab, wie sich die Ukraine entwickle.

„Es hängt von der Ukraine selber ab, wie sie am Ende dieses Krieges diesen Wiederaufbau schafft, bei dem wir helfen werden, aber wie sie tatsächlich die Reformen umsetzt, wie sie die Oligarchen loswird, wie sie notwendige wirtschaftliche Reformen macht.“ Die Ukraine wolle um jeden Preis in die Europäische Union, entsprechend sei viel Motivation für den anstehenden Beitrittsprozess vorhanden.

Deshalb halte sie es für richtig, künftige Wiederaufbauhilfen für die Ukraine angesichts des EU-Beitrittswunsches des Landes an Reformen zu koppeln. „Wir werden sowieso den Wiederaufbau der Ukraine mitfinanzieren müssen“, sagt die EU-Kommissionspräsidentin. Dann sei es ihrer Ansicht nach sinnvoll zu sagen: „Ja zu Investitionen, aber gleich mit den notwendigen Reformen, zum Beispiel gegen Korruption oder zum Beispiel für den Aufbau der Rechtsstaatlichkeit. Das will die Ukraine auch, ich habe das heute Morgen noch einmal mit Präsident Selenskyj besprochen.“ Von der Leyen verweist darauf, dass es EU-Beitrittskandidaten gibt, die seit vielen Jahren im Antragsstadium verharren, weil sie sich nicht an die Standards annähern.

Bei den Wiederaufbauhilfen setze die EU stark auf weitere internationale Unterstützung. Zudem würden EU-Juristen die Möglichkeiten prüfen, eingefrorene Vermögen russischer Oligarchen zur Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine nach dem Krieg zu verwenden. „Ich finde, Russland muss auch seinen Beitrag dazu leisten“, sagt die EU-Kommissionspräsidentin.

Außerdem will Moderatorin Maybrit Illner wissen, wie die EU skeptische Mitglieder von einem Embargo gegen russisches Öl überzeugt. An diesem Punkt scheint auch bei von der Leyen Skepsis durch. Ungarn habe für eine Zustimmung zu einem EU-Embargo auf russisches Öl Geld für Solarenergie eingefordert. „Ungarn möchte Investitionen dafür in Solarenergie, das ist ja grundsätzlich gut, aber wir müssen noch über die Höhe der Investitionen sprechen“, sagt von der Leyen. „Und da wird sich zeigen, ob es ein ernsthaftes Interesse ist oder ob da Politik gemacht wird.“

(peng)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort