So wird der „Polizeiruf“ aus München Mit dem Bauchgefühl einer Frau

München · „Das Licht, das die Toten sehen“ ist der fünfte Fall für Verena Altenberger als Polizistin Bessie Eyckhoff. Der Münchner „Polizeiruf“ wählt eine besondere Erzählweise, auch auf diese Folge muss der Zuschauer sich einlassen wollen. Es lohnt sich.

  Bessie Eyckhoff (r, Verena Altenberger) befragt in der Eishalle Stefanie Reither (Zoë Valks) und zeigt ihr das Foto von Laura, deren Leiche gefunden wurde.

Bessie Eyckhoff (r, Verena Altenberger) befragt in der Eishalle Stefanie Reither (Zoë Valks) und zeigt ihr das Foto von Laura, deren Leiche gefunden wurde.

Foto: dpa/Hendrik Heiden

In der Hochhaussiedlung von München-Neuperlach, diesen tristen Klötzen aus Beton, reichen für eine kleine Flucht schon Rollerskates und eine Discokugel. Die junge Stefanie Reither (Zoë Valks) kurvt auf den Rollen durch die Häuserblocks, abends wechselt sie auf Kufen und dreht in der Eishalle bei lauter Musik und Lichtgeflitter ihre Runden. Sie dealt, lebt in einer verwahrlosten Bude mit Patrick Kundisch (Aniol Kirberg). Er nennt sie „Babe“ und will nicht, dass sie allein draußen rumläuft. Sie wirft ihm an den Kopf, sie mache, was sie wolle und habe keinen Bock mehr auf diese „Bahnhof-Zoo-Nummer“.

Doch Patricks Sorgen scheinen berechtigt: Stefanie ähnelt mit ihren kurzen blonden Haaren der Eisläuferin Laura, deren Leiche eines Tages in einem Gebüsch gefunden wird. Auch Anne, die vor zwei Jahren spurlos verschwand, hatte kurze blonde Haare und war derselbe Typ. Polizistin Bessie Eyckhoff (Verena Altenberger) ermittelte damals und heute und erkennt Parallelen zwischen beiden Fällen. Was sowohl die Polizistin als auch Stefanie irritiert: Eine Frau folgt Stefanie, will sie warnen, sieht sie in Gefahr. Diese Frau ist Annes Mutter. Caroline Ludwig (beeindruckend gespielt von Anna Grisebach) kommt nicht darüber hinweg, dass ihre Tochter verschwunden ist.

„Das Licht, das die Toten sehen“ ist der fünfte Fall für Bessie Eyckhoff, die einen neuen Partner an ihre Seite bekommt. Mit Dennis Eden (Stephan Zinner) hat sie schon zusammen gearbeitet, die beiden verstehen sich zwar, gehen aber unterschiedlich an den Fall heran. Zwischen den beiden Ermittlern rumst es, weil die empathische Bessie auf ihren Bauch hören will, der leicht grantige Kollege eher auf die Erfahrungswerte der Polizeiarbeit setzt. „Der größte Mist passiert immer zu Hause“, betont Eden und nimmt die Familien der toten Mädchen unter die Lupe. Besonders Caroline Ludwig macht sich in seinen Augen verdächtig, erst recht, als er erfährt, dass es Gewaltvorwürfe gegen sie gibt und sie ihre Tochter geschlagen haben soll. Doch Bessie bleibt bei ihrem Ansatz, setzt darauf, persönliche Beziehungen zu den Angehörigen und Zeugen aufzubauen. Sie setzt auf Vertrauen, ihm ist das alles zu nah, zu emotional. Frauenbauch gegen Männerkopf – einer der beiden Ansätze wird am Ende die Polizisten zum Täter führen.

„Fühlen, nicht alles aussprechen lassen“, so beschreibt Regisseur Filippos Tsitos seinen Ansatz für diesen Krimi, der eher mit Blicken und durch Atmosphäre erzählt werde und viel weniger durch Dialoge. Das ist eine Herausforderung für die Zuschauer, und man kann schon viele Kommentare in den sozialen Medien („Gucke schon lange keinen Tatort“Polizeiruf mehr“, „Ich mag nur Münster“, „Nach zehn Minuten umgeschaltet“) vorausahnen – dieses Schicksal wird sicher auch Bessie Eyckhoffs fünften Fall ereilen. Wer sich aber auf eine langsame Erzählweise, auf Schauspielkunst und diese Geschichte von Mutterliebe, Leere und Langeweile einlässt, der taucht nach und nach ein und ist fasziniert. Vieles ist unklar zu Beginn dieses Falls, einiges verwirrend, doch dann entfaltet sich eine Spannung ohne Schießerei, Verfolgungsjagden und brutale Action. Blicke und Gesten sind fesselnd genug. Und am Ende liegt jedes Puzzleteil an seinem Platz, das Publikum bleibt mit einem verstörenden Motiv und einer Tat zurück, die fassungslos macht.

„Polizeiruf 110: Das Licht, das die Toten sehen“, Das Erste, So., 20.15 Uhr

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