Pfingsten 2023 Was uns auf den Geist geht

Meinung | Düsseldorf · Christinnen und Christen feiern an diesem Wochenende Pfingsten. Das Pfingstwunder in der Apostelgeschichte gilt als Geburtstag der Kirche. Es steht für Gemeinschaft und Nähe. Warum unsere Gesellschaft mit Blick auf die aktuellen Probleme ein neues Pfingstwunder braucht.

 Ein schwieriges Thema...

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Foto: Nik Ebert

Das Magische, das vermeintlich Unerklärliche, hat es den Menschen angetan. Selbst in Deutschland, dessen Bürger sich gern als rational sehen, glauben elf Prozent an Psychokinese. Damit hat der Geisterglaube hierzulande eine beachtliche Gefolgschaft gewonnen. Wie ausgeprägt die Bereitschaft ist, sich Mythen und Verschwörungstheorien zu öffnen, hat sich nicht zuletzt in der Krisenpsychologie der Corona-Jahre gezeigt. Der Verlust des seelischen Gleichgewichts, ausgelöst durch Ängste und Sorgen, führte zu teils irrationalen Verhaltensweisen. Auch die sogenannten Reichsbürger, anfangs als Spinner verharmlost, haben sich ihre eigene Lebenswirklichkeit geschaffen und leiten daraus die gefährliche Rechtfertigung für kriminelle Handlungen bis hin zum Umsturz ab.

Die Mindestanforderung der Bibel ist klar: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. Das deutsche Vereinsrecht ist nur wenig strenger: Es braucht mindestens sieben Unterschriften, um einen eingetragenen Verein zu gründen. Wer aber gesellschaftliche Wirkung entfalten möchte, ist auf große Gruppen angewiesen. Darin liegt ein Problem der schrumpfenden Kirchen, aber auch manch früherer Volkspartei. Die Erkenntnis greift um sich, dass die Spaltung der Gesellschaft nur überwunden werden kann, wenn es zu dem kommt, was die Bibel zu Pfingsten verkündet: die geistige Erneuerung.

Wer jetzt an Helmut Kohl und dessen geistig-moralische Wende denkt, liegt gar nicht so falsch. Auch Olaf Scholz spricht von einer Zeitenwende. Die Klimaaktivisten wollen den Wandel auch, haben aber wohl andere Vorstellungen und teils (Klimakleber!) verwerfliche Methoden. Sie alle berufen sich auf eine moralische Ebene, die – fast wie im kirchlichen Umfeld – nicht selten Alleinstellungsmerkmal haben soll und von einer geistigen Überhöhung getragen wird. Denn das macht den Unterschied aus: Geist ist mehr als Verstand und Gehirn. Psychologen sprechen vom denkenden Bewusstsein des Menschen. Beim Geist kommt die Wahrnehmungsebene hinzu, es wird aus der persönlichen Erkenntnis der individuelle Rückschluss gezogen. Das kann schlimmstenfalls auch zur Verblendung führen.

Dabei haben sich viele gerade unter diesem fast schon mythischen Begriff „Geist“ zusammengefunden. Das führte beim „Geist von Potsdam“, von der extremen Rechten in falschem preußischen Traditionsbewusstsein beschworen, letztlich zur Hitler-Diktatur, damit zum Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust und dem weltweit unendlichem Leid mit Abermillionen Toten. In der politischen Auseinandersetzung stand als Gegenpol der Geist von Weimar, mit dem die demokratischen Kräfte der bürgerlichen Mitte vergeblich versuchten, die aufstrebenden Militaristen und Antisemiten zu verhindern.

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Wie einfach ist doch die Botschaft von Weihnachten (Christi Geburt) und Ostern (Auferstehung von den Toten) im Vergleich zu Pfingsten, dem dritten christlichen Hochfest. Gäbe es nicht das schöne Symbol der Taube, wäre kaum zu vermitteln, was die Bibel meint, wenn es heißt, der Heilige Geist sei (wie eine Taube) über die Jünger gekommen. Beschrieben wird damit der Erkenntnisgewinn, aber auch die Befähigung der Gefolgsleute Jesu, den Glauben zu verkünden und Menschen zu erreichen. Das Pfingstwunder, in fremden Zungen reden und einander verstehen zu können, steht für Nähe und Gemeinschaft. Wird also zu Pfingsten die Aussendung des Heiligen Geistes gefeiert, geht es um gegenseitiges Verstehen – aber auch um Heilung und Mission.

Das wird in der katholischen Kirche mit dem Exorzismus, durchaus vom Vatikan akzeptiert, auch als Rechtfertigung und Auftrag verstanden, böse Geister (den Teufel) auszutreiben. Was wie ein Überbleibsel aus dem tiefsten Mittelalter erscheint, ist zumindest in Italien Glaubenspraxis. Jedes Jahr suchen dort eine halbe Million Menschen die Hilfe eines Exorzisten, so laut Bayerischem Rundfunk die internationale Vereinigung der Exorzisten. In Deutschland wird seit einem Todesfall Mitte der 1970er-Jahre die unsägliche Praxis Teufelsaustreibung von offizieller Seite nicht mehr praktiziert. Papst Franziskus hat das Wegbeschwören durch Handauflegen und Weihwasser jedoch ausdrücklich gebilligt; es sei notwendig, Satan und Dämonen zu bekämpfen. Ihm selbst wird vorgeworfen, auf dem Petersplatz vergleichbare Rituale vollzogen zu haben.

In Freiburg gibt es seit Jahrzehnten die parapsycholgische Beratungsstelle, die bis vor kurzem sogar vom Land Baden-Württemberg gefördert wurde. An die 3000 Anfragen gibt es dort nach eigenen Angaben – von ganz normalen Menschen, wie die Leitung in einem Interview versicherte. Sie suchen Rat und Hilfe, wollen Erklärung, weil sie vermeintlich mit Unerklärlichem konfrontiert wurden. Spötter unken: Bei denen spukt es womöglich. Dabei haben laut Umfragen viele Menschen Vorahnungen, sehen sich manche im Kontakt mit dem Jenseits, wollen andere Übersinnliches wahrgenommen haben.

In der Filmwelt sind Geister allgegenwärtig – jüngst mit „The Pope‘s Exorcist“. Dabei wechseln sich Horror und Klamauk, Untote und Geisterjäger ab. In der Literatur ist es ähnlich. Die wohl berühmteste deutsche Ballade stammt von Goethe. Dort heißt es im Zauberlehrling: „Die ich rief die Geister – werd ich nun nicht los.“

Ähnlich ist es in der Politik. Der grüne Wirtschaftsminister Habeck muss sich in der Trauzeugen-Affäre seines inzwischen geschassten Staatssekretärs Graichen seinen selbst gesetzten hohen moralische Ansprüchen stellen. Ein Jesu-Wort unterstreicht die Wertung des Vorfalls, der Mitverschulden nicht ausschließt: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.

Die Gesellschaft kommt von den Geistern nicht los. Der Glaube ans Übernatürliche, von den Kirchen zum Göttlichen erhoben, ist ausgeprägter denn je. Dabei grenzt vieles an Aberglaube, der jeder Grundlage entbehrt und sogar Gefahren hervorruft. Persönliche wie für die Gesellschaft.

Korschenbroich: Vorfreude mit dem Unges Pengste ABC
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Vorfreude aufs Fest mit dem Unges-Pengste-ABC

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Foto: bauch, jana (jaba)

Zu Pfingsten, dem Fest des kirchlichen Zusammenhalts, wird der Heilige Geist bemüht, der alles zum Guten wenden und den Einzelnen zum Heilsbringer befähigen soll. Theologen sagen: „Der Heilige Geist repräsentiert das Wirken Gottes auf Erden.“ Das war schon bei Christi Jüngern so, die durch göttliche Erkenntnis Tatkraft gewannen und gar die Fähigkeit erlangten, in ihnen fremden Sprachen zu reden - und zu begeistern. Diese Begeisterungsfähigkeit geht zunehmend verloren. Die Kirchen verlieren an Größe und Bedeutung, sind längst nicht mehr die dominante Kraft. Auch wegen der Skandale, wegen fehlender Reformen und der schlimmen Missbrauchsverbrechen. Und dennoch sagt der Mönchengladbacher Propst Peter Blättler, der zu Pfingsten bei der Heiligtumsfahrt den Abendmahlschrein öffnet: „Ich glaube das Wirken des Geistes geht immer darauf, aus Feinden Freunde zu machen.“

Irgendwann reicht es denn auch. Und wenn es schließlich heißt „Ihr geht mir auf den Geist!“ ist die Trennung nicht fern. So fällt auseinander, was aus gutem Glauben verbunden war – als Paar, als Gemeinschaft, als wie auch immer geartetes soziales Gebilde. So driftet eine Gesellschaft auseinander – im Kleinen wie im Großen. Weil so vielen so vieles „auf den Geist geht“, weil Krisen, Inflation, Krieg und Hass zu allgemeiner Verunsicherung führen, fehlt der Geist des Miteinanders. Pfingsten wird von den Kirchen als ihre Geburtsstunde gefeiert, ist damit ein Fest des Zusammenhalts und der Bestätigung im Miteinander. Dabei könnte – ganz unabhängig vom persönlichen Glauben oder Zweifeln – eine stärkende Botschaft für alle bleiben, ein Geistesblitz: das Wunder des Verstehens, das Streit und Einsamkeit überwindet. Diesen Geist darf, wer mag, getrost den „Heiligen“ nennen.

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