Wahlerfolg in Deutschland Erdogan und der Islam

Meinung | Münster · Der autokratische türkische Präsident bekam ausgerechnet in Deutschland viele Stimmen von den dort lebenden Migranten und Migrantinnen. Eine Spurensuche.

Am Abend der Wahl fuhren Anhänger des bislang amtierenden türkischen Präsidenten Erdogan in Duisburg-Marxloh mit ihren Autos über die Straßen, Hupkonzerte ertönen, türkische Flaggen werden geschwenkt.

Am Abend der Wahl fuhren Anhänger des bislang amtierenden türkischen Präsidenten Erdogan in Duisburg-Marxloh mit ihren Autos über die Straßen, Hupkonzerte ertönen, türkische Flaggen werden geschwenkt.

Foto: dpa/Christoph Reichwein

Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, warum der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Deutschland besser abschneidet als sein Herausforderer Kemal Kiliçdaroglu, habe ich mit türkeistämmigen Personen gesprochen, die sowohl die türkische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Erdogan bekommt etwa doppelt so viele Stimmen von den Wählerinnen und Wählern, die in Deutschland leben, wie sein Herausforderer. Mich interessiert vor allem die Frage, welche Rolle die Religion hierbei spielt.

Erdogan gelingt es offenbar, seine Wählerschaft emotional zu erreichen. Es geht um die Vergewisserung der Zugehörigkeit zu einer sicheren, stabilen Identität: „Ich mache mir Sorgen um die religiöse Identität meiner Kinder in einer sich säkularisierenden deutschen Gesellschaft“, sagte eine Mutter. Er erinnere sie an ihre Religion, an islamische Werte. Jüngere Gesprächspartner betonten: „Erdogan zeigt dem Westen klare Kante!“ Sie finden in ihm eine Projektionsfläche für Trost als Reaktion auf gefühlte Ablehnung und erlebte Diskriminierung: „Man spricht in Deutschland weiterhin von ‚Wir Deutschen‘ und ‚Ihr Türken‘, dann sind wir halt Türken und wählen einen, der uns sagt: ‚Vergesst nicht, ihr seid Türken, bevor ihr Deutsche seid.’“

Ein Großteil der als „Gastarbeiter“ nach Deutschland immigrierten Türken kam aus ländlichen Gebieten und war stark konservativ und islamisch geprägt. Hinzu kommt, dass die größten Organisationen der Türken in Deutschland die Moscheegemeinden sind. Die AKP-nahen Organisationen schaffen es viel besser, ihre Wählergruppen zu mobilisieren. Dennoch dürfen Erdogan-Wähler nicht abgestempelt werden – man muss sich mit ihren (auch emotionalen) Anliegen auseinandersetzen. Vergessen darf man auch nicht, dass ein großer Teil der in Deutschland lebenden Türken von seinem Wahlrecht keinen Gebrauch macht. Ein etwas säkularerer Präsident würde auf jeden Fall ein offeneres Islambild bedeuten, auch hier bei uns in Deutschland.

Unser Autor ist Professor für islamische Religionspädagogik an der Universität Münster. Er wechselt sich hier mit der katholischen Theologin Dorothea Sattler, der evangelischen Religionslehrerin Anne Schneider und dem Rabbi Jehoschua Ahrens ab.

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