Sozialdemokraten scheinen gespaltenNach dem Wahldebakel: SPD-Vorstand berät über Konsequenzen
Berlin (rpo). Nach dem Wahldebakel der vergangenen Woche diskutiert der SPD-Vorstand heute über mögliche Konsequenzen. Die Partei scheint in der Frage eines Kurswechsel bei den Reformen gespalten. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck sagte vor einer SPD-Präsidiumssitzung am Montag in Berlin, es gehe nicht um eine Kurskorrektur, vielmehr müsse sich die SPD mit ihren schmerzlichen Wahlniederlagen auseinander setzen und "die Reihen schließen". Er warnte davor, nun bei den Reformgesetzen hektisch nachzubessern. Wenig beeindruckt zeigte sich Beck auch von den Bestrebungen zur Gründung einer neuen Linkspartei. Dort seien "Figuren" versammelt, die über die Jahre schon in mehr Linksgruppierungen gewesen seien, als er seine Hemden wechsele. Auch SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler wandte sich gegen eine Kurskorrektur. "Wir müssen den Laden in Ordnung bringen." Für ein Einhalten des Refomkurses sprach sich auch Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement aus. DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer forderte hingegen erneut Änderungen bei Teilen der Agenda 2010. Es gehe nicht darum, "den Reformkurs insgesamt madig zu machen", sagte sie. Doch wollten die Gewerkschaften Änderungen unter anderem bei der Zumutbarkeit von Jobs für Arbeitslose. Der neue Vorsitzende der Berliner SPD, Michael Müller, hat sich für eine grundsätzliche Fortsetzung des Reformkurses ausgesprochen. Allerdings müsse deutlich gemacht werden, dass Finanzpolitik kein Selbstzweck sei, sondern Einsparungen für die Schaffung von Handlungsspielräumen in anderen Politikbereichen notwendig sei, sagte Müller am Montag im ZDF-"Morgenmagazin". Wenn dies gelinge, werde die SPD auch von den Wählern wieder angenommen. Zwar müssten auch die sozial schwächer Gestellten wegen der Reformen Einbußen hinnehmen. Die SPD bleibe jedoch die Partei, die die Interessen dieser Gruppe vertrete, sagte Müller. Die Berliner SPD werde sich auf Bundesebene künftig stärker als Hauptstadt-Partei einbringen, kündigte er an. Müller war am Sonntag zum Nachfolger von Peter Strieder an die Spitze der Berliner SPD gewählt worden. Die 225 Delegierten verknüpften mit der Wahl Müllers insbesondere die Forderung nach einer Schärfung des sozialen Profils der Partei.Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Ute Vogt hat sich gegen eine höhere Mindeststeuer für Unternehmen ausgesprochen und sich damit gegen einen Vorschlag von Parteichef Franz Müntefering gestellt. "Wir haben die Mindestbesteuerung der Unternehmensgewinne bereits durchgesetzt", sagte Vogt der "Berliner Zeitung". "Aber anstatt offensiv zu kommunizieren, dass wir das Problem angepackt haben, führen wir jetzt eine Debatte, ob wir die Steuer noch um ein paar Prozentpunkte erhöhen sollen", kritisierte die SPD-Politikerin. An dieser Debatte werde erneut "ein Problem deutlich, das wir oft haben: Wir reden unsere eigenen Erfolge klein". Müntefering hatte mit seinem Plädoyer für eine höhere Mindeststeuer auf Firmengewinne am Wochenende auf den Streit um den britischen Vodafone-Konzern reagiert, der wegen Abschreibungen von insgesamt 50 Milliarden Euro auf den Kauf von Mannesmann in Deutschland über viele Jahre keine Steuern zahlen will. Daraufhin war vor allem in der SPD der Ruf nach einer Änderung des Steuerrechts laut geworden.Es gitb aber auch Stimmen in der SPD, die eine neue Richtung einschlagen wollen. Der neu gewählte Juso-Chef Björn Böhning etwa erwartet vom SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering einen "Fahrplan Gerechtigkeit". Danach sollen die beschlossenen Maßnahmen der Agenda 2010, die noch nicht umgesetzt seien - darunter die Erbschaftssteuer, die solidarische Bürgerversicherung und die Mindestversteuerung von Unternehmen - umgesetzt werden, forderte Böhning am Montag im ZDF-"Morgenmagazin". Zudem müsse die Partei ihr Profil stärken. In der Bildungspolitik etwa profitierten die Grünen von der Politik der SPD. Erfolge wie die Einrichtung von Ganztagsschulen müsse die Partei deshalb in den Vordergrund stellen. Zugleich rief der Juso-Chef die Sozialdemokraten auf, Streitigkeiten beizulegen und nicht "querzuschießen". Jene, "die dagegen schießen, müssen sich zurückhalten", verlangte Böhning. Ausdrücklich stellte er sich hinter Müntefering. Der SPD-Chef sei der Richtige, der die "Partei retten will vor dieser Regierungspolitik". Dabei wollten ihn die Jusos unterstützen, sagte Böhning. Der bei der Landtagswahl in Thüringen unterlegene SPD-Spitzenkandidat Christoph Matschie sagte am Montag vor einer Präsidiumssitzung seiner Partei in Berlin, die SPD müsse Vertrauen beim Wähler zurückgewinnen und ihre Politik klar auf Gerechtigkeit ausrichten. Wichtig sei eine verlässliche Politik, nicht jeden Tag ein neuer Vorschlag. Der SPD-Landesvorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus, betonte, gegen den Osten könne die SPD keine Wahlen gewinnen. Daher müsse der Aufbau Ost zur Chefsache gemacht werden. Backhaus fügte hinzu, die Reformen der Bundesregierung müssten besser erklärt werden. Außerdem müsse klargestellt werden, dass die SPD die Partei der sozialen Gerechtigkeit sei. Mit Blick auf die geplanten Arbeitsmarktreformen sagte Backhaus, für ihn sei die strukturelle Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland das Hauptthema bei den Gremienberatungen der SPD.