Erkenntnisse eines Wahljahres Der Internetwahlkampf bleibt auch 2014 ein Dilemma

Düsseldorf · Mit zehn Kommunal-, drei Landtagswahlen und der Europawahl kann man 2014 politisch als das "Jahr der Wahlen" bezeichnen. Doch bringen viele Wahlen auch viele Veränderungen mit sich? Wir haben mit einem Politikwissenschaftler über die Trends und Ergebnisse gesprochen.

Europawahl 2019: Hier wählen Steinmeier, Laschet, Weber & Co.
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Foto: dpa/Michael Kappeler

Die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen brachten im Mai 2014 einige überraschende Ergebnisse hervor. Die FDP verlor weiter an Rückhalt in der Bevölkerung, die Grünen konnten hingegen in den Städten und Kreisen erstaunlich gute Ergebnisse erzielen. Dieses Wahlergebnis wirkt sich automatisch auf das künftige Handeln der CDU aus. Da die FDP als Koalitionspartner vielerorts weggefallen ist, denken viele Christdemokraten auf lokaler Ebene über eine Zusammenarbeit mit den Grünen nach. Auch wenn es in Düsseldorf nicht zu einer schwarz-grünen Koalition kam, sieht der CDU-Fraktionschef Rüdiger Gutt diese Variante als Wunschkonstellation an. In anderen Städten und auf Landesebene in Hessen ist Schwarz-Grün schon gängige Praxis.

Zuspitzung auf Personen sorgt für Spannung

Dass es in Düsseldorf im Kampf um das Oberbürgermeisteramt eine Stichwahl zwischen dem bisherigen OB Dirk Elbers (CDU) und seinem damaligen Herausforderer Thomas Geisel (SPD) gab, ist für NRW im Jahr 2014 noch keine Besonderheit. Der Ausgang war es aber umso mehr. Stefan Marschall, Professor im Fachbereich "Politisches System Deutschlands" an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, sagte unserer Redaktion: "Zwar wird durch eine Zuspitzung auf zwei Personen eine Wahl für den Bürger spannender, aber weil viele im Vorfeld meist schon einen Favoriten für sich ausmachen, gehen sie nicht mehr zur Wahl oder stimmen nicht für den vermeintlich aussichtslosen Kandidaten ab." Das Ergebnis für den Favoriten würde dadurch noch deutlicher. Von diesem Effekt konnte Amtsinhaber Dirk Elbers nicht profitieren: Thomas Geisel setzte sich durch.

Die Zuspitzung auf Personen fand auch bei der Wahl zum europäischen Parlament am 25. Mai statt. Der luxemburgische Christsoziale Jean-Claude Juncker und der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz waren im Wahlkampf als Kandidaten für den Posten des Kommissionspräsidenten, der aus der Mitte des Parlaments bestimmt wird, positioniert worden. Juncker wurde am Ende Kommissionspräsident. Die relativ hohe Wahlbeteiligung bei der Europawahl führt Marschall nicht auf einen Personenwahlkampf zurück. "Hier war entscheidender, dass die Wahl zeitgleich mit der Kommunalwahl stattfand. Diese war für die meisten Bürger einfach die übergeordnete Wahl", sagt Stefan Marschall und ergänzt: "Abgesehen von Juncker und Schulz waren die Kandidaten in den einzelnen deutschen Wahlbezirken auch nicht gerade bekannt."

Europawahl 2014 - die Ergebnisse aller Länder im Überblick
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Die Ergebnisse aller Länder im Überblick

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Das Internet beschleunigt Diskussionen

Nach Ansicht des Professors für Politikwissenschaft sind in so gut wie allen Wahlkämpfen in Deutschland das Internet und die sozialen Netzwerke zu einem anerkannten Medium neben Plakaten und Werbeartikeln geworden. Bisher gibt es jedoch keine Studien, die belegen, dass Wahlwerbung in sozialen Netzwerken mehr Wähler an die Urne bringt. Doch ganz nutzlos ist die Werbung laut Stefan Marschall nicht. "In jedem Fall hat sich die Kommunikation beschleunigt", sagt er. Ein Politiker könne nun kaum noch eine Nacht über eine Diskussion oder gar einen Skandal schlafen. Die Nachricht würde über Twitter und Facebook so schnell verbreitet, dass der Wahlkämpfer auch hier reagieren müsse.

Giovanni di Lorenzo ist kein "Einzeltäter"

Die Europawahl sorgte im Nachgang für gleich zwei Diskussionsthemen, die sich auch in den sozialen Netzwerken verbreiteten: die starken Wahlergebnisse rechtsgerichteter Parteien und die Stimmen von Doppelwählern. Prominenter Zweifachwähler war der Chefredakteur der Zeitung "Die Zeit", Giovanni di Lorenzo. In der Talk-Show "Günther Jauch" gab er zu, dass er sowohl auf einem italienischen wie auch auf einem deutschen Stimmzettel sein Kreuz gemacht hatte. Di Lorenzo besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft. Ein Verfahren der Staatsanwaltschaft Hamburg wegen Wahlbetrugs wurde gegen eine Geldzahlung eingestellt, doch das Problem bleibt: Wie kann in Zukunft verhindert werden, dass Doppelstaatler auch zweimal wählen? Sowohl auf EU-Ebene als auch in Deutschland gibt es dazu bisher keine Lösung.

In Europa ging der Trend nach rechts

In Frankreich, Großbritannien, Dänemark und Griechenland erzielten rechtsgerichtete und Euro-kritische Parteien bei der Wahl zum europäischen Parlament Ergebnisse jenseits der 20 Prozent, wurden wie in Großbritannien sogar stärkste Kraft. Mit dem Front National (Frankreich, 26 Prozent bei der Europawahl), der Ukip (Großbritannien, 30 Prozent), der Syriza (Griechenland, 26 Prozent) und der Dänischen Volkspartei (26,6 Prozent) sitzen nun mehrere Parteien im Europaparlament, die die EU stark kritisieren oder sogar ganz ablehnen. Auch die Euro-kritische Alternative für Deutschland schaffte den Sprung ins EU-Parlament. Parteichef Bernd Lucke vertritt die Partei in Straßburg.

Wähler interessieren sich für Wandel

Auch wenn die politischen Auswirkungen der Europawahl und der Kommunal- und Landtagswahlen kaum zu vergleichen sind, gibt es eine Gemeinsamkeit: "Wenn es um etwas Bedeutendes geht und die Wähler einen Wandel erwarten, dann ist auch die Wahlbeteiligung in der Regel hoch", sagt Stefan Marschall.

Als Beispiel kann hier die Landtagswahl in Thüringen vom 14. September gelten. Bereits vor der Wahl deuteten Umfrageergebnisse und Analysen an, dass mit Bodo Ramelow erstmals ein Politiker der Linken Ministerpräsident eines Bundeslandes werden könnte. Die Zeichen standen also auf Wandel. 52,7 Prozent Wahlbeteiligung klingen zunächst nicht nach viel. Im Vergleich mit Sachsen (49,1 Prozent) und Brandenburg (47,9 Prozent) war es jedoch ein relativ hoher Wert.

(ac)
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