Landtagswahl in Brandenburg wird zum Wahlkrimi Hauptsache, nicht mit der AfD

Potsdam · In Brandenburg liegt die Partei in den Umfragen in Führung. An die Regierung dürfte sie trotzdem nicht kommen. Ein Ortsbesuch im Osten.

 Wahlkampfveranstaltung der SPD im brandenburgischen Rüdersdorf. Der einst dominierenden Partei drohen bei der Landtagswahl erhebliche Verluste.

Wahlkampfveranstaltung der SPD im brandenburgischen Rüdersdorf. Der einst dominierenden Partei drohen bei der Landtagswahl erhebliche Verluste.

Foto: ZB/Patrick Pleul

Ingo Senftleben ist ein Rebell. Schon im Frühjahr vorigen Jahres hatte der brandenburgische CDU-Vorsitzende eine Koalition mit der Linken nach der Landtagswahl am 1. September 2019 nicht ausgeschlossen. Annegret Kramp-Karrenbauer, damals noch CDU-Generalsekretärin, gab ihm dafür ordentlich eins aufs Dach. Als Parteichefin setzte sie beim Bundesparteitag in Hamburg einen Beschluss durch, wonach die CDU jede Zusammenarbeit sowohl mit der AfD wie auch der Linkspartei ablehnt. Senftleben aber blieb bei seiner Haltung. Nebenbei bemerkt: CDU und Linke haben in Brandenburg jeweils rund 6000 Mitglieder. Die SPD lag zuletzt nur geringfügig darüber. Aber die Linke ist hier eine Volkspartei.

Senftleben sagt auf die Frage, ob man Linke und AfD in einem Atemzug nennen dürfe: „Nein. In Brandenburg nicht. Die Linke ist seit zehn Jahren an der Regierung und hat mit Beschlüssen auch zu guten Entscheidungen beigetragen.“ Die AfD in Brandenburg gehöre dem rechtsradikalen „Flügel“ der Partei an. „Die wollen ein komplett anderes Land. Das wäre für Brandenburg und Deutschland der falsche Weg und extrem gefährlich“, warnt der 44-Jährige.

Das Problem ist nur: Nach den Umfragen könnte die AfD stärkste Kraft in dem Bundesland rund um Berlin werden. SPD, CDU, Linke und Grüne liegen dicht beieinander zwischen 15 und 18 Prozent. Der SPD wird auch in ihrem letzten bislang unangefochtenen Kernland der Absturz vorhergesagt. 2014 hatte sie 31,9 Prozent erzielt. Auch CDU und Linken werden Einbußen prognostiziert. Fast verdreifachen könnten sich hingegen die Grünen, die vor fünf Jahren auf 6,2 Prozent kamen.

Grünen-Spitzenkandidatin, Ursula Nonnemacher (62), berichtet begeistert von vielen Parteieintritten: „Wir sind hier immer noch eine strukturschwache Partei“, räumt sie ein. „Aber jetzt haben wir einen so starken Rückhalt bei den Wählern, dass wir Fragen bekommen, ob wir uns vorsichtshalber auch auf das Ministerpräsidentenamt einstellen.“

Andere Parteien nervt es, „dass die Grünen sich in der Rolle der Königsmacher gefallen“, wie es ein Konkurrent formuliert. Aber es ist ohnehin klar, dass die nächste Landesregierung keine Zweierkoalition mehr sein wird. Denn dafür reicht es vorne und hinten nicht. Wenn es schlecht läuft, könnte es sogar eine Vier-Parteien-Regierung gegen die AfD geben, die laut Umfragen als einzige Partei über 20 Prozent liegt.

Wie konnte das passieren, dass die AfD hier so stark geworden ist? Ihr Spitzenkandidat Andreas Kalbitz (46) gehört zum völkischen AfD-Flügel um den AfD-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl in Thüringen im Oktober, Björn Höcke. Aber Kalbitz können wir an dieser Stelle nicht zu Wort kommen lassen. Er fand innerhalb von acht Tagen keine Zeit für ein Gespräch. Auch nicht am Telefon.

Die Spitzenkandidatin der Linken, Kathrin Dannenberg (53), beschreibt die Lage so: „Die Ostdeutschen haben keine blühenden Landschaften erlebt. Ihre Lebensbiografien wurden zumeist nicht anerkannt, ihre Leistung nicht angemessen vergolten – weder materiell noch ideell. Viele wurden entlassen, Fabriken gingen kaputt. Bei der Aufnahme von Flüchtlingen entstand der Eindruck, denen werde mehr Fürsorge zuteil.“ Diese Stimmung greife die AfD auf. Dannenberg warnt eindringlich: „Mit der AfD kommt nicht der Protest, mit ihr kommen die Nazis ins Parlament. Herr Kalbitz kommt aus München und will die friedliche Revolution der DDR-Bürger für sein Programm kidnappen.“

Weil niemand mit der AfD koalieren wolle, bezeichnet es Nonnemacher als klugen Schachzug, dass Senftleben eine Koalition der CDU mit der Linken nicht ausgeschlossen habe. Würde die Linke denn auch mit der CDU koalieren? „Auf Landesebene wäre das schwierig“, sagt Dannenberg. „Aber selbstverständlich sind Gespräche unter Demokraten immer nötig und wichtig.“ Auf kommunaler Ebene gebe es dagegen schon Zusammenarbeit von Linken und CDU.

Nonnemacher, immerhin in der Opposition,  findet, dass die Lage in Brandenburg viel besser sei als ihr Ruf. „Das ist bei vielen aber noch nicht angekommen.“ Die Krankenhäuser etwa seien moderner als im Partnerland Nordrhein-Westfalen. „Trotzdem sind viele Menschen tief gekränkt, verbittert und fühlen sich als zweite Klasse. Sie verdienen oft weniger als Westdeutsche, der Osten ist wirtschaftlich immer noch schwächer als der Westen.“ Dannenberg, deren Partei seit zehn Jahren mit der SPD regiert, sagt: „Wir haben viel erreicht.  Wir verkaufen uns nur unter Wert, weil wir immer sagen, dass das noch nicht reicht. Es ist aber schon sehr gut.“

Viele Wahlkämpfer halten eine rot-rot-grüne Koalition für wahrscheinlich. Das würde der SPD – wie zuletzt in Bremen – trotz Verlusten die Macht im Bundesland sichern und ihren Verbleib in der großen Koalition stützen. Aber Dannenberg sorgt sich: „Die einstmals dominierenden Sozialdemokraten haben – wie die SPD insgesamt – Orientierung und Identität verloren.“ Senftleben mahnt: „Das wird keine leichte Regierungsbildung.“ Nur dass es keine Regierung mit AfD-Beteiligung werden wird, darin sind sich alle einig

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