Der Westen stellt sich auf Moskau im Blick, Peking im Kopf

Oslo/Brüssel · In einer Serie von Spitzentreffen von Europarat, Nato, Europäischer Politischer Gemeinschaft und den EU-Spitzen stellt sich der Westen strategisch auf angesichts des nicht nachlassenden Kriegswillens Russlands und weiterer globaler Gefahren.

 Norwegens Außenministerin Anniken Huitfeldt bügelt vor Beginn des Treffens die Nato-Flagge im Rathaus von Oslo.

Norwegens Außenministerin Anniken Huitfeldt bügelt vor Beginn des Treffens die Nato-Flagge im Rathaus von Oslo.

Foto: dpa/Ole Berg-Rusten

Tägliche Raketen- und Drohnenangriffe auf Kiew auch im 16. Kriegsmonat führen nicht nur der Ukraine den nicht nachlassenden Vernichtungswillen Russlands vor Augen. Sie liefern auch den Grund für eine ganze Serie hochrangiger Treffen des Westens. Kaum haben sich die 47 Staaten des Europarates in Reykjavik vorgenommen, Russland für alle Schäden zur Verantwortung zu ziehen, da kommen in Oslo die Nato-Außenminister von diesem Mittwoch an zu einem Sondertreffen zusammen, versammeln sich in der moldawischen Hauptstadt Kishinau an diesem Donnerstag die 47 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG), folgt bald auch ein EU-Gipfel in Brüssel.

Zum Auftakt der Nato-Tagung in Oslo schwor Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ihre Kollegen darauf ein, dass jeder weitere Tag des Krieges, jeder neue Angriff die Gemeinschaft veranlasse, „die Ukrainerinnen und Ukrainer bei ihrer Selbstverteidigung und ihrem Kampf um Frieden nur noch mehr zu unterstützen“. Die norwegische Außenministerin Anniken Huitfeldt betonte, alle Nato-Kollegen seien sich einig, dass die Ukraine Nato-Mitglied werde. Es sei keine Frage mehr ob das geschehe, sondern nur wann und wie. Die Türe sei offen, und über eine Mitgliedschaft hätten nur die Ukraine und die Alliierten zu befinden, das sei keine Entscheidung Moskaus.

Mit am Tisch in Oslo sitzt auch Schwedens Außenminister Tobias Billström - noch als Gast, denn die Türkei und Ungarn blockieren weiterhin die formale Aufnahme, obwohl beide Länder der Erweiterung bereits vor knapp einem Jahr in Madrid zugestimmt hatten. Nach der für Recep Tayyip Erdogan erfolgreichen türkischen Präsidentschaftswahl erhöhten die USA den Druck auf Ankara, den Widerstand aufzugeben. US-Außenminister Antony Blinken zeigte sich zuversichtlich, dass die Aufnahme bald erfolgen könne. Baerbock unterstrich das Ziel Deutschlands, beim Nato-Gipfel im Juli im litauischen Vilnius mit 32 Bündnispartnern am Tisch zu sitzen. Gastgeberin Huitfeld sagte an die türkische und ungarische Adresse, dass alle Bedingungen längst erfüllt seien: „Es gibt absolut keinen Grund, Schweden zurückzuhalten.“ Nicht zuletzt für die nordische Sicherheit sei die Mitgliedschaft Schwedens wichtig.

Wieweit die mutmaßlich ukrainischen Drohnen-Attacken auf Moskau beim Nato-Treffen in Oslo oder beim EPG-Gipfel in Kishinau besprochen werden, ließ sich zunächst nicht absehen. Huitfeld wies darauf hin, dass es nur sehr wenige gesicherte Informationen gebe. Jedenfalls trage Russland die Verantwortung für den Krieg. Nach Einschätzung des britischen Außenministers James Cleverly hat die Ukraine das Recht, „legitime militärische Ziele außerhalb ihrer eigenen Grenze“ anzugreifen. Das Weiße Haus in Washington hatte zuvor klargemacht, „keine Angriffe innerhalb Russlands“ zu unterstützen.

In Oslo wollten sich die Nato-Außenminister ursprünglich vor allem um die Stärkung der Ostflanke kümmern. Nach der Eskalation der Gewalt im Norden des Kosovo folgte jedoch schon vor den ersten Gesprächsrunden die Entscheidung, die Nato-Truppe im Kosovo um 700 Soldaten aufzustocken und zusätzliche Einheiten für eine weitere Verstärkung bereit zu halten. Das Thema dürfte am Rande auch die Gespräche in Kishinau bestimmen, sind doch die Kontrahenten Teil der EPG, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im vergangenen Jahr initiiert hatte, um unter anderem die Westbalkan-Staaten enger einzubinden. Daneben stand beim Gipfel in Moldawien auch ein deutsch-französisches Bemühen um Konfliktbegrenzung zwischen Armenien und Aserbaidschan auf dem Terminplan. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte einen Vier-Punkte-Plan zur beschleunigten Anbindung des Westbalkans an die EU im Gepäck.

Als sie am Mittwoch in Kishinau eintraf, freute sich von der Leyen nicht nur über die vielen Europa-Flaggen in den Straßen der Stadt, sie versicherte der moldawischen Präsidentin Maia Sandu auch, ihr Land „bei jedem Schritt auf dem Weg in die EU“ zu unterstützen. Ein neues EU-Hilfspaket enthält nicht nur eine Verringerung der Roaming-Gebühren für Moldawien, sondern auch eine Verdreifachung der EU-Investitionen und eine noch engere Verknüpfung mit dem Energieverbund der EU.

Anders als der Europarat mit seinem Generalsekretariat und seinem Instrument des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes hat die Europäische Politische Gemeinschaft keinen administrativen Unterbau. Im Mittelpunkt stehen gemeinsame strategische Überlegungen und viele Kontaktmöglichkeiten am Rande, bei denen sich die Spitzen vieler kleiner und größerer Staaten aus der EU-Nachbarschaft mit den Entscheidungsträgern der EU auf Augenhöhe begegnen. Moldawien als Ort ist von hoher symbolischer Bedeutung, weil er in direkter Nachbarschaft der Ukraine durch überfliegende russische Raketen direkt betroffen ist und Moskau ebenfalls versucht, den Westkurs des Landes zu torpedieren und die Opposition für einen Umsturz zu stärken.

Der strategische Blick richtet sich beim Gipfel nicht nur auf Moskau. Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten wollen am Rande auch den nächsten EU-Gipfel Ende Juni in Brüssel ansprechen, bei dem die Neuausrichtung der EU-China-Politik im Mittelpunkt stehen wird. Die Abwehr der russischen Aggression gegen die Ukraine ist auch für die Nato herausragend wichtig, um Moskau von weiteren Eroberungsgelüsten in Europa abzuhalten. Und es ist auch eine Botschaft an China und dessen Vorhaben, die Herrschaft über Taiwan zu übernehmen.

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