Viel Leid für Schönheit Trotz Verbotes laufen immer noch Millionen Tierversuche

Brüssel · Längst gilt in der EU ein generelles Verbot von Tierversuchen für Kosmetika. 2021 erneuerte das EU-Parlament die Forderung, auch in der Forschung Tierversuche immer mehr zu ersetzen. Doch in der Wirklichkeit nehmen sie offenbar sogar zu. Das hat 1,2 Millionen Europäer auf den Plan gerufen, die nun neue Beratungen in Brüssel erzwangen.

Ein Wandbild der Künstlerin Nina Valkhoff in Paris zugunsten der erfolgreichen europäischen Bürgerinitiative gegen Tierversuche.

Ein Wandbild der Künstlerin Nina Valkhoff in Paris zugunsten der erfolgreichen europäischen Bürgerinitiative gegen Tierversuche.

Foto: The Body Shop Germany GmbH/The Body Shop

Am Anfang führt die Tierschutzorganisation PETA die Europa-Politiker in Brüssel per Video ins Schlafzimmer einer jungen Frau. Sie macht sich fertig für eine Party. Doch in das Schminken mischen sich die Bilder von süßen Kaninchen, die bluten und leiden. Tierleid für Schönheit, suggeriert der Zusammenschnitt. Es geht also emotional los an diesem Donnerstag im Europa-Parlament. Emotional aufgeladen ist das gesamte Thema der Tierversuche für die Kosmetik. 1,2 Millionen Europäer haben per Bürgerinitiative das Anliegen von tierquälerei-freier Kosmetik auf die Brüsseler Tagesordnung gezwungen. Eigentlich müsste es da gar nicht stehen, denn bereits seit 2004 gibt es ein Tierversuchsverbot in der EU, das 2013 durch die EU-Kosmetik-Verordnung noch verschärft wurde. Doch da sind Schlupflöcher, und die scheinen immer größer zu werden.

Denn zwischen der Kosmetik-Verordnung und jenen jährlich mehr als sieben Millionen Tieren, die in der EU immer noch Qualen erleiden, stehen drei andere Wege. Da ist die Chemikalien-Verordnung, die Tierversuche nicht nur zulässt, sondern sie in ihrer Auslegung durch die zuständige Aufsichtsbehörde sogar in wachsendem Maße vorschreibt. Da ist die weitreichende Praxis der medizinischen Forschung mit Hilfe von Tierversuchen. Und da ist der Import von Kosmetika aus großen Produktionsstandorten wie Japan, Korea und den USA. Formal sollen zwar keine Kosmetika eingeführt werden, die mit Tierversuchen entstanden. Aber wer will das für jeden einzelnen Inhaltsstoff fern von Europa kontrollieren?

Zudem kommen, wie die Vertreter der EU-Kommission in den verschiedenen Runden der Anhörung in den drei beteiligten Parlamentsausschüssen erläutern, auch hausgemachte Lücken hinzu. Da sind die Stoffe, die sowohl bei Kosmetika als auch bei anderen Mitteln verwendet werden. Nur bei jenen, die ausschließlich in die Schönheit gehen, sind die Tierversuche verboten. Doch viele sind auch in Arznei- und Lebensmitteln enthalten, und da gilt das Verbot nicht. Ein Beispiel sind Sonnenschutzcremes - eigentlich zu finden in der Kosmetik-Abteilung und somit streng genommen tierversuchsfrei. Doch sie dienen auch der medizinischen Anwendung und sind bei Bauern und Bauarbeitern Teil des Arbeitsschutzes. Der notwendige Nachweis von Wirkung und Nebenwirkung greift dabei auch auf Tierversuche zurück.

Und so prallen bei der Anhörung im Europa-Parlament die Vorstellungen und Überzeugungen schnell aufeinander. Der belgische Christdemokrat Pascal Arimont verliest eine Einschätzung des Aachener Uniklinik-Professors Mathias Hornet, der eindringlich vor einem Verbot von Tierversuchen warnt. Damit würde „die medizinische Versorgung auf hohem Niveau in Europa gefährdet“. Als Beispiele nennt er Tumor- und Autoimmunerkrankungen sowie Impfstoffe, bei denen die Forschung „unmöglich“ würde. In der Entwicklung von Medikamenten würde die EU von anderen Ländern abhängig, Wissenschaftler müssten die EU verlassen, um weiter forschen zu können.

„Das habe ich auch lange geglaubt“, lautet die Reaktion von Merel Ritskes-Hoitinga, Professorin für Laborwissenschaften in Nijmegen. Sie verweist darauf, dass in Tierversuchen gewonnene Erkenntnisse nur bedingt auf den Menschen übertragbar seien. Die Sprecher der Bürgerinitiative haben bereits eingangs betont, dass 92 Prozent der klinischen Studien eine Geltung der Erkenntnisse im Tierversuch auch beim Menschen nicht sicherstellen könnten. „Menschen sind keine 70-Kilo-Ratten“, zitieren sie den amerikanischen Mikrobiologen Thomas Hartung. Und so wird denn für sie die Abkürzung NAM für „Neue Alternative Methoden“ zum Gebot der Stunde. Also Versuche ohne Tiere, etwa an menschlichen Zellen. Damit könne die EU auch führend bei der Erschließung neuer Märkte werden, empfiehlt die Wissenschaftlerin aus Nijmegen.

Unwidersprochen bleibt der wiederholte Hinweis, dass Tiere entgegen jahrhundertelanger Vermutungen auch Schmerz und Freude empfänden. Auseinander gehen die Schätzungen, wie viele Tiere in der EU jedes Jahr betroffen sind. Manche reichen bis 23 Millionen - unter Einschluss derer, die allein für Tierversuche gezüchtet und dann ohne „Verwendung“ wieder getötet würden. Bis zum Sommer nächsten Jahres soll eine umfassende Statistik mehr Klarheit bringen. Jedenfalls wird in der Anhörung klar, dass viele Tiere gefährlichen Chemikalien auf Augen oder Haut ausgesetzt oder brutalen Eingriffen unterzogen werden.

Es gibt aber auch Kritik an der Initiative. Die estnische Zentrumspolitikerin Yana Toom merkt zum Video-Einstieg durch Peta mit Wimperntusche und Kaninchenblut an, es gebe keinen Mascara, der durch Tierversuche entstanden sei. Das diene nur dem Wecken von Emotionen. So stellt denn Mit-Initiatorin Emma Grange klar: „Wir wollen nicht Tiere gegen Menschen ausspielen.“ Es gehe auch nicht um ein sofortiges Verbot, sondern darum „tierversuchsfreie Methoden zu optimieren“.

Die Kommissionsvertreter versprechen, bis Juli eine eingehende Antwort auf die Bürgerinitiative zu erstellen. Die EVP-Agrarexpertin Marlene Mortler begrüßt, dass die EU-Kommission dazu auch einen Workshop mit Chemie-Experten vorbereitet. „Die Kommission hat die Lücke, die es im Gesetz gibt, zweifelsfrei erkannt“, sagt die CSU-Abgeordnete unserer Redaktion. Und fügt hinzu: „Verbote ohne gute Alternative sind immer schlecht.“

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