Europawahl 2019 SPD und Union müssen Fiasko hinnehmen

Berlin/Brüssel · Die SPD muss am Sonntag gleich zwei historische Wahlniederlagen verdauen. Und auch die CDU kann - zumindest was die Europawahl angeht - nicht zufrieden sein.

 Hängende Köpfe bei Katarina Barley und Andrea Nahles nach den Ergebnissen bei der EU-Wahl.

Hängende Köpfe bei Katarina Barley und Andrea Nahles nach den Ergebnissen bei der EU-Wahl.

Foto: AFP/JOHN MACDOUGALL

Bei der bei der Wahl des Landesparlaments in Bremen dagegen überflügelt wohl die Union erstmals seit dem Krieg die SPD. Großer Gewinner beider Abstimmungen sind nach den ersten Hochrechnungen die Grünen: Sie lösen zum ersten Mal bei einer bundesweiten Wahl die SPD als zweite Kraft ab und gewinnen als Machtfaktor deutlich an Gewicht. Der Ausgang der Europawahl in der EU insgesamt war am Sonntagabend noch ungewiss.

Bei der Europaabstimmung stürzen SPD wie Union jeweils auf ihr schlechtestes EU-Ergebnis überhaupt und unterbieten auch noch weit ihre historisch schwachen Bundestagswahlergebnisse von 2017.

Für das Machtgefüge in Berlin bedeutet das erneut eine schwere Belastung. Ungewiss war am Sonntagabend zunächst noch, welche Konsequenzen vor allem die SPD aus den abermaligen Klatschen der Wähler zieht. Bereits vorher stand Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles intern in der Kritik. Zudem ist ein Teil des linken Flügels die ungeliebte große Koalition mit der Union schon lange leid, doch eine vorgezogene Bundestagswahl könnte bei derart schwachen Beliebtheitswerten für die SPD verheerend enden.

Aber auch in der CDU mit ihrer neuen Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer dürfte angesichts des schwachen Abschneidens bei der Europawahl eine Diskussion über die Aufstellung im Bund nicht ausbleiben. Für Anfang Juni hat Kramp-Karrenbauer bereits eine Führungsklausur angesetzt.

Ohnehin ist eine kleine Kabinettsumbildung nötig, weil die EU-Spitzenkandidatin der SPD, Katarina Barley, nach Brüssel wechselt und daher bereits ihren Rückzug als Justizministerin angekündigt hat.

Europawahl: Wie die deutschen Parteien ihr Wahlergebnis feierten
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Nach den Europawahl-Hochrechnungen von ARD und ZDF für Deutschland (18.15 Uhr) bleibt die Union zwar weitaus stärkste Kraft, verliert aber noch einmal stark auf 27,7 bis 27,9 Prozent (EU 2014: 35,4 Prozent; Bundestag 2017: 32,9). Noch weit schlimmer ist das Ergebnis für die SPD: Sie kommt mit 15,6 Prozent nur noch auf den dritten Platz (EU: 27,3; Bundestag: 20,5).

Die Grünen gewinnen kräftig hinzu und fahren mit 20,8 bis 21,8 Prozent ihr mit Abstand bestes EU-Ergebnis ein (EU: 10,7; Bundestag: 8,9). Die AfD etabliert sich mit 10,5 bis 10,6 Prozent (EU: 7,1; Bundestag: 12,6). Die FDP mit 5,5 Prozent hat sich wieder etwas erholt (EU: 3,4; Bundestag: 10,7). Die Linke schwächelt mit 5,5 Prozent (EU: 7,4; Bundestag: 9,2). Die Wahlbeteiligung liegt bei etwa 60 Prozent, eine Steigerung um mehr als zehn Punkte.

Eine große Rolle hat offensichtlich das Thema Klimaschutz gespielt: Die Grünen gewinnen von SPD und Union jeweils mehr als eine Million Wähler hinzu: nach einer Analyse von Infratest dimap 1,37 Millionen Wähler von der SPD und 1,25 Millionen von der Union - und zwar vor allem junge Wähler. Unter den 18- bis 24-Jährigen machen 34 Prozent die Grünen zur stärksten Partei.

SPD-Chef Nahles nannte das Ergebnis am Abend „extrem enttäuschend“. Generalsekretär Lars Klingbeil erklärte: „Das Ergebnis kann nicht ohne Folgen bleiben.“ Er wandte sich aber gegen Personaldebatten.

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer zeigte sich relativ zufrieden: Die CDU habe bei der EU-Wahl stärkste Kraft werden und in Bremen die SPD ablösen wollen. Die CDU freue sich, dass in Bremen der erste Schritt in Richtung Regierungswechsel gegangen werden könne.

Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sprach von einem „sensationellen Ergebnis“ und einem „Sunday for Future“.

Zur Wahl des Europaparlaments waren in den 28 EU-Mitgliedstaaten mehr als 400 Millionen Menschen wahlberechtigt. Das Parlament hat wichtige Kompetenzen in der EU-Gesetzgebung und muss etwa dem EU-Haushalt zustimmen. Es spielt eine wichtige Rolle bei der Nachfolge des bisherigen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. Um den Posten ringen die christdemokratische Parteienfamilie EVP mit ihrem bisherigen EU-Fraktionschef, dem Deutschen Manfred Weber (CSU), und die Sozialdemokraten mit dem bisherigen Vize-Kommissionspräsidenten, dem Niederländer Frans Timmermans.

In Österreich wird Kanzler Sebastian Kurz, gegen den am Montag im Parlament ein Misstrauensantrag ansteht, bei der Europawahl massiv gestärkt. Laut Trendprognosen kommt seine konservative ÖVP auf 34,5 Prozent - 7,5 Prozentpunkte mehr als 2014. Der Ex-Koalitionspartner, die rechte FPÖ, fällt leicht auf 17,5 Prozent. Die Koalition war an den Folgen eines Skandal-Videos des ehemaligen FPÖ-Vizekanzlers Heinz-Christian Strache zerbrochen. Die SPÖ stagniert auf Rang zwei.

Der EU-Wahlkampf hatte wenig Aufmerksamkeit erregt und war weitgehend konturlos geblieben. Einen Nachhall fanden am ehesten noch die einhelligen Warnungen von Parteien der Mitte und der Linken vor einem Erstarken von Rechtspopulisten und EU-Kritikern. Denn vor allem für sie wurde ein Zuwachs erwartet, besonders in Italien, wo bis 23.00 Uhr noch gewählt werden konnte.

Christ- und Sozialdemokraten dürften im EU-Parlament daher zusammen keine Mehrheit mehr haben, sondern mit Liberalen, Grünen oder Linken zusammenarbeiten. Wer rasch welches Bündnis schmieden kann, wird Einfluss darauf haben, wer Junckers Nachfolge antreten kann. Denkbar ist neben Weber oder Timmermans auch ein dritter Kandidat, weil die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihr Vorschlagsrecht pochen. Bereits am Dienstag wollen sie bei einem Sondergipfel in Brüssel Vorentscheidungen dazu treffen.

(felt/dpa)
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