Jahr der Entscheidung Warum das Parteiengefüge 2019 zerbrechen könnte

Berlin · Die große Koalition zieht 2019 Halbzeitbilanz – eine Sollbruchstelle. Die größere Gefahr für den Zusammenhalt von Union und SPD entsteht aber durch viele, schwierige Wahlen.

Gefahren im Wahljahr 2019 für das Parteiengefüge
Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Als die Unterstützer von Friedrich Merz noch fest an seine Wahl zum CDU-Chef glaubten, preisten sie einen baldigen Bruch der großen Koalition gleich mit ein. Der wirtschaftsliberale Sauerländer und die SPD – das schien nicht zusammen zu passen. Nun führt die auf Ausgleichbedachte Annegret Kramp-Karrenbauer die Christdemokraten, die Beliebtheitswerte der Saarländerin schießen in die Höhe, und auch Kanzlerin Angela Merkel steht in Umfragen gut da. Und trotzdem macht sich vielerorts ein mulmiges Gefühl breit.

Denn das Wahljahr 2019 wird darüber entscheiden, ob das bisherige Parteiensystem mit den beiden Volksparteien CDU und SPD, den im Osten starken Linken und Rechten, den aufstrebenden Grünen und einer sich wieder festigenden FDP stabil bleibt - oder sich die Kräfte massiv verschieben.

Wird die AfD stärkste Partei bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg? Werden die Grünen die neue Volkspartei? Verschwindet die SPD in der Bedeutungslosigkeit? Werden Koalitionen mit drei und mehr Partnern Standard? Kenia, Jamaika, Ampel, Rot-Rot-Grün? Wird die AfD erstmals in eine Landesregierung kommen? Verbünden sich CDU und Linke?

Die Europawahl, die Landtagswahlen und zehn Kommunalwahlen werden auch zeigen, ob die CDU ihren Riss zwischen den Anhängern von Kramp-Karrenbauer und Merz wieder kitten kann oder ob sie sich spaltet. Und ob die SPD noch zu retten ist oder ihren Status als Volkspartei verliert. Und schließlich: Ob die große Koalition durchhält oder es 2019 eine weitere Wahl geben wird, die Neuwahl des Bundestags.

Merkel selbst dürfte zweifeln. Sonst hätte sie in ihrer Neujahrsansprache den Bürgern vermutlich nicht noch einmal so klar vor Augen geführt, dass sie 2021 abtritt. Als Botschaft war zu verstehen: Der Wechsel wird ohnehin und ganz geordnet in absehbarer Zeit vollzogen, es muss nichts übers Knie gebrochen werden. Die Regierung sollte nach all ihren Turbulenzen zur Ruhe kommen, erst einmal hart arbeiten und sich auch international wieder mehr einbringen. Die Hälfte der Wahlperiode ist im Herbst ja schon vorbei. Dann will die Koalition selbstkritisch Bilanz ziehen. Eine mögliche Sollbruchstelle. Aber auch eine Chance für Verbesserungen. Und in zwei Jahren sollten die Parteien dann gut vorbereitet in den Bundestagswahlkampf gehen.

Aber schon im Mai steht der erste große Test für das Parteiengefüge in Deutschland an. Das Europäische Parlament wird neu gewählt, ebenso die Bremer Bürgerschaft sowie Parlamente in Städten, Kreisen, Gemeinden und Bezirken in zehn Bundesländern. Sollte die Welle der Bedeutungslosigkeit vieler sozialdemokratischer Parteien in Europa auch die SPD von Andrea Nahles erfassen, dürfte das die große Koalition erschüttern. Nahles liegt im Forsa-Politiker-Ranking des „Trendbarometers“ von RTL und n-tv hinter Juso-Chef Kevin Kühnert, der von Anfang an gegen die Groko war. Selbst die Bürgerschaftswahl in Bremen, wo die CDU seit Kriegsende noch nie regiert hat, ist für die SPD eine Herausforderung: Erst 2018 hat sich die CDU für den bis dahin in der Politik völlig unbekannten Unternehmer Carsten Meyer-Heder als Spitzenkandidat entschieden und liegt nun mit der SPD gleichauf.  Verpatzte Wahlen im Mai wären eine schwere Last der SPD für die drei danach noch ausstehenden Landtagswahlen im Osten im September und Oktober.

Es ist eine Binsenweisheit: Umfragen sind noch keine Wahlergebnisse – und dennoch beeinflussen sie die Politik und prägen die Stimmung. Oft verschwimmt dabei die Grenze zwischen dem Möglichen und dem Tatsächlichen. Am Ende kann niemand mehr genau sagen, ob die Umfragen die Entwicklung beeinflusst haben - oder ob es umgekehrt war. Fakt ist aber, dass die Zahlen stets eine Freude für die Punktsieger und eine Warnung für die schlecht Platzierten sind und die Erhebungen der Meinungsforschungsinstitute starken Druck und Eindruck auf Politiker ausüben. Laut Forsa belegen Merkel und Kramp-Karrenbauer derzeit Platz eins und zwei auf der Politiker-Beliebtheitsskala, Merz Platz elf.  Gewinner der Sonntagsfrage in Brandenburg ist die AfD. In Thüringen und Sachsen liegt sie schon längst deutlich vor der SPD. Und jetzt hat sie laut einer Forsa-Umfrage für die „Märkische Allgemeine Zeitung“ auch die in Brandenburg seit 1990 regierende SPD eingeholt: AfD und SPD gleichauf bei 20 Prozent – knapp vor der CDU.

Aber auch Kramp-Karrenbauer wird daran gemessen werden, wie stark die AfD abschneidet. Beim CDU-Parteitag im Dezember sprachen sich die Delegierten gegen Koalitionen mit AfD und Linken aus. Brandenburgs CDU-Chef Ingo Senftleben kann sich hingegen Gespräche mit der Linken vorstellen. Er hat keine Lust auf Daueropposition und will zumindest ein bisschen zündeln, damit die CDU nicht von vornherein als chancenlos gilt, den Ministerpräsidenten zu stellen. Doch nicht nur der Widerstand in der eigenen Partei, sondern auch bei den Linken ist groß.

Bundesparteichef Bernd Riexinger sagt unserer Redaktion: „Ich sehe nicht, wo sich mit der heutigen CDU Verbesserungen für die Menschen im Land erreichen ließen.“ Würde die CDU zu ihrem Programm von 1947 zurückkehren, als sie noch die Überwindung des Kapitalismus, die Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien und starke Mitbestimmungsrechte von Beschäftigten gefordert habe, wären die Linken gern zu Gesprächen bereit. Heute vertrete die CDU aber in erster Linie die Interessen der Reichen und der Konzerne. Riexinger meint: „Um die AfD klein zu halten, brauchen wir gute Politik, nicht schlechte Koalitionen.“ Genau das ist die Herausforderung. Für CDU, CSU, SPD, Grüne, FDP und die Linke.

(kd)
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