Wortführer bei Borussia Dortmund An Hummels scheiden sich die Geister

Dortmund · Der Weltmeister ist nicht kamerascheu, und er kann druckreif reden. Das macht ihn zum Wortführer bei Borussia Dortmund. Ob die Mitspieler begeistert sind, ist nicht bekannt. Denn frei von Fehlern ist er mitnichten.

Mats Hummels bei der EM 2021: Alle Infos zum Abwehrspieler vom BVB
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Das ist Mats Hummels

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Foto: dpa, jhe

Der Weltmeister Mats Hummels (33) sah keinen Anlass für einen längeren Vortrag. Das war so ungewöhnlich wie angebracht, denn seine Borussia aus Dortmund hatte soeben die Borussia aus Mönchengladbach mit 6:0 abgefertigt. Diesmal gab es also nichts zu meckern, nicht einmal für den Chefkritiker in den eigenen Reihen. Ein paar Tage vor dem Europa-League-Rückspiel bei den Glasgow Rangers (Donnerstag) zeigte der souveräne Bundesliga-Zweite sein freundliches Gesicht. „Wir sollten versuchen, jedes Spiel so aufzutreten“, folgerte Kapitän Marco Reus.

Das scheint aber nicht die Dortmunder Art zu sein – jedenfalls nicht in dieser Spielzeit. Leistungen und Ergebnisse bewegen sich wie ein Jo-Jo an der Schnur auf und ab, Beständigkeit gibt es nur in diesem wiederkehrenden Muster.

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Die zurückliegenden Spiele endeten: 5:1 gegen Freiburg, 1:2 bei St. Pauli, 3:2 in Hoffenheim, 2:5 gegen Leverkusen, 3:0 bei Union Berlin, 2:4 gegen die Rangers, 6:0 gegen Mönchengladbach. Diese Logik gebietet eigentlich, gar nicht erst nach Glasgow zu reisen – vor allem, weil das Hinspiel schon derart in die Hose ging. Den scheinbaren Gesetzen dieser Spielzeit will sich allerdings niemand beim BVB ergeben. Auch Reus nicht. Er versicherte: „Wir wissen, dass wir Donnerstag ein Endspiel haben. Wir werden bereit sein.“

Vielleicht ist dann auch Hummels wieder bereit, der Weltöffentlichkeit seine Sicht der Dinge zu unterbreiten. Dazu fühlt sich der wortgewandte Verteidiger allemal berufen. Und dazu, soviel muss zu seiner Ehrenrettung gesagt sein, berufen ihn die Medienmenschen ebenfalls gern. Schließlich beherrscht er selbst kurz nach Spielende die Kunst der gefälligen Analyse. Und er bringt fast immer das kleine sprachliche Kunstwerk fertig, sich selbst außerhalb der Kritik zu stellen. Sogar wenn er „Wir“ sagt, hört jeder zumindest ein bisschen „die Anderen“. Auf Nachfrage würde er bestreiten, dass er sich nach dem Ende eines missratenen Spiels eher in die Rolle dessen begibt, der ein Stückchen außerhalb (oder oberhalb) des Teams steht. Er ist klug genug, im Zweifelsfall darauf hinzuweisen, dass Analyse ein wenig den Blick von außen braucht, und Namen nennt er ja nicht.

Nach dem grandios verpatzten Hinspiel gegen die kampfstarken, aber nicht gerade zu Europas fußballerischer Elite zählenden Rangers hatte Hummels erneut seinen Auftritt als mahnender Spielertrainer. „Wir spielen viel unsinnigen Fußball“, stellte er fest, „so kannst du mal gewinnen und mal verlieren. Aber so wirst du nie erfolgreich sein.“ Er beklagte überflüssige Ballverluste, fehlende defensive Absicherung der eigenen Angriffslust, Stellungsfehler und grundsätzliche Naivität. Einen Mangel an Ausrichtung durch den Trainer erkannte er nicht. Marco Rose gebe schon vor, beteuerte Hummels, doch „wir setzen es auf vielen Positionen nicht um“. Er sagte nicht: „Ich spiele mir manchmal einen schönen Mist zusammen und bin mitverantwortlich für taktisches Fehlverhalten.“

Deshalb hört Hummels sich häufig wie der große (Be-)Lehrer an. Wie begeistert seine Mitspieler darüber sind, die möglicherweise nicht zu gern die Rolle des öffentlich seiner Schwächen überführten Schülers annehmen, ist nicht bekannt. Was in der Kabine vielleicht kein großes Problem ist, wird in der Öffentlichkeit zum Beweis einer Mehrklassen-Gesellschaft, einer ungesunden Hierarchie, die ihren wichtigsten Grund in Wortkunst hat.

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Foto: dpa/Christof Stache

Hummels wird jedoch ein gefragter Gesprächspartner bleiben. Und er wird auch künftig den Kameras nicht aus dem Weg dribbeln. Das liegt an ihm selbst und natürlich auch an den Fragestellern, die stets zufriedenstellend bedient werden. In dieser Dienstleistung bringt Hummels jahre-, ja jahrzehntelange Erfahrung mit. Es hat seiner Ausdrucksfähigkeit sicher nicht geschadet, dass seine Mutter Ulla Holthoff TV-Sportjournalistin war. Und er hat sich ganz selbstverständlich immer als eine Art Mediensprecher verstanden – auch als Mediensprecher für seine eigenen Belange.

Beim Deutschen Fußball-Bund hat er dieses nebenberufliche Amt verloren. Zunächst traf ihn in der seltsam wirren Phase des sogenannten Wiederaufbaus nach dem Desaster bei der WM in Russland der Bannstrahl des Bundestrainers. Dann holte ihn Joachim Löw zur EM im vergangenen Jahr zurück. Bei Löws Nachfolger Hansi Flick spielt der Verteidiger offenbar keine Rolle mehr – auch nicht die des geduldigen Plauderers mit den Medien.

Selten um eine Aussage verlegen: Mats Hummels.

Selten um eine Aussage verlegen: Mats Hummels.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Folglich muss er den Kampf der Fußballdenker um die Deutungshoheit im Heimatverein bestreiten. Man kann davon ausgehen, dass ihn da so schnell keine Müdigkeit ereilt. Die Parole für die nächsten Spiele, vor allem für das Rückspiel in Schottland, hat er jedenfalls bereitwillig ausgegeben: „Die große Überschrift bei uns lautet: Seriöser, erfolgsorientierter Fußball.“ Damit der Weltmeister Hummels später nicht doch noch was zu meckern hat.

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