Wer wird Nachfolger des SPD-Chefs? Das Erbe von Norbert Walter-Borjans

Berlin · Der SPD-Parteivorsitzende hat seinen Rückzug angekündigt. Gute Chancen auf seine Nachfolge hätte etwa Generalsekretär Lars Klingbeil – wenn er das will.

 Norbert Walter-Borjans, Bundesvorsitzender der SPD.

Norbert Walter-Borjans, Bundesvorsitzender der SPD.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Olaf Scholz ist an diesem Freitag gerade im Flugzeug auf dem Weg nach Rom, um am G20-Gipfel teilzunehmen, als in Berlin eine Nachricht die Runde macht, die er bereits kennt: SPD-Chef Norbert Walter-Borjans wird beim Parteitag am 10. Dezember nicht erneut für das Amt des Vorsitzenden kandidieren.

Ist jetzt der Weg für Scholz frei, im zweiten Anlauf selbst Parteichef zu werden? Der starke Mann in der SPD winkt ab. „Klar ist, dass ich mich auf das konzentriere, wofür ich von den Bürgerinnen und Bürgern den Auftrag bekommen habe, eine Regierung zu bilden und der nächste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden“, sagte der 63-Jährige in Rom. Er setzt darauf, dass die Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP zügig vorankommen. Nach Nikolaus will er Kanzler sein.

Scholz dankte Borjans, den er als guten Freund bezeichnete. 2019 waren sie noch Rivalen um die Parteispitze, die der Ex-NRW-Finanzminister und die bis dato völlig unbekannte Saskia Esken gegen Scholz eroberten. Einen Nachfolger für Borjans zu finden, bezeichnete Scholz als „keine schwierige Aufgabe“. Dafür kommt vom 10. Bis 12. Dezember in Berlin ein regulärer Parteitag zusammen, um eine neue Führung zu wählen. Eine Woche zuvor soll auf einem Digital-Parteitag der mögliche Koalitionsvertrag beschlossen werden. Laut Satzung könnte die SPD nach zwei Jahren aber auch wieder von der Doppel- zu einer einfachen Spitze zurückkehren. Doch wird dies in der Partei für weniger wahrscheinlich gehalten.

Esken hatte Anfang August im Interview mit unserer Redaktion signalisiert, im Dezember erneut kandidieren zu wollen. Sie „habe noch eine Agenda“ vor sich. So wolle sie die Digitalisierung der Parteiarbeit vorantreiben und die SPD nach innen wie nach außen für Nichtmitglieder weiter öffnen. An diesem Freitag bedankte sich auch Esken bei „Nowabo“, äußerte sich aber nicht zu einer weiteren Kandidatur. Denn ihr werden auch Ambitionen für einen möglichen Ministerposten nachgesagt – ihre Spezialthemen sind Bildung und Digitalisierung. Und weil Scholz angekündigt hat, sein Kabinett paritätisch mit Männern und Frauen besetzen zu wollen, die FDP aber möglicherweise kaum Frauen schicken wird, erhöht das wiederum Chancen für sozialdemokratische Frauen. Esken bezeichnete Scholz bereits als ministrabel.

Sollte Esken im Kabinett unterkommen, würde das Möglichkeiten für Frauen der bislang zweiten Reihe eröffnen. Denkbar wäre beispielsweise Katja Pähle (44) aus Sachsen-Anhalt, die in den Koalitionsgesprächen das SPD-Team bei den Mega-Themen Gesundheit und Pflege anführt – vor Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.

Ginge Esken bei der Zuteilung der Ressortposten Anfang Dezember leer aus, dürfte sie definitiv Parteichefin bleiben wollen. Theoretisch denkbar wäre dann eine Kampfkandidatur einer gemeinsam antretenden Doppelspitze, die sich beim Parteitag zur Wahl stellen könnte. Weil die SPD-Führung seit geraumer Zeit die erreichte Geschlossenheit wie eine Monstranz vor sich herträgt, spricht einiges gegen einen offenen Machtkampf kurz nach Scholz’ möglicher Kanzlerwahl. 

Wer könnte also an Eskens‘ Seite Parteichef werden? Der strauchelnden Volkspartei ein neues Grundsatzprogramm auf den Leib schneidern? Viele in der Partei schauen derzeit auf Generalsekretär Lars Klingbeil. Er hat den erfolgreichen Wahlkampf maßgeblich geleitet, die Kampagne organisiert, auch dafür gesorgt, dass keine schweren Patzer passierten. Er könne sich nun etwas aussuchen, heißt es intern. Und: Seine Präferenz dürfte auf einem Platz am Kabinettstisch liegen, eventuell als Verteidigungsminister. Sein Vater war Berufssoldat. Doch Klingbeil lässt sich nicht in die Karten schauen, managt derzeit ruhig und konzentriert die Koalitionsverhandlungen für ein Ampelbündnis – und muss dort auch liefern. Umgekehrt würde der 43-Jährige als Vertreter des konservativen Spektrums in der SPD nicht ideal zur klar links aufgestellten Saskia Esken passen. Für diese Option spricht, dass Klingbeil als Mann aus Niedersachsen ohnehin eher geringe Chancen auf ein Ministeramt hat, weil der bisherige Arbeitsminister Hubertus Heil (ebenfalls aus Niedersachsen) als gesetzt gilt.

Spekuliert wird auch über Kevin Kühnert. Dass er an die Parteispitze rückt, wird in der SPD aber als wenig realistisch gesehen. Mehrere Mitglieder der Spitzengremien deuten hinter vorgehaltener Hand an, dass sie Kühnert lieber als Generalsekretär hätten.

Kaum Widerspruch gibt es in der SPD zur Empfehlung von Norbert Walter-Borjans, dass jemand mit Ministeramt nicht an der Parteispitze stehen sollte. „Ein Regierungsmitglied als Parteichefin oder Parteichef ist notwendigerweise immer ein Stück Regierungssprecher.“ Die Arbeitsteilung zwischen Parteivorsitz und Regierungsamt habe sich bewährt, sagte Walter-Borjans im Interview mit unserer Redaktion. Für ihn gilt: „Mission erfüllt“.

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