Heimatgeschichte in Alpen Salz, Kohle und Sorgen um die Sitten

Alpen/Bönninghardt · Heimathistoriker Karl Bröcheler (80) erinnert in einem zweiteiligen VHS-Vortrag im Alpener Rathaus an die Pläne zur Industrialisierung der Bönninghardt. Die wurden von der Solvay und der Gewerkschaft Niederrhein vorangetrieben.

 Karl Bröcheler (80), Ur-Bönninghardter, hat sich intensiv mit der Geschichte seiner Heimat befasst. Sein Wissen gibt er regelmäßig bei VHS-Vorträgen weiter.

Karl Bröcheler (80), Ur-Bönninghardter, hat sich intensiv mit der Geschichte seiner Heimat befasst. Sein Wissen gibt er regelmäßig bei VHS-Vorträgen weiter.

Foto: Fischer/Armin Fischer

Bodenschätze haben auf der Bönninghardt schon vor mehr als 100 Jahren Begehrlichkeiten geweckt. Und es hat nicht viel gefehlt, dann wäre die Bönninghardt längst kein ländlich beschaulicher Höhenzug mehr, sondern eine industrielle Ansiedlung mit weit mehr Menschen als heute hier leben. Ruhrpott eben. Nicht Kies, sondern Salz und vor allem Kohle sorgten über Tage für Umtriebigkeit bei Investoren. Deren weitreichenden Pläne beschäftigten die Kommunalpolitiker in Veen um die Jahrhundertwende. Karl Bröcheler (80), der sich intensiv mit der Geschichte seines Dorfes, in dem er lebt, beschäftigt hat, hat ein spannendes Kapitel aufgeschlagen, von dem nicht mehr viele wissen. Denn die großangelegten Pläne sind nie umgesetzt worden. Den Stoff, den der 80-Jährige beim Abtauchen in die Archive zu Tage gefördert hat, wird er an zwei Abenden in einem bebilderten VHS-Vortrag (160 Folien) vermitteln.

Es geht um großangelegte Landkäufe der Industrie zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. Bröcheler ist bei einer Ausstellung mit Dokumenten aus dem Gemeindearchiv darauf gestoßen. Sie haben seine Neugierde geweckt, und er ist den Dingen in Archiven nach- und auf den Grund gegangen. Kernerkenntnis: Zwischen der Jahrhundertwende und dem Beginn des Ersten Weltkrieges unternahmen zwei Industrieunternehmen erhebliche Anstrengungen, „große Teile der Bönninghardt in ihren Besitz zu bringen“.

Es waren die Solvay in Rheinberg und der Haniel-Konzern in Duisburg. Dem einen ging’s um offenkundig nicht unerhebliche Salz-, dem anderen um vermutlich noch größere Kohlevorkommen. Die Solvay hätte ihren Arm vor allem nach Wald und Bauernkaten ab der Van Laer-Straße (heutiger Waldspielplatz) in Richtung Sonsbeck ausgestreckt. Haniel habe für ihre Gewerkschaft Niederrhein Flächen südöstlich der Van-Lear-Straße Richtung Alpen im Auge gehabt.

Die Solvay hatte, so Bröcheler, Bönnighardtern 572 Hektar Wald abgekauft, die diesen bis dahin „bis zur Schmerzgrenze genutzt hatten“. Die vielen kleinen Parzellen wurden zusammengefasst und von Förster Hugo Feltens verwaltet, der 1911 seinen Dienst antrat. Schon 1906 hatte die Zeche Rheinpreußen, in Besitz von Angehörigen der Haniel-Familie, auf der Bönninghardt zwischen Dachpappenfabrik und Metzekath vier Bohrtürme errichtet, um das Erdreich zu erkunden. Die Schürfrechte für die ganze Region habe bei der Haniel-Tochter Gewerkschaft Niederrhein gelegen.

Das Bohrloch auf dem Acker zwischen dem heutigen St.-Martin-Kindergarten und der ehemaligen Heideschule war offenkundig nicht richtig verschlossen worden. In den 40er Jahren hat sich hier plötzlich die Erde aufgetan, der Boden war nachgerutscht. Der Trichter wurde mit Schutt und Asche verfüllt.

Für die Errichtung von Schächten war der Bereich unter der Kastanienallee an der Winnenthaler Straße vorgesehen. Der nahe Bahnhof an der Linie der Köln-Mindener Eisenbahn war Teil der geplanten Infrastruktur. Kohle und Salz konnten leicht abtransportiert werden. Pfarrer und Lehrer aber betrachten die sich abzeichnende Industrialisierung auf der Hei mit großer Sorge. Pfarrer Sanders sah „das Ende der Naturschönheit“ heraufziehen und befürchtete die Verschlechterung der „sozialen und moralischen Verhältnisse“.

Längst hatten Spekulanten Wind von den Landkäufen bekommen und versuchten ihrerseits Profit daraus zu schlagen. Die Industrieunternehmen hätten sich mit den Geschäftemachern – „den Hauptspekulanten der dortigen Gegend verständigt“. Wie weit die Vorbereitungen für Ansiedlungen eines großen Industriekomplexes gediehen waren, so Bröcheler, hätten Verhandlungen über den Erwerb des evangelischen Friedhofs gezeigt. Die Planungen der Gemeinde seien weitreichend gewesen. Käufer sollten sich für den Fall, dass Arbeiterkolonien errichtet werden würden, verpflichten, für Kirchen, Schul- und Verwaltungsgebäude sowie Friedhöfe die dazu erforderlichen Grundstücke unentgeltlich zur Verfügung zu stellen.

 Pastor Sanders sorgte sich um die moralischen Verhältnisse.

Pastor Sanders sorgte sich um die moralischen Verhältnisse.

Foto: Bröcheler

Der Erste Weltkrieg stoppte die Planungen. In der Weltwirtschaftskrise verloren Spekulanten und Unternehmen viel Geld. Erst Ende der 20er Jahre nahm das Projekt allmählich wieder Fahrt auf. Ein Vertrag von 1928 legt fest, dass am 1. Januar 1930 mit dem Bau einer Doppelschachtanlage begonnen werden sollte. „Der Vertrag lief bis zum 31. März 1974“, so Bröcheler, „und wurde dann um weitere 25 Jahre bis 1999 verlängert“.

Warum er nie erfüllt worden ist, so der Heimatforscher, lasse sich nicht ermitteln. Nur so viel: Die Familie Haniel veräußerte 1960 ihre Anteile an der Gewerkschaft Niederrhein an die Rheinpreußen Aktiengesellschaft für Bergbau und Chemie. „Damit war die Industrialisierung der Bönninghardt wohl endgültig vom Tisch“, so Bröcheler. In der Folge gingen etliche Häuser wieder zurück an die ehemaligen Bewohner.

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