Heimatgeschichte Der Synagogenbrand-Prozess von Kleve

Kleve · Drei SS-Männer aus Goch und Pfalzdorf wurden im Mai 1948 wegen der Taten in der Juden-Pogromnacht vom 10. November 1938 am Landgericht Kleve zu Haftstrafen verurteilt. Ruth Warrener berichtet in An Niers und Kendel.

 Eine Ansichtskarte der Voßstraße von 1910. Rechts das Gebäude der Martin-Franz-Stiftung, das ehemalige Wohnhaus der Familie Fonck. Auf der Voßstraße wohnten früher viele jüdische Mitbürger, die auch Geschäfte führten. Die Abbildung steht symbolisch für drei Beiträge im neuen Heft.

Eine Ansichtskarte der Voßstraße von 1910. Rechts das Gebäude der Martin-Franz-Stiftung, das ehemalige Wohnhaus der Familie Fonck. Auf der Voßstraße wohnten früher viele jüdische Mitbürger, die auch Geschäfte führten. Die Abbildung steht symbolisch für drei Beiträge im neuen Heft.

Foto: Marc Cattelaens

Die Phase der Diskriminierung, Entrechtung und Ermordung der jüdischen Mitbürger im Nazi-Deutschland begann bekanntlich  in der Nacht des Juden-Pogroms am 10. November 1938. Überall im Land, auch in Goch, wurden die Synagogen angezündet und jüdische Geschäfte zerstört. Diesem Thema widmet sich die kürzlich mit dem Rheinlandtaler des Landschaftsverbands Rheinland ausgezeichnete Autorin Ruth Warrener im Heft Nr. 63 der Historischen Zeitschrift „An Niers und Kendel“ auf zehn Seiten – und aus einem völlig anderen Blickwinkel. Denn Ruth Warrener stützt sich in ihrem Beitrag mit der Überschrift „Im Namen des Rechts!“ auf die Originalquellen aus dem sogenannten „Synagogen- und Brandstifterprozess (1947-1948)“, der am Landgericht in Kleve stattfand und bei dem drei SS-Männer zu allerdings vergleichsweise milden Strafen verurteilt wurden.

Die Autorin hat dabei die Quellen so zusammengestellt, dass sie sozusagen aus erster Hand einen Überblick über die zeitlichen Geschehnisse in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 bieten. Im Mittelpunkt stehen die Aussagen des ehemaligen SS-Scharführers Helmut R. aus Goch, dem gegenüber stehen Zeugenaussagen von Gochern, die von den Darstellungen der Täter abweichen und die Ereignisse aus einem anderen Blickwinkel darstellen, darunter auch die Zeugenaussage des damaligen Brandmeisters Mathias Vaegs, Vater des Gocher Ehrenbürgermeisters Willi Vaegs, der schilderte, dass die SS das Löschen der in einem Hinterhof an der Herzogenstraße seit 1812 stehenden Synagoge verboten hatte und die Feuerwehr nur die angrenzenden Häuser sichern durfte.

 1935 entstand dieser Blick in den Innenraum der Gocher Synagoge an der Herzogenstraße, die 1938 zerstört wurde.

1935 entstand dieser Blick in den Innenraum der Gocher Synagoge an der Herzogenstraße, die 1938 zerstört wurde.

Foto: Marc Cattelaens

Fünf Männern wurde der Prozess gemacht, als Landgerichtsdirektor Thielmann im Mai 1848 das Urteil verkündete, wurden zwei von ihnen freigesprochen, einer mangels Beweises, der andere wegen erwiesener Unschuld. Das „härteste“ Urteil bekam eben jener SS-Scharführer Helmut R., ein Kaufmann aus Goch, der zu der Zeit bereits in Untersuchungshaft in der damaligen Haftanstalt  Bedburg-Hau saß und wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung“ zu einer Gefängnisstrafe von 18 Monaten verurteilt wurde. Der Stadtinspektor Walter H. aus Pfalzdorf bekam eine Strafe von acht Monaten, der Polsterer Karl W. aus Goch von fünf Monaten. In seiner Urteilsbegründung vom 26. Mai 1948 hatte Landgerichtsdirektor Thielmann unter anderem angeführt, dass „eine Reihe von Umständen die Tat in einem mildernden Licht erscheinen“ ließen, denn die Ausschreitungen gegen die Juden hätten in Goch „nicht annähernd das Ausmaß erreicht“ wie in vielen Großstädten.  Die Angeklagten hätten auf Befehl von höchster Stelle gehandelt, nicht zuletzt auch deshalb hielt der Richter die Tat des Hauptangeklagten Helmut R. auch nicht „für zuchthauswürdig“.

Erwiesen wurde in dem Prozess, dass in der Juden-Pogromnacht etwa 15 bis 20 SS-Leute an den Taten beteiligt waren, die Bürger Gochs machten nicht mit, unternahmen allerdings auch nichts dagegen. Tatsache ist: Um 10 Uhr waren  von der Synagoge nur noch rauchende Trümmer übrig, die Geschäfte der jüdischen Familien Hertz, Bruch, Koopmann, Bruckmann und Devries in der Innenstadt waren zerstört, die jüdischen Männer zwischen 18 und 55 Jahren wurden verhaftet und  wurden später in die Klever Haftanstalt gebracht. Alle Juden, die im Herbst 1941 noch in Goch lebten, wurden in die Ghettos Litzmannstadt, Riga oder Theresienstadt deportiert, wo die meisten den Tod fanden, schreibt Ruth Warrener.

Aus der Feder des kurz vor dem Weihnachtsfest im Alter von 92 Jahren verstorbenen Hommersumer Heimatforschers Franz Gommans stammt ein achtseitiger Beitrag über den Pfarrer und Historiker Viktor Huyskens, der 1817 in Wachtendonk geboren wurde, 1892 in Hommersum starb und sich „als Lokalhistoriker in der Niers-Kendel-Region unsterblich gemacht hat“. Insgesamt 24 Jahre lang war der Pfarrer in dem 500-Seelen-Ort tätig, nicht alleine als Seelsorger, sondern auch als (Hobby-)Archäologe. Heimatkundliche Beiträge des Seelsorgers wurden auch in der RP in zwei Serien in den Jahren 1958 und 1963 veröffentlicht. Die Pfarrgemeinde ehrte Huyskens mit einem Denkmal aus der Werkstatt von Ferdinand Langenberg, zudem wurde die Dorfstraße 1975 umbenannt in Huyskensstraße.

150 Jahre Martin-Franz-Stiftung, vom Waisenhaus zum Kindergarten, heißt der Titel des zeitgeschichtlichen Rückblicks von Dieter Bullack, beginnend mit dem Namensgeber Martin Franz Fonck, der am 20. März 1779 in Goch geboren wurde und als Gutsbesitzer und Ölhändler sein Geld verdiente. Er starb am 10. Juni 1865 in Goch, seine Schwester Josefine Fonck setzte seinen letzten Willen in die Tat um und am 16. Oktober 1865 wurde die Einrichtung einer Erziehungsanstalt für verwahrloste bedürftige Knaben katholischer Konfession beurkundet, die staatliche Genehmigung kam am 26. Oktober 1868. Das Grundstück mit dem Fonck’schen Wohnhaus auf der Voßstraße und einem zur Herzogenstraße hin gelegenen Haus wurden der Stiftung übergeben, der Name lautete Martin-Franz-Waisenhaus. Im Jubiläumsjahr 2018 war die Stiftung Trägerin von vier Kindertageseinrichtungen.

Über die vielfältigen Zusammenhänge und Verflechtungen der großen  Familie Fonck und einen spektakulären Mordprozess gegen den in Goch geborenen Kaufmann und Fabrikanten Peter Anton Fonck berichtet der einstige Stadtarchivar und Gocher Geschichtsschreiber der Neuzeit, Hans-Joachim Koepp. Der Mordprozess gegen Fonck, dem zur Last gelegt wurde, den Krefelder Kaufmann Wilhelm Coenen im Dezember 1816 getötet zu haben, erregte sieben Jahre lang die Gemüter der deutschen Bevölkerung und der Justiz, die Gerichtsverhandlung musste gar von Krefeld nach Trier verlegt werden, weil die Krefelder Bürger zu starken Anteil nahmen, schreibt Koepp. Der Prozess wurde mit einer Fülle an Literatur überschwemmt, auch der Angeklagte selbst veröffentlichte drei Bücher. Das Geschworenengericht in Trier verurteilte ihn mit acht gegen vier Stimmen 1822 zum Tode, aber der preußische König Friedrich Wilhelm III. entschied sich dagegen und Fonck wurde 1823 freigesprochen. Übrigens wurde der Mordprozess als Zusammenfassung in der Rheinischen Post in etwa 100 Folgen in den Jahren 1959 bis 1960 veröffentlicht und der Gocher Schriftsteller Fridolin Aichner (das Pseudonym des Gocher Gymnnasiallehrers Irmfried Benesch) schrieb 1975 einen Roman mit dem Titel „Gerüchte. Die Geschichte des Gocher Kaufmanns Peter Anton Fonck“.

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