Max Eberl im Interview "Es wird bei Borussia keinen radikalen Umbau geben"

Mönchengladbach · "Ich denke, ich bin ein sehr offener und transparenter Mensch", sagt Max Eberl im Interview mit unserer Redaktion. Entsprechend viel Zeit nimmt sich Borussias Manager, um zu erklären, was er sich von den letzten zwei Saisonspielen erhofft, wie groß die Veränderungen im Sommer ausfallen werden und welche Lehren er persönlich zieht.

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Zweigleisig zu planen, bedeutete früher Klassenerhalt oder Abstieg. Jetzt geht es um die Frage: Europapokal oder kein Europapokal? Planen Sie momentan zweigleisig?

Eberl Zweigleisig würde ich es nicht nennen. Wir planen die neue Saison mit den Erkenntnissen, die wir in den letzten Jahren gewonnen haben. Wir bewegen uns ja schon seit einer Weile in diesen Regionen und es war zu diesem Zeitpunkt einer Saison selten klar, ob es Europa wird. Oder es ging um die Frage, ob Champions League oder Europa League.

2011 im Abstiegskampf hatte Borussia unter Lucien Favre am Ende dieselben Gegner: Freiburg zu Hause und Hamburg auswärts. Und Frankfurt war ebenfalls die Mannschaft, die es einzuholen galt. Wiederholen sich die Ereignisse?

Eberl Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Dass im Fußball kuriose Dinge passieren, kann man jeden Spieltag beobachten. Wenn es wir wie damals schaffen, wäre das ein schönes Happy End.

Wäre das für Sie und auch Dieter Hecking Genugtuung nach einer intensiven und debattenreichen Saison?

Eberl Das Wort Genugtuung mag ich genauso wenig wie das extreme Schwarz-Weiß-Denken. Das beziehe ich nicht nur auf Gladbach, sondern auf fast alle Teile der Gesellschaft. Eine objektive Betrachtung der Situation gibt es kaum noch. Wir versuchen, für uns immer die Realität zu finden. Dass es andere Meinungen geben kann, ist gerade im Fußball völlig normal. Das Resultat ist die gemeinsame Basis, aber zur Art und Weise, wie es zustande kam, gibt es unterschiedliche Ansichten. Es war bislang eine intensive Saison und wir haben noch zwei intensive Spiele vor uns.

Über die Mannschaft ist in den vergangenen anderthalb Jahren ein wenig der Ruch des Verpassens gekommen. Sie haben das verlorene Pokal-Halbfinale 2017, das Europa-League-Aus gegen Schalke und die verpasste Qualifikation für Europa am Saisonende auch schon einmal in diesem Kontext erwähnt. Ist Borussia vor diesem Hintergrund — sogar der sechste Platz ist noch möglich — dem Druck gewachsen?

Eberl Wir haben es unter Dieter Hecking geschafft, uns schnell aus der Abstiegsregion zu entfernen, haben es ins Pokal-Halbfinale geschafft und ins Europa-League-Achtelfinale. Für mich ist das kein Verpassen, sondern wir haben es in diesen Wettbewerben weit gebracht und uns große Chancen erarbeitet. Was diese Saison angeht, habe ich von Beginn an gesagt, dass es in der Bundesliga sehr eng werden würde — bis auf die Meisterschaft, obwohl es da anfangs auch anders aussah. Dass Borussia, wenn alles optimal läuft, eine Chance hat, um Europa zu spielen, habe ich trotzdem immer gesagt. Leider kann man mit Fug und Recht behaupten, dass nicht alles optimal gelaufen ist: Wir hatten die Verletzten, wir hatten Leistungsschwankungen, wir hatten Probleme drumherum. Damit ist es für Borussia schwierig, nachhaltig in den Kampf um Europa einzusteigen. Ich bin sehr froh darüber, dass wir auf Platz neun stehend von den Punkten her noch im Dunstkreis sind. Deshalb bin ich weit davon entfernt, uns als Verein der verpassten Chancen zu bezeichnen.

Sie haben aber Verständnis dafür, dass den Fans so ein Spiel wie das Pokal-Halbfinale immer noch in den Kleidern hängt?

Eberl Dass wir alle sehr gerne nach Berlin gefahren wären letztes Jahr, ist unbestritten. Ich sage auch nicht, dass wir Roboter sind und keine Emotionen haben. Aber ich wehre mich dagegen, deshalb einen grauen Schleier über alles zu legen. Ich will gar nicht dauernd in die Vergangenheit schauen und daran erinnern, wo wir herkommen. Aber ich muss es immer wieder tun, weil nicht mehr die Realität betrachtet wird. Niemand sagt, dass wir chancenlos sind, wenn es um Europa geht, aber es müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt werden. Und ich will daran erinnern, wie viele Spieler damals im Pokal-Halbfinale gefehlt haben. Das hat mich geärgert, dass wir in den wichtigsten Spielen der Saison nicht die beste Mannschaft auf dem Platz hatten.

Glauben Sie, dass die Qualifikation für Europa vor dem Hintergrund besonders befreiend wirken könnte? Oder machen Sie die Gesamtbewertung davon frei?

Eberl Auf jeden Fall wollen wir beide Spiele gewinnen. Wenn uns das gelingt, ist die Chance definitiv da, noch nach oben zu rutschen. Auch wenn wir dann zehn Punkte aus vier Spielen geholt haben, wird der eine oder andere darauf hinweisen, wo noch mehr drin war. Aber das ist im Fußball nun einmal so. Bei aller Euphorie oder Enttäuschung ist es meine Aufgabe als Sportdirektor, trotzdem zu versuchen, die Dinge objektiv einzuordnen. Dann müssen wir die richtigen Schlüsse daraus ziehen und in der nächsten Saison wieder angreifen. Wir dürfen nicht vergessen: Von 18 Vereinen verpassen 13 in der Regel mehr oder weniger ihre Ziele.

Gibt es schon erste Erkenntnisse, wie groß der Umbruch wird?

Eberl Ich habe gelernt, dass manche Äußerungen schwer einzufangen oder zu relativieren sind. Fakt ist, dass wir eine Mannschaft mit Qualität und Potenzial haben. Jetzt müssen wir im ersten Schritt überlegen, was zu tun ist, damit wir diese Mannschaft länger und vollständiger zur Verfügung zu haben. Im zweiten Schritt wird es aber keinen radikalen Umbau geben. Wir müssen Puzzleteile finden, die unserem Spiel gut tun. Natürlich wird es Zu- und Abgänge geben, aber wir reden nicht davon, dass acht Spieler gehen und acht Spieler kommen. Es kann sein, dass es den einen oder anderen betrifft, bei dem man es nicht erwartet hätte. Genauso können wir Spieler holen, mit denen man eher nicht gerechnet hätte.

Können Sie diesmal bewusstere Akzente setzen, weil bislang nicht in Sicht ist, dass Sie auf unfreiwillige Abgänge reagieren müssen?

Eberl Momentan gibt es keinen Dahoud, Christensen, Xhaka, Kramer oder Reus, bei denen wir wussten, dass es aufgrund der Vertragslage ziemlich sicher ist, dass sie uns verlassen. In allen Bereichen haben wir das Heft des Handelns in der Hand. Natürlich gibt es großes Interesse an Spielern, aber es gibt keine Klauseln und keine Verträge laufen aus. Wir waren nie der Verein mit den größten Umwälzungen, sondern haben uns sukzessive verändert.

Wie sieht Borussias neue Vision aus?

Eberl Lucien Favre, André Schubert und Dieter Hecking haben jeder ihren Teil zu unserem Stil beigetragen. Den werden wir nicht radikal verändern, denn unser Kader ist dafür ausgelegt. Natürlich gab es Momente, in denen wir Mentalität und Aktivität vermisst haben. Die Thematik werden wir angehen, aber deshalb werden wir nicht nur noch auf den zweiten Ball spielen und pressen, pressen, pressen. Es gibt Überlegungen, im Sturm mal etwas anderes zu machen. Ob es dann so kommt, ist eine andere Sache. Mit Raúl Bobadilla haben wir das übrigens schon in dieser Saison versucht. Leider war er viel verletzt. Wir wollen schwieriger auszurechnen sein. Das Tor in Schalke war ein Paradebeispiel dafür, wie wir Fußball spielen wollen.

Als Sie im "Doppelpass" waren, hat Thomas Strunz gesagt, Borussia müsse sich von Lucien Favre emanzipieren. Ist das ein wichtiges Schlagwort?

Eberl Selbst wenn es darum ginge, sich zu emanzipieren: Wir werden in der Öffentlichkeit immer wieder mit dem Namen Lucien Favre konfrontiert. Das kommt ja nicht von uns. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass in dieser großartigen Zeit auch nicht alles mit Begeisterung von alles Fans getragen wurde. Ich erinnere mich an 0:0-Spiele, die manche Leute nicht so toll fanden. Das letzte Jahr unter Lucien, als wir Dritter geworden sind, war nahe an der Perfektion. Aber in den Jahren davor gab es Phasen, in denen an unserem Fußball gezweifelt wurde. Lucien Favre hat eine Zeit geprägt, aber auch André Schubert hat seine Zeit geprägt.

Inwiefern?

Eberl Er hat uns innerhalb von drei Tagen, aufbauend auf Favre, einen neuen Stil gegeben, was Aktivität und Pressing anging. In der Saison danach hat er die Mannschaft durch zu viel Kreativität leider ein Stück weit destabilisiert. Da hatten wir keine fußballerische Basis mehr. Hätte André sich auf eine Sache konzentriert, hätte es durchaus funktionieren können.

Und Dieter Hecking?

Eberl Dieter hat es dann geschafft, es wieder zu stabilisieren. Das wird leider ein wenig weggedrückt. Wir haben zweimal eine Halbserie mit 28 Punkten gespielt. Trotzdem mussten wir uns nach dem Hamburg-Spiel im Dezember rechtfertigen, als wir punktgleich mit dem Dritten waren.

Dann kam allerdings die Rückrunde, in der es lange gar nicht lief.

Eberl Da gab es sicher einige Spiele, nach denen man sagen konnte. 'Hey, so geht es nicht!‘ Ich denke da an Stuttgart, Leverkusen oder Bayern. Aber in Frankfurt zum Beispiel, wo wir 0:2 verlieren, haben wir den Gegner in der zweiten Halbzeit dominiert, genauso den BVB hier zu Hause.

Ist Borussia also schon emanzipiert von Favre?

Eberl Lange Rede, kurzer Sinn: Emanzipiert von Lucien Favre bin ich schon lange und jeder andere sollte es auch sein, weil es eben weitergeht. Jetzt wollen wir das, was Lucien und seine Nachfolger reingebracht haben, vielleicht um den einen oder anderen Ansatz erweitern.

Wie sehr sind Ihre Pläne auf dem Transfermarkt davon abhängig, dass doch eine Summe X reinkommt? Stand jetzt wären die Möglichkeiten begrenzt, aber es könnten sich noch ganz große auftun.

Eberl Wir haben Möglichkeiten in einer Spanne von wenig bis extrem viel, das stimmt. Das ist es, was den Transfermarkt anders macht als in der Vergangenheit, als wir frühzeitig wussten, welche finanzielle Möglichkeiten wir haben. Vergangene Saison hatten wir erst nur die Einnahmen durch Mo Dahouds Weggang für eine feste Ablösesumme. Den Rest, den wir dann gemacht haben, mussten wir uns erarbeiten. So wird es dieses Jahr sicher auch sein. Wenn wir Spieler dazu nehmen, heißt es ganz sicher, dass auch Spieler gehen müssen, weil ihre Einsatzchancen geringer würden. Auf diese Weise kann ich versuchen, zusätzliches Geld zu bekommen und es in die Mannschaft zu investieren.

Wissen die Spieler, die es treffen könnte, das schon?

Eberl Die Gespräche werden wir mit den Jungs und ihren Beratern führen. So wie die Spieler uns kontaktieren, dass sie gerne etwas anderes machen würden, läuft es auch von unserer Seite.

Die Krux könnte sein, dass Spieler wie Nico Elvedi, Jannik Vestergaard, Denis Zakaria oder Thorgan Hazard durch ihre WM-Präsenz auf den Markt kommen, hier aber in den Planungen eine große Rolle spielen. Gibt es unverkäufliche Spieler?

Eberl Wir können agieren und müssen nicht reagieren. Aber ich kann mich nicht hinstellen und sagen: Elvedi, Vestergaard, Cuisance, Hazard, Zakaria und wie sie alle heißen, sind definitiv unverkäuflich.

Gibt es das Wort heute überhaupt noch?

Eberl Wir sind nicht Real, Barca oder Man City, die alles frei entscheiden können. In der Bundesliga gibt es wohl nur einen Klub, der das Wort unverkäuflich in den Mund nehmen kann. Letztendlich bedeutet das ja, auch bei 80 oder 90 Millionen Euro abzulehnen. Natürlich gibt es immer Situationen, in denen wir als Borussia gar nicht anders können. In dem Fall sollten Ideen bereitliegen. Der englische Transfermarkt wird am 9. August geschlossen. Das ist für uns ein Vorteil, weil Konkurrenten wie Stoke, Southampton oder West Ham danach nicht mehr auf dem Markt sein werden. Das würde Transfersummen normalisieren und unsere Spieler könnten eben nicht mehr dorthin wechseln. Wir fangen am 25. August mit der Saison an, bis dahin wird es also ein paar Wochen geben, in denen es halbwegs normal ist. Und bis dahin wissen wir, ob es diese exorbitanten Transfereinnahmen für uns gegeben hat.

Heißt, Sie benötigen im übertragenen Sinne einen größeren Aktenschrank für all die Schubladen mit Ideen.

Eberl Wir reden ja nicht mehr davon, ob ein Spieler 15 oder 18 Millionen kostet. Der eine kostet vielleicht fünf, der andere 60. Die Spanne ist eine ganz andere. Natürlich werden auch die Spieler, die wir dann wollen, teurer. Das ist ein ganz anderes Regal, in dem ich mich bedienen könnte — oder auch nicht, wenn ich keinen für viel Geld abgegeben habe. Erstmal ist es schön, dass wir diese Spieler haben und alle Lust auf Gladbach haben. Das gibt uns ein gutes Gefühl.

Empfinden Sie diese neue Konstellationen als angenehm herausfordernd oder manchmal als beängstigend?

Eberl Die Zahlen sind beängstigend. Aber ich habe Ihnen schon letztes Jahr im Interview gesagt, dass es wie Monopoly ist: Als wenn man um dieses Viereck herumsitzt, Spieler A abgibt, Spieler B holt und dann das Spielgeld austauscht. Ob das nun schwierig ist oder nicht, der Situation müssen wir uns eben stellen. Als es 2009 bei Marco Reus und Ahlen in den Verhandlungen darum ging, ob wir 800.000 oder 1.000.000 Euro bezahlen, war das auch schwierig. Da wurde mir gesagt: Max, du weißt schon, dass das ein Drittel unseres Budgets für den Sommer ist? Entscheidungen zu treffen, ist immer schwierig.

Was macht Ihnen mehr Spaß: Einen Michael Cuisance zu entdecken und zu holen oder mit dem Gewinn aus dem Verkauf Granit Xhakas einkaufen zu gehen?

Eberl Wenn meine Scoutingabteilung ankommt und mir sagt, wir haben da so einen, dann macht es mir Spaß. Wenn nicht, dann nicht (lacht). Das sind natürlich schöne Bonbons, wenn wir solche Spieler finden. Das sind aber auch Spieler wie Herrmann, Jantschke, ter Stegen, Korb, Dahoud aus dem eigenen Nachwuchs. Mit viel Geld einkaufen zu können, heißt erst einmal, dass wir einen guten Transfer getätigt haben. Darüber freut man sich auch. So einen Topspieler zu ersetzen, ist aber nicht einfach. Wir verkaufen oft Qualität und kaufen Potenzial.

Gibt es Jungs aus dem eigenen Nachwuchs, die in der kommenden Saison eine größere Rolle spielen werden?

Eberl Das wünschen wir uns. Florian Mayer und Jordan Louis Beyer werden wir komplett dazu nehmen, Moritz Nicolas ist als dritter Torwart ja schon dabei. Unser Niveau hat sich in den letzten Jahren enorm gesteigert. Da muss das Nachwuchsleistungszentrum aufholen, weil es momentan eine Phase ohne diese totale Breite gibt. Aber wenn ich die Spitze nehme, all die Spieler, die in den vergangenen Monaten bei den Profis mittrainiert haben, dann ist das immer eine gute Qualität. Stand heute mag es so sein, dass sie uns nicht direkt auf die nächste Stufe hieven. Das war bei Mo Dahoud oder Marc-André ter Stegen anders. Aber es tut uns gut, dass sie unsere Möglichkeiten erweitern. Die U17 macht einen guten Eindruck und selbst in der U19, die lange im Abstiegskampf steckte, gibt es einige, bei denen ich auf die weitere Entwicklung gespannt bin.

Wie wichtig ist Kreativität in dem Kontext? Es hat immer wieder Leihgeschäfte gegeben wie mit Hazard, Christensen und Oxford.

Eberl Auch das wird immer eine Rolle in unseren Überlegungen spielen. Wenn du keinen großen Transfer machen kannst, auf einer Position aber noch ein Loch im Kader hast, musst du den Weg der Leihe immer im Hinterkopf haben, um zumindest die nächste Saison zu überbrücken. Thorgan Hazard haben wir behalten können, Andreas Christensen nicht. Reece Oxford hat leider ein wenig unter dem gelitten, was im Winter passiert ist. Trotzdem hat er unserem Kader, gerade vor der Winterpause, gut getan.

Langjährige Kaderplanung ist kaum noch möglich. Nehmen wir einen Denis Zakaria: Ob der in zwei Jahren noch da ist, kann niemand sagen.

Eberl Kaderplanung betrifft natürlich die einzelnen Spieler, aber die generelle Ausrichtung ist auch eine Planungsgrundlage. Da versuchst du, mittelfristig zu planen und dich nicht nur von Jahr zu Jahr zu hangeln. Wenn sich Spieler gut entwickeln, ist das schön. Und wenn es mich nicht täuscht, haben wir Spieler selten nach einem Jahr verkauft, sondern sie waren mindestens zwei, drei Jahre bei uns. Das ist schon die Zeit, über die wir beim Stichwort Mittelfristigkeit reden.

Sie haben gesagt, dass Dieter Hecking stabilisiert hat. Inwieweit trauen Sie ihm zu, Borussia auch mit Innovationen in die Zukunft zu führen?

Eberl Ich weiß, dass Dieter auch für diese Saison Ansätze hatte, die er aber aufgrund fehlender Qualität durch Verletzungen oftmals nicht umsetzen konnte. Er sagt selbst, dass er sich am Ziel Europa messen lassen will — da ist er übrigens offensiver als ich —, wenn ihm alle Kräfte zur Verfügung stehen. Wir wälzen nicht alles auf die Verletzten ab. Dafür ist unser Kader auch breit genug und wir sind nicht in untere Tabellenregionen abgerutscht, in denen sich andere große Vereine bewegen. Für uns alle ist zunächst die Planung der neuen Saison eine Herausforderung und dann geht es darum, auch wieder einen Schritt nach vorne zu gehen. Die Leistungen gegen Wolfsburg und gegen Schalke speziell in der ersten Halbzeit, aber auch mit all den Bemühungen gegen einen sehr gut verteidigenden Gegner in der zweiten Halbzeit, haben gezeigt, zu was die Mannschaft in der Lage ist, wenn alles funktioniert.

So wie sich die Transferperiode etwas ziehen könnte, ist auch beim Vertrag des Trainers keine schnelle Entscheidung zu erwarten. Ist es für Sie eine Lehre der jüngeren Vergangenheit, es da langsamer angehen zu lassen, oder ist Dieter Hecking kein Trainer, der diese Form der Bestätigung benötigt?

Eberl Erstmal habe ich nie etwas anderes gesagt als nach dem Sieg gegen die Bayern: Wir werden den richtigen Zeitpunkt finden, und bis zum Start der neuen Saison werden wir gesprochen haben. Das habe ich im Februar nochmal gesagt, auf einer Pressekonferenz nochmal, und dann wird jedes Mal so getan, als hätte ich irgendetwas gestoppt. Natürlich werden wir uns nach der Saison hinsetzen und reden. Aber ich weiß eben noch nicht, ob wir dann verlängern oder nicht. Ich will einen nachhaltigen Weg und denke, dass wir das unter Beweis gestellt haben. Trotzdem werden wir selbstverständlich darüber diskutieren, was uns gut tut und Dieter wird auch sagen, was ihm gut tut.

Es ist aber davon auszugehen, dass der Trainer bleibt?

Eberl Ja, das habe ich schon gesagt. Seiner Frau muss man auch nicht jeden Tag sagen: 'Ja, wir bleiben zusammen.‘ Die Frage nach der Zukunft des Trainers brauche ich nicht jede Woche.

Dass alles noch schnelllebiger wird, beklagen fast alle Verantwortlichen im Fußball.

Eberl Eine längere Betrachtungsweise ist inzwischen sehr schwierig. Jedes Wochenende wird bewertet, ob es gut oder schlecht war, was ein Klub in der Summe getan hat. Vielleicht überspitze ich auch ein bisschen, aber dieses Gefühl habe ich. Deswegen weiß ich nach der Derby-Niederlage in Köln, als wir in der 85. Minute einen Elfmeter bekommen müssen und in der 95. durch unsere Schlafmützigkeit das 1:2 kassieren: Wir verlieren nicht nur ein Derby, sondern die Stimmung ziehen wir erstmal mit. Zwar haben wir dann 2:0 gegen Augsburg gewonnen, aber die nächsten Spiele verloren — und alles war plötzlich Mist. Das macht es heute deutlich komplizierter als vor zehn Jahren. Man kommt in diese Mühle, sich für alles rechtfertigen zu wollen, selbst wenn man gar nicht müsste, und irgendwann wird gar nicht mehr alles gehört oder wahrgenommen.

Wenn Sie in die zweite Sommer-Vorbereitung mit demselben Trainer gehen, gehören Sie zur Minderheit in der Liga.

Eberl Das ist keine gute Entwicklung. Was momentan um den Fußball herum passiert, ist auch nicht gut: Thematik Horst Heldt, Thematik Max Meyer, Thematik Ousmane Dembélé, aber auch Thematiken, die wir hier im Stadion hatten. Da geht es oftmals gar nicht mehr um den Fußballsport an sich, ob wir 4-3-3 gespielt haben und wann der Trainer umgestellt hat. Viele Menschen — auch wir Fußball-Akteure — machen Themen auf, die ich für falsch halte. Natürlich ist der Fußball immer ein Umfeld, um Emotionen rauszulassen. Aber wir müssen aufpassen, dass das Spiel mit allem Spaß und aller Enttäuschung, die da drinsteckt, nicht übertüncht wird von Politik, Selbstdarstellung, Eitelkeiten. Ich lese jedes Wochenende so viele Plakate im Stadion. Dem Fußball wird so viel aufgedrückt. Wie soll er das alles aushalten?

Wie kommt man denn wieder dahin, dass das Geschehen auf dem Platz entscheidend ist?

Eberl Ich kann das nicht abschließend sagen. Dazu müssen wir alle unseren Teil beitragen, die mit diesem Sport unglaublich viel Freude verbinden. Diese Freude darf nicht verloren gehen. Ich habe kein Rezept, aber ich werde mich immer gegen Dinge wehren, die ich als ungerecht erachte.

Zum Beispiel?

Eberl Dinge, die — um wieder auf Borussia zu kommen — unseren Weg vielleicht konterkarieren. Deshalb habe ich den Weg des Vereins auf der Mitgliederversammlung so ausführlich nachgezeichnet, zum Beispiel mit dem Hinweis auf den Pokalsieg 1995, der so viel Geld gekostet hat und in den Jahren danach ins Niemandsland führte. Wir waren auf dem Weg, ein Klub wie Waldhof Mannheim oder Rot-Weiss Essen zu werden. Wer weiß, was passiert wäre, wenn Rolf Königs nicht gewesen wäre. Und wenn ich mich wehre, geht es nicht um meine Person, sondern um den Verein. Mehr, als dafür einzustehen, kann ich nicht. Auch wenn es niemand hören will, habe ich nach dem Hamburg-Spiel eben nur so reagiert, weil ich emotional berührt war und Angst hatte, dass wir uns etwas kaputt machen.

Sie sind im zehnten Jahr Sportdirektor bei Borussia. Gibt es Lehren, die Sie aus einer intensiven Saison wie dieser ziehen?

Eberl Auch wenn das sehr plakativ klingt: Ich lerne jeden Tag. Du kannst in der Bundesliga aber auch nie damit aufhören. Wenn ich es in den nächsten zehn Jahren so mache wie in den vergangenen zehn, werden wir nicht weiterkommen. Auch ich habe Aussagen getätigt, bei denen ich lieber die Klappe gehalten hätte, weil ich sie doch revidieren musste oder es doch anders gemacht habe. Ich denke, ich bin ein sehr offener und transparenter Mensch.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen, wann Sie rückblickend lieber — wie Sie es sagen — die Klappe gehalten hätten?

Eberl Julian Nagelsmann hätte ich ganz sicher nicht als "kleinen Pisser" bezeichnen dürfen. Darüber ärgere ich mich im Nachhinein selber. Oder es geht um Transfers, die dann im Endeffekt nicht geklappt haben. Dann lese ich über Interviews drüber und denke mir: Würde ich lieber streichen, aber ich habe es ja gesagt.

Werden Sie nie müde, Ihre Arbeit zu verteidigen?

Eberl Ich würde lügen, wenn ich sage, es nervt mich nie. Aber das ist mein Job. Ich will den Leuten erklären, warum wir gewisse Dinge machen. Vielleicht mache ich es zu viel, vielleicht zu wenig. Aber müde werde ich deshalb nie. Es gibt auch Leute, die gute Gegenargumente bringen. Vor dem Dortmund-Spiel war ich im Fanhaus, um den Fans zu sagen, dass Fußballspielen bei uns oberste Priorität hat. Dann wird entgegnet: Schön und gut, Max, aber es gibt auch Spiele, in denen wir etwas mehr Mentalität sehen wollen. Da haben die Fans dann auch gar nicht unrecht. Ich verteidige das, wovon ich überzeugt bin, aber nicht so, als gäbe es links und rechts keine andere Wahrheiten.

Was ist die Wahrheit dieser Saison: Der letztendliche Tabellenplatz oder die Art und Weise, wie Borussia an den letzten beiden Spieltagen auftritt?

Eberl Egal wie es endet, spiegelt die Saison durchaus die Realität wider. Es ist Normalität, wenn Gladbach sich im Reigen von vier, fünf Mannschaften befindet, die immer wieder die Chance haben, nach Europa zu kommen. Auch da werde ich nicht müde, zu wiederholen: Wenn alles optimal läuft. Wenn nicht, haben wir aber die Stabilität gefunden, in einem normalen Bereich der Tabelle zu landen. Wir haben vielleicht nichts Außergewöhnliches geschafft, sondern Normalität erreicht — was nicht sexy klingt, aber für den weiteren Weg des Vereins durchaus eine wichtige Etappe ist.

Karsten Kellermann und Jannik Sorgatz führten das Gespräch.

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