Regelauslegung wirkt willkürlich Borussia und Handspiel in all seinen Facetten

Mönchengladbach · Die Handspielregel gilt als schwammigste aller Fußballregeln. Nach der Einführung des Video-Assistenten gibt es keinesfalls weniger Diskussionsstoff, sondern lediglich eine neue Ebene. Bei Schalke gegen Gladbach war das gut zu beobachten.

 Schalker Spieler plädieren bei Schiedsrichter Harm Osmers für einen Elfmeter nach Christoph Kramers Handspiel.

Schalker Spieler plädieren bei Schiedsrichter Harm Osmers für einen Elfmeter nach Christoph Kramers Handspiel.

Foto: ap, mm

War das der Inbegriff einer 50:50-Entscheidung? Christoph Kramer dürfte nicht überrascht gewesen sein, dass Jewgeni Konopljanka von der Strafraumgrenze abzog, nachdem er Nico Elvedi abgeschüttelt hatte. Und angelegt war Kramers Arm beileibe nicht. Doch nach dem Treffer flatterte der Arm eben auch durch die Luft, als gehörte er gar nicht zum Gladbacher Mittelfeldspieler. Und die Entfernung betrug zwar mehr als Kramers persönlich gemessene "80 Zentimeter", war aber nicht sonderlich groß.

Dementsprechend winkte Schiedsrichter Harm Osmers zunächst unter Protesten der Schalker Spieler und ihrer Fans ab. 30 Sekunden vergingen, bis Video-Assistent Benjamin Cortus seinen Kollegen doch so weit hatte, sich die Szene in der Review Area anzuschauen. Weitere 36 Sekunden später hatte Osmers seine Entscheidung revidiert und noch einmal 47 Sekunden später traf Daniel Caligiuri zum 1:1 ins Tor. Es sollte der Endstand sein.

"Wenn es die Rote Karte nicht gibt, pfeift er auch den Elfmeter nicht", sagte Kramer, eine Konzessionsentscheidung nach Nabil Bentalebs eindeutiger, aber nicht so gravierender Tätlichkeit witternd. Das Dilemma um die Handspielregel fasste Borussias Trainer Dieter Hecking am besten zusammen: "Ich habe so viele Versionen zu diesem Handspiel gehört. Irgendetwas passt." Der Eindruck, dass sich nicht nur Schiedsrichter, sondern alle Beteiligten und Beobachter im Fußball die Regel 12 nach ihrem Gusto zurechtbiegen, besteht seit Jahren.

Zur Erinnerung der Wortlaut: "Ein Handspiel liegt vor, wenn ein Spieler den Ball absichtlich mit der Hand oder dem Arm berührt." Es folgen ein paar Faktoren, die zu berücksichtigen seien, deren Erfüllung aus der Absicht oftmals eher eine Fahrlässigkeit macht. So lässt es sich wohl auch bei Kramer auf Schalke zusammenfassen. Der ging nicht mit der Hand zum Ball, sondern mit dem Körper zum Gegner — und bekam Konopljankas Schuss an den eindeutig nicht angelegten Arm.

Womöglich hätten die Borussen mit Osmers‘ Entscheidung besser leben können, wenn sich zur wiederholt unterschiedlich ausgelegten Handspielregel nicht eine zweite Ebene gesellt hätte. Interessanterweise stand Osmers in Kontakt mit dem Video-Assistenten, der Anfang März als Schiedsrichter auf dem Platz in einer vergleichbaren Szene seine ursprüngliche Entscheidung nicht revidiert hatte. Damals wehrte Bremens Maximilian Eggestein einen Kopfball Jonas Hofmann in unmittelbarer Tornäher mit dem Oberarm ab. Referee Cortus ging wie Osmers am Samstag in die Review Area — und blieb bei seinem ersten Urteil, nicht auf den Punkt zu zeigen. "Klar und offensichtlich" sollen Fehlentscheidungen sein, die korrigiert werden. Damals sah Cortus die Voraussetzungen offenbar nicht gegeben, Osmers auf Schalke aber schon.

Ein Blick auf alle Spiele mit Gladbacher Beteiligung zeigt allerdings, dass das Thema Handspiel schon in allen möglichen Konstellationen aufgekommen ist. Borussia hatte tendenziell Glück, bekam gerechtfertigte Handelfmeter, hätte noch mehr bekommen können und bekam nun eben einen strittigen gegen sich gepfiffen. Deshalb ist nur eines gewiss: Der Bundesliga ist mit der Einführung des Video-Assistenten kein Diskussionsstoff verloren gegangen. Im Gegenteil.

Hier erinnern wir noch einmal an sieben Handspiele im Strafraum in Spielen mit Gladbacher Beteiligung:

(jaso)
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