Nach München 2022 So geht es mit den European Championships in Zukunft weiter

Analyse | München · Die European Championships 2022 in München sind Geschichte – und schon beginnen die Planungen für die nächste Austragung 2026. Offen ist allerdings, ob eine Kernsportart dann noch dabei sein wird. Die Rückkehr einer anderen scheint vorerst ausgeschlossen.

Emotionen, Spektakel, Medaillen, Fans: Bilder European Championships
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Die eindrucksvollsten Bilder der European Championships

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Foto: dpa/Sven Hoppe

Es waren heftige Regenfälle und Gewitter die am letzten Wochenende der European Championships über München zogen, nachdem zuvor eine Woche herrlichstes Sommerwetter herrschte. Ausgerechnet zum Ende des äußerst gelungenen Multi-Sport-Events wurde es ungemütlich in der bayerischen Landeshauptstadt. Man konnte den Wetterumschwung aber auch symbolisch betrachten. Denn nach der zweiten Ausgabe dieser Veranstaltung nach der Premiere 2018 in Glasgow drohen den Machern Ungemach und konfliktreiche Gespräche.

Ausgerechnet die Traditionssportart Leichtathletik, die auch in München trotz hoher Ticketpreise die meisten Zuschauer anzog (was allein durch die Größe des Olympiastadions kaum verwundert), denkt relativ laut über einen Ausstieg aus dem Zusammenschluss mehrerer Verbände nach. So war es in den vergangenen Tagen immer wieder hinter den Kulissen zu hören. „Nach zwei Ausgaben des neuen Multisport-Konzepts ist es für European Athletics an der Zeit, die Ergebnisse sorgfältig zu bewerten und zu überlegen, wie die Zukunft angegangen werden soll“, teilte der europäische Leichtathletik-Verband auf Anfrage unserer Redaktion mit. Jürgen Kessing, DLV-Präsident und Vorstandsmitglied von European Athletics, ergänzte: „Unter dem Eindruck der Woche von München ist die Diskussion vollkommen offen.“ Der Verband glaube „fest an die Werte eines Multisport-Events, jedoch mit wichtigen Anpassungen“.

Elf besondere Momente der European Championships
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Elf besondere Momente der European Championships

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Foto: dpa/Sven Hoppe

Was genau das heißen soll, dazu bezog der Verband auch auf erneute Nachfrage keine Stellung, teilte nur mit, dass es für die Leichtathletik-Europameisterschaft 2026 bereits zwei „starke Bewerber“ gäbe, die den Wettkampf losgelöst von dem Konzept der European Championships austragen möchten. Allerdings schob man von Verbandsseite noch schnell hinterher, dass man das „Konzept der European Championships sehr stark“ fände.

Zweifel an einer Fortführung der Partnerschaft von European Athletics mit der European Championships Management Sàrl, wie die Veranstalter genau heißen, sind sicherlich angebracht – zumindest für eine Austragung in vier Jahren. Die Athleten selbst haben derweil fast alle eine klare Haltung pro European Championships. „Ich würde das sehr begrüßen“, sagte etwa Kristin Pudenz, Silbermedaillen-Gewinnerin im Diskus. Die Leichtathletik habe ohnehin schon ein Alleinstellungsmerkmal durch das große Stadion und die Abendsessions. „Die kleineren Sportarten bekommen so mehr Aufmerksamkeit.“

Femke Bol, Janja Garnbret und Co.: Die Stars, Gewinner European Championships
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Die Stars und Gewinner der European Championships

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Foto: AP/Martin Meissner

Das zeigte sich auch in München deutlich. Die Kletter-Wettbewerbe in der Innenstadt am Königsplatz waren ebenso wie Beachvolleyball, die Rad-Wettbewerbe oder der Boot-Rennsport auf der Regatta-Bahn in Oberschleißheim Publikumsmagneten. Die Veranstalter verschickten täglich Mitteilungen mit neuen hohen Zuschauerwerten. Die vermeintlichen kleineren Verbände profitierten von diesem „Mini-Olympia“ und zeigten ganz nebenbei am ersten Wochenende, dass das Konzept auch ohne eine große olympische Kernsportart funktionieren kann. Weit über eine Millionen Fans kamen im Laufe der Championships zu den Wettbewerben und Veranstaltungen. Das Event, das seinen Kern im Olympiapark hatte, war schließlich viel mehr als nur eine Sportveranstaltung. Kunst und Kultur bekamen in der Stadt ebenfalls eine Menge Raum eingeräumt.

European Championships 2022 – Medaillenspiegel​: Alle Medaillen-Gewinner
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Der Medaillenspiegel European Championships 2022

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Foto: AP/Martin Meissner

Die großen Verbände wie die Leichtathletik wissen durchaus, was sie an der Partnerschaft haben. Sie haben aber auch ein großes Problem: sie müssen sich unter- und einordnen in einen großen Ablaufplan. Die Entscheidungsgewalt über die eigene Sportart ist gering, die Einflussnahme auf Änderungen ebenfalls. Viele sogenannte Stakeholder, also Gruppen mit berechtigtem Interesse am Verlauf dieser Veranstaltung, sprechen mit. Es geht um TV-Übertragungen, Werbepartner und viele andere Dinge. Als es kurz vor den European Championships Diskussionen über die Marathon-Startzeit gab, war man beim europäischen Leichtathletik-Verband weitgehend machtlos.

Zudem geht es um eine Menge Geld. Richtet ein Verband eine Europameisterschaft selbst aus, bleiben die Gewinnen vor allem bei diesem. Genauso kann er über Werberechte, Preise für Eintrittskarten oder den genauen Plan entscheiden. Aus solchen Gründen entschied sich schon der europäische Schwimmverband (LEN) weit vor den European Championships dazu, die eigene Europameisterschaft in Rom separat auszutragen.

„ECM wollte, dass LEN seine geistigen Eigentumsrechte aufgibt, damit LEN keine kommerziellen Rechte für sein eigenes Top-Event mehr besitzt“, teilte ein Sprecher des Verbandes auf Anfrage unserer Redaktion mit und übte scharfe Kritik. „Wir glauben, dass es unser Recht und unsere Pflicht ist, diese Rechte zu wahren und sicherzustellen, dass wir in der Lage sind, sie zum Wohle unserer Interessengruppen im Sport – der Verbände und Athleten – selbst zu verwalten. Wir müssen unsere kommerzielle Zukunft selbst in der Hand haben.“

Vor den European Championships in München hieß es noch, dass die Schwimm-EM nicht in der Olympiahalle von 1972 ausgetragen werden könne, weil sie zu klein sei. Nun machte der Verband also die wahren Gründe dafür öffentlich, warum Florian Wellbrock, Isabel Gose und Lukas Märtens ihre Medaillen in Rom statt in Deutschland holten. Immerhin: LEN koordinierte die TV-Übertragungen mit den internationalen Rechtehaltern, sodass die Wettbewerbe auch bei ARD und ZDF ins Programm integriert werden konnte. Die TV-Sender waren übrigens vollkommen zufrieden mit der Ausgabe der Championships und hoffen auf eine Fortführung des Konzepts.

Ob Schwimmen allerdings in vier Jahren unter das Dach der European Championships, dieses Mini-Olympia auf europäischer Ebene zurückkehrt, scheint offen. „LEN ist nicht gegen das Multi-Sport-Event. Aber wir können nicht mit allen Bedingen leben“, teilte der Verband mit. „Die Tür ist aber noch nicht zu.“

Die European Championships stehen somit für die nächste Ausgabe in vier Jahren vor einer richtungsweisenden Frage: braucht das Multi-Sport-Event zwingend eine der großen olympischen Kernsportarten oder konzentriert man sich auf ein Konzept mit vielen kleinen Verbänden? Einige zusätzliche zu den ohnehin schon in München vertretenen, so hört man, stehen bereits parat und würden sich freuen, Teil dieser Veranstaltung zu sein. Eine Zukunft scheint gewiss. Ob das Konzept dann noch funktioniert, bleibt abzuwarten.

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