Diskussion nach European Championships Olympische Spiele in NRW wieder eine Option?

Analyse | München · Die European Championships haben es geschafft, Hunderttausende anzuziehen – mit Randsportarten, die sonst stets im Schatten des Fußballs stehen. Das macht Mut für die Zukunft. Und bringt die Idee einer Austragung von Olympischen Spielen in Rhein-Ruhr wieder ins Spiel.

  Stimmungsvoll: Szene vom Olympia-Gelände in Mü  nchen.

Stimmungsvoll: Szene vom Olympia-Gelände in Mü nchen.

Foto: dpa/Soeren Stache

Dutzende Kinder drängeln sich am Hindernis-Parcours im Olympiapark, andere versuchen sich an der Tischtennisplatte oder am Ruder-Ergometer. Die Teilnehmerliste beim Sportabzeichen ist proppenvoll. Familien pilgern zur Turnhalle, ins Olympiastadion, zum Beachvolleyball – teils sind Oma und Opa auch dabei. Hier erzählen ältere Semester der jungen Sitznachbarin von der Stimmung bei den Sommerspielen 1972, dort erklärt ein Junge einem älteren Herrn die Regeln beim Bouldern. Die Begeisterung bei den European Championships ist generationenübergreifend, ja, generationenverbindend. Das hat das größte Multisportevent in Deutschland seit den Olympischen Sommerspielen 1972 am selben Ort in den vergangenen Tagen deutlich gezeigt.

Die Resonanz ist enorm, die Euphorie ist groß bei den Besuchern, Athletinnen und Athleten sowie den Veranstaltern. Überall wird von der besonderen Atmosphäre, der gigantischen Stimmung, dem fairen Publikum geschwärmt. Besonders spürbar wurde das im Olympiapark mit seinen imposanten Bauten, den vielen Freizeitangeboten und Bühnen. Aber auch an anderen Orten verwandelte das Event München in ein großes internationales Fest. Das XXL-Rahmenprogramm mit Kulturangeboten und Breitensport überzeugte auch die Menschen, die nicht unbedingt zu den Sportfans zählen.

So haben es die European Championships mit Europameisterschaften in neun Sportarten geschafft, Hunderttausende zu einem sportlichen Großereignis zu locken. Mit Randsportarten, die sonst immer im Schatten des Fußballs stehen. Dass die Leichtathletik ein Publikumsmagnet ist, war wenig überraschend. Dass aber auch Radsport, Triathlon, Turnen, Tischtennis, Kanu, Rudern, Klettern oder Beachvolleyball mit einem guten Veranstaltungskonzept die Massen begeistern können, dürfte spätestens jetzt klar sein. Das Konzept der European Championships, die Athleten der Randsportarten durch ein gemeinsames Event in den Mittelpunkt zu stellen, hat funktioniert.

Femke Bol, Janja Garnbret und Co.: Die Stars, Gewinner European Championships
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Die Stars und Gewinner der European Championships

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Foto: AP/Martin Meissner

Kein Wunder also, dass der Erfolg des Multisportevents die Diskussion um eine deutsche Olympia-Bewerbung wieder befeuert. Waren doch die letzten Bewerbungen in München für die Winterspiele 2022 und in Hamburg für die Sommerspiele 2024 am Widerstand der Bürger gescheitert: Geldverschwendung, Gigantismus, fehlende Nachhaltigkeit sind nur einige von vielen Kritikpunkten. Die Gegner einer Olympia-Bewerbung schienen in Deutschland über Jahre in der deutlichen Mehrheit. Die Wertschätzung für Leistungssport allgemein und für sportliche Großveranstaltungen schien auf dem Tiefpunkt, schon lange vor der Corona-Pandemie, danach erst recht.

Trotzdem war mit den European Championships die Hoffnung verbunden, die Menschen wieder für Live-Sport zu begeistern. Eine Hoffnung, die sich zumindest während der Wettkämpfe erfüllte.

„Sportliche Großereignisse entfachen immer erst dann Euphorie, wenn sie stattfinden“, betont Michael Mronz, Initiator der Initiative Rhein-Ruhr-City, gegenüber unserer Redaktion. „Bei der Fußball-WM 2006 war Monate vorher noch die Frage, ob sie überhaupt sicher stattfinden kann. Millionen wurden in PR-Kampagnen gesteckt, es gab das Motto ,Die Welt zu Gast bei Freunden‘, um vorher Stimmung zu erzeugen.“ Aber für die Stimmung sorgten stets erst die Menschen.

Emotionen, Spektakel, Medaillen, Fans: Bilder European Championships
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Die eindrucksvollsten Bilder der European Championships

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Foto: dpa/Sven Hoppe

Rhein-Ruhr-City hatte in den vergangenen Jahren ein Konzept für eine Olympia-Bewerbung aus der Region aufgestellt und die Sommerspiele 2032 ins Auge gefasst. Zur Bewerbung kam es letztlich nicht. Bevor sich der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und die deutsche Politik für eine deutsche Bewerbung aussprechen wollten, hatte sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) schon für das australische Brisbane entschieden.

Nun hat sich seitdem einiges verändert. Die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hat in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen, dass sie eine Olympia-Bewerbung unter Umständen unterstützen würde, wenn gewisse Kriterien erfüllt würden. Auch im Koalitionsvertrag der nordrhein-westfälischen Landesregierung werden Olympische Spiele im Land befürwortet. Der DOSB hat inzwischen einen neuen Präsidenten: Thomas Weikert macht kein Geheimnis daraus, dass er sich wieder Olympia in Deutschland wünschen würde. „Das Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbundes hat beschlossen: Wir wollen Olympia angehen“, sagte DOSB-Präsident Thomas Weikert zum Ende der European Championships im Interview mit der FAZ.

Aber auch nicht daraus, dass es dafür eine Bewerbung braucht, die möglichst viele Menschen mitnimmt und überzeugt. „Bevor wir über das Wo, Wann und Wie sprechen, müssen wir zuerst das Warum klären“, sagt Weikert immer wieder auf die Frage nach einer Olympia-Bewerbung. Zunächst sollen im Dezember die Mitglieder des DOSB dazu befragt werden. Danach könnte es konkretere Gespräche geben.

Mronz begrüßt diese Herangehensweise an das Thema Olympia. Er hält es für richtig und wichtig, dass sich Deutschland für Olympische Spiele bewirbt. „Der internationale Sport wartet geradezu auf eine deutsche Bewerbung“, meinte er. Erfolgreich bewerben könne man sich aber nur, „wenn wir international wieder präsenter sind.“ Daher sei es zu begrüßen, dass Thomas Weikert den Kontakt des DOSB zum internationalen Sport wieder verstärke. Zum anderen brauche es „eine Bewerbung aus einem Guss“. Nur wenn man sehen würde, dass die Städte, das Land, der Bund, der organisierte Sport und die Bevölkerung dahinterstehen, könne eine Bewerbung erfolgreich sein.

Ihm sei es grundsätzlich wichtig, dass sich Deutschland wieder als Ausrichter von Olympischen Spielen bewirbt. „Wir haben mit Rhein-Ruhr-City ein ökologisch und ökonomisch nachhaltiges Konzept vorgelegt, bei dem wir auf 90 Prozent der benötigten Sportstätten schon heute zurückgreifen können. Wenn es ein Konzept gibt, das überzeugender ist, werde ich das sofort unterstützen. Denn es geht darum, die Werte des Sports in Deutschland wieder in den Fokus zu rücken“, sagt der Event- und Sportmanager.

Der wichtigste Punkt bleibt aber: Die Menschen in Deutschland müssen von dem Projekt Olympia überzeugt sein. Ein weiteres Scheitern durch die Ablehnung der Bürger wollen weder DOSB noch die Politik riskieren. Wie also die Kritiker überzeugen? Reichen dafür die Bilder von gelungenen European Championships?

„Ich glaube, wenn das überzeugend vorbereitet wird, die Bevölkerung auch mitgenommen wird, dass dann das, was wir gerade hier in München an Überzeugung und Energie sehen, mit Olympia noch viel größer werden kann“, sagt jedenfalls Thomas Berlemann, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Sporthilfe, im Gespräch mit unserer Redaktion. Wenn man gemeinsam auf so etwas hinarbeite, mit nachhaltigen Strukturen und auch Investitionen in Infrastruktur, könne ein Land davon profitieren. „München profitiert seit 50 Jahren von diesen Olympischen Spielen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Rhein-Ruhr, mit dieser Bevölkerung, mit der vorhandenen Infrastruktur, mit ein paar Anpassungen genau so viel, wenn nicht noch mehr Begeisterung für Olympische Spiele auslösen kann.“

European Championships 2022 – Medaillenspiegel​: Alle Medaillen-Gewinner
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Der Medaillenspiegel European Championships 2022

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Foto: AP/Martin Meissner

Bessere Infrastruktur, Investitionen in Sport und Wirtschaft, ein gemeinsames Ziel und ein Wir-Gefühl – das alles sind Faktoren, die für Olympische Spiele sprechen. Dass sie trotz vorhandener Sportstätten Geld kosten würden, dass Förder-, also Steuergelder fließen müssten, ist ebenso klar.

„Das eine ist das Ereignis und die Möglichkeit, ein Fest zu feiern und sich als weltoffener Gastgeber zu präsentieren, bei dem weltweite Begeisterung entsteht, das Menschen zusammenführt, wie man es aktuell in München wieder sieht. Aber solche Großereignisse bieten auch die Chance, den Fokus auf die Frage zu lenken, was für uns als Gesellschaft wichtig ist“, sagt Mronz, „Ich glaube, dass die Bedeutung des Sports für die Gesellschaft in den vergangenen Jahren stärker verloren gegangen ist. Sport wird oft in der Wahrnehmung der Menschen mit Fußball und Millionengehältern gleichgestellt, dabei ist er eine wichtige soziale Säule unserer Gesellschaft.“ Mehr als 27 Millionen Menschen seien Mitglieder in knapp 90.000 Sportvereinen. Dort würden Werte wie Integration, Fairplay oder Teamgeist an Kinder und Jugendliche vermittelt. Hinzu komme der Faktor Gesundheit: „Investitionen in den Sport sind keine Almosen.“ Jeder, der sich bewege, entlaste das Gesundheitssystem. „Es sind keine Kann-Investitionen in den Sport, sondern Muss-Investitionen in unsere Gesellschaft.“

Um aber die Kinder in die Vereine zu bekommen, müsste dafür auch die Infrastruktur geschaffen werden, zeitgemäße Sportstätten eben. Daher dürfe etwa das Förderprogramm der Bundesregierung zum Ausbau von Sportstätten nicht einfach auslaufen. Sportliche Veranstaltungen wie Olympische und Paralympische Spiele böten die Chance, solche Aspekte wieder stärker in den Vordergrund zu stellen und damit die notwendigen Investitionen in den Sport auszulösen, ist sich Mronz sicher.

Investitionen nicht in große Stadien, sondern eben in den Vereinssport, in den Nachwuchs, der unter anderem die Sieger von morgen im Spitzensport hervorbringe. An den Ergebnissen der britischen oder japanischen Teams bei den Spielen und London und Tokio sehe man gut, welchen Fortschritt Länder bei den Erfolgen durch Olympia im eigenen Land machen könnten. „Wir müssen den Menschen zeigen, welchen Wert Olympia für sie selbst haben kann. Sie sind schließlich die Gastgeber.“

European Championships: Die deutschen Medaillengewinner von München
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Die deutschen Medaillengewinner von München

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Foto: AFP/ANDREJ ISAKOVIC

Das bleibt aber trotz der positiven Wirkung der European Champions und aller Sachargumente schwierig. Das Internationale Olympische Komitee nämlich hat in den vergangenen Jahren nicht viel dazu beigetragen, sein schlechtes Image zu verbessern: Die Winterspiele 2014 fanden in Russland statt, die 2022 in China. Offizielle Kritik an den dortigen politischen Verhältnissen gab es kaum. Trotz der Existenz eines Nachhaltigkeitskonzepts steht das IOC immer noch für Gigantismus, Intransparenz und Unterstützung autoritärer Systeme.

„Sport ist großartig, deswegen kann ich es verstehen, dass manch einer erneut von einer Olympiabewerbung träumt“, sagte etwa Katharina Schulze, die Sprecherin des Bündnis Nolympia, dass sich 2010 in München gegründet hatte, der Deutschen Presse-Agentur. „Die Rahmenbedingungen haben sich seit den letzten Bewerbungen nicht verändert: Das IOC ist immer noch das gleiche, inklusive Knebelverträge, die die finanziellen Risiken auf die Austragungsorte abwälzen nach dem Motto ‚Gewinne behalten wir, Verluste tragen die anderen‘.“ Die European Championships hätten hingegen auf Gigantismus verzichtet und sich gut in die Stadt eingefügt.

„Bei aller Kritik am IOC und seinem Präsidenten Thomas Bach muss man auch die positiven Entwicklungen aufzeigen“, entgegent darauf Mronz. „Die Agenda 2020 plus fünf, die Thomas Bach initiiert hat, führt genau zu mehr Nachhaltigkeit. Ich glaube schon, dass das IOC den Punkt verstanden hat. Es geht darum, sich anzuschauen, welche Sportstätten in der Region vorhanden sind, die man wieder nutzen kann und die nicht gigantisch neugebaut werden müssen. Das ist ein großer Vorteil.“ Die Vergabe an Brisbane zeige exakt das. Die Spiele seien eben nicht in eine Metropole gegangen, sondern in eine Region, was auch ein positives Signal für die Initiative Rhein-Ruhr-City sei.

 Spektakulär: Die deutsche BMX-Fahrerin Kim Lea Müller (links) sowie die Kletterin Hannah Meul in Aktion.   Fotos: Angelika Warmuth/dpa

Spektakulär: Die deutsche BMX-Fahrerin Kim Lea Müller (links) sowie die Kletterin Hannah Meul in Aktion. Fotos: Angelika Warmuth/dpa

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 Emotional: Lanfgstreckenläuferin Konstanze Klosterhalfen bejubelt Gold über 5000 Meter.

Emotional: Lanfgstreckenläuferin Konstanze Klosterhalfen bejubelt Gold über 5000 Meter.

Foto: dpa/Angelika Warmuth
 dpatopbilder - 17.08.2022, Bayern, München: Klettern: Europameisterschaft, Kombination, Frauen, Bouldern, Finale, Königsplatz. Die deutsche Kletterin Hannah Meul im Finale. Foto: Angelika Warmuth/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

dpatopbilder - 17.08.2022, Bayern, München: Klettern: Europameisterschaft, Kombination, Frauen, Bouldern, Finale, Königsplatz. Die deutsche Kletterin Hannah Meul im Finale. Foto: Angelika Warmuth/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Angelika Warmuth

Genau das ist der Spagat, den eine Olympia-Initiative schaffen muss: Ein Sportereignis mit tausenden Teilnehmern und hunderttausenden Besuchern zu veranstalten, das begeistert, ohne in teurem Gigantismus zu versinken. Unmöglich ist das nicht. Die European Championships beweisen es.

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