Nach Euopean Championships Was sich in der Sportförderung verändern muss

München · Schlechte Trainingsbedingungen, wenig Wertschätzung für den Leistungssport, nicht ausreichende Förderung - vor den European Championships haben zahlreiche Aktive ihre Probleme deutlich angesprochen. Doch welche Lösungsideen gibt es?

European Championships: Die deutschen Medaillengewinner von München
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Die deutschen Medaillengewinner von München

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Foto: AFP/ANDREJ ISAKOVIC

Zu wenig Wertschätzung für den Spitzensport in der Gesellschaft, zu schlechte Trainingsbedingungen, um mit der Weltspitze um Medaillen zu kämpfen, eine schwierige finanzielle Situation für viele Athletinnen und Athleten - im Vorfeld der European Championships hatten Sportlerinnen und Sportler wie Gina Lückenkemper oder Oliver Zeidler strukturelle Probleme im deutschen Leistungssport deutlich angesprochen und das Thema auf die Agenda gesetzt.

Während des Multisportevents in München mit Europameisterschaften in neun Sportarten und kurz vor der Sportministerkonferenz am vergangenen Dienstag veröffentlichte der Verein Athleten Deutschland eine Analyse zur Sportförderung. Er fordert, dass die Erwartungen, die mit einer Förderung verbunden sind, neu diskutiert und festgelegt werden. Den Wert sportlicher Leistungen nur an Medaillenerfolgen zu messen, greife zu kurz, sagte Beachvolleyballerin Karla Borger, die auch die Präsidentin von Athleten Deutschland ist.

Das alles befeuert die Diskussion um die Verteilung staatlicher Fördermittel im deutschen Sportsystem.

Die Stiftung Deutsche Sporthilfe unterstützt seit mehr als 55 Jahren als private Organisation Athletinnen und Athleten – finanziell, aber auch in der persönlichen und beruflichen Entwicklung. Was sagt also einer der größten Förderer im deutschen Sport zu der Kritik?

„Wenn die Athletinnen und Athleten eine Meinung zu einem Thema haben, dann sollten wir sehr genau hinhören. Denn sie sind die, die am Ende die Leistung bringen sollen, auf denen der Druck lastet. Daher nehme ich das sehr ernst und bin viel im Austausch mit den Athletinnen und Athleten“, sagte Thomas Berlemann, Vorsitzender der Sporthilfe.

European Championships 2022 – Medaillenspiegel​: Alle Medaillen-Gewinner
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Der Medaillenspiegel European Championships 2022

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Foto: AP/Martin Meissner

Dass die Zahl der Medaillen zum Beispiel bei Olympischen Spielen rückläufig ist, ist ohnehin ein Fakt. „Das hat Gründe und diese Gründe gilt es aufzuarbeiten und zu beheben. Wir müssen den Spitzensport in Deutschland gezielter fördern und das Potenzial, das in unseren Athletinnen und Athleten in Deutschland liegt, wieder heben. Man sieht ja, dass sie das wollen“, sagte Berlemann und bezieht sich dabei nicht nur auf die öffentliche Kritik, sondern auch auf die European Championships. Da habe man gut gesehen, wie sehr die Athleten Bestleistungen erzielen wollten und den Erfolg vor allem vor heimischem Publikum genossen hätten.

Doch wo gilt es anzusetzen, um im internationalen Sport wieder breitflächig konkurrenzfähig zu sein? Wie kann man die Situation für die Sportler aktuell verbessen? Schließlich bedingen sich sportlicher Erfolg und gesellschaftliche Wertschätzung. Ohne Erfolge sinkt die Anerkennung und Wahrnehmung, sinkt auch die Bereitschaft, den Spitzensport mit Steuergeldern zu unterstützen. Ohne ausreichende finanzielle Ausstattung werden Erfolge wiederum schwieriger. Schon in der Jugend kostet Leistungssport je nach Disziplin Tausende bis Zehntausende Euro, um überhaupt erst mal in die Position zu kommen, um größere Erfolge kämpfen zu dürfen. „Deswegen legen wir zum Beispiel die Grundlage für die sportliche Karriere schon im Nachwuchsbereich und unterstützen Athletinnen und Athleten über den gesamten Lebenszyklus – auch nach ihrer sportlichen Karriere, damit sie erfolgreich in Sport und Beruf werden“, sagte Berlemann.

Jürgen Kessing, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes hatte zum Beispiel bemängelt, dass zu wenig Geld bei den Athleten selbst und der Infrastruktur ankomme. Andere kritisieren die hohe Bürokratie, oder dass es lange dauert, bis man gefördert wird.

Also ist es tatsächlich alles eine Frage des Geldes? Mit Nichten. „Ich glaube, dass nicht immer alles nur mit Geld zu lösen ist. Es ist auch eine Frage von Effizienz. Wie setze ich das schon gar nicht so wenige Geld möglichst effizient ein im Netzwerk Sport in Deutschland, um relevanter und erfolgreicher zu sein? Um einerseits den Breitensport aber auch den Spitzensport weiterzuentwickeln?“, findet Berlemann. In Deutschland müssten ein paar Systemfragen gestellt werden, wie man das bestmöglich hinbekomme: „Wie wollen wir uns im Breitensport weiterentwickeln und organisieren? Wie wollen wir nach der Pandemie sicherstellen, dass die Menschen wieder in Bewegung kommen? Das ist immerhin die Basis für den Spitzensport.“ Wie die Förderung, die Betreuung, das Training, die Infrastruktur für die Sportlerinnen und Sportler aussehe, sei genau das Thema, das immer wieder diskutiert werde. Derzeit fördert der Bund die Sportarten nach einem bestimmten Schlüssel, der auch nach dem Erfolg bei Olympia, Welt- und Europameisterschaften berechnet wird. Ein Teil der Top-Athletinnen und -Athleten ist bei der Bundeswehr, Bundespolizei oder beim Zoll angestellt und erhält so während der Karriere ein Gehalt vom Bund. Die Sporthilfe als privater Träger hat verschiedene Fördermodelle, mit denen Mitglieder des Top-Teams, des Zukunft-Teams oder Elite-Teams finanziell unterstützt werden.

„Wir haben bei diesen Themen kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem. Das muss angegangen werden“, fordert der Sportfunktionär.

Denn es gebe andere Länder, die sich genau auf dieser Ebene gut weiterentwickelt hätten. Als Beispiele nennt Berlemann Frankreich, die Niederlande, England oder die Schweiz. „Das sind dort alles keine Geheimrezepte. Als Deutschland brauchen wir im positiven Sinne einen Pakt, bei dem alle gemeinsam anpacken, die im Netzwerk Sport arbeiten.“ Den hat auch der neue DOSB-Präsident Thomas Weikert bei der Sportministerkonferenz gefordert.

Berlemann nennt einige Bereiche, in denen er Verbesserungspotenzial in Deutschland sieht: „Digitalisierung hilft, Prozesse einfacher zu machen, Geld zu sparen, damit es wirklich da ankommt, wo es bei den Athleten gebraucht wird. Wir müssen aber auch schneller werden, bei der Umsetzung von Veränderungsprozessen.“ Besonders wichtig sei auch die Trainersituation: „Natürlich sagen die Athletinnen und Athleten, dass sie Weltklasse-Trainer brauchen, wenn sie Weltklasse-Leistungen bringen sollen. Wenn deutsche Trainer ins Ausland abwandern, weil sie dort doppelt oder dreifach so gut bezahlt werden, dann ist auch das Teil des Problems, das wir lösen müssen“, betonte der Sporthilfe-Vorsitzende.

In anderen Ländern werde gerade wesentlich mehr in Nachwuchs und Know how investiert.

Emotionen, Spektakel, Medaillen, Fans: Bilder European Championships
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Die eindrucksvollsten Bilder der European Championships

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Foto: dpa/Sven Hoppe

„Ich glaube, dass wir dagegenhalten können. Aber wir müssen unsere Hausaufgaben machen, damit wir wieder an vielen Stellen Weltspitze werden. Wenn Trainer ins Ausland gehen und mit mehr und neuer Erfahrung wiederkommen, ist das auch ein Wert für den Sport. Wir müssen schauen, dass die personelle Decke insgesamt im Sport gestärkt und gut ausgebildet wird. So kann gesichert werden, dass wir wieder Weltklasse in allen Bereichen haben.“

Als Sporthilfe habe man den Vorteil, als selbstständige Organisation nicht in, aber mit den Strukturen im Netzwerk Sport zu arbeiten. „Wir sind die Vertreter der Athletinnen und Athleten, wenn man so will, die die Förderung verstehen und weiterentwickeln können“, betonte Berlemann.

Zur Weiterentwicklung gehört auch ein neues Konzept bei der Sporthilfe, das die Athleten ein Leben lang begleiten soll. „Sie fangen in jungen Jahren schon an, sich auf Hochleistungssport zu konzentrieren. Über den sportlichen Lebenszyklus bis zur Nachaktiven-Förderung ist es unser Ziel, für die Athletinnen und Athleten in jeder Phase ihrer Karriere das Beste zu tun. Das Konzept implementieren wir gerade in unseren Strukturen und das auch digital“, erzählte Berlemann. Denn die Athleten würden die Angebote wie Schulungen oder den Austausch mit der Stiftung dann nutzen wollen, wenn ihre Wettkampf- und Trainingspausen das erlaubten. „So sind wir jederzeit mit den Athletinnen und Athleten im Austausch, egal wo sie sind.“

Auch das gehört zur Wertschätzung. Die Menschen hinter dem Leistungssportlern zu sehen, ihnen individuelle Angebote zu machen, ihnen das Handwerkszeug mitzugeben, als Persönlichkeit zu wachsen, sich im Sport aber auch im Leben danach zurecht zu finden. Nicht jeder ist auf Anhieb dafür gemacht, im Rampenlicht zu stehen. Es braucht oftmals auch Geduld. Nicht nur für sportliche Erfolge, auch für den Umgang damit.

Gleichzeitig müssen die Menschen davon überzeugt werden, dass die Leistungen der Athletinnen und Athleten auch einen positiven Effekt auf die Gesellschaft haben. Denn viele sehen die Arbeit und den Verzicht, die hinter Medaillen und Titel stehen, nicht.

Im vergangenen Jahr hatte die Sporthilfe bei der Sporthochschule Köln eine Studie in Auftrag gegeben, die sich mit den Rahmenbedingungen für Spitzensportler in Deutschland beschäftigt. Dabei ging es unter anderem auch um das Thema Wertschätzung, von der sich die Athletinnen und Athleten mehr in Politik, Medien und Gesellschaft wünschen, um erfolgreich Leistungssport betreiben zu können.

Schaut man auf die European Championships, bekam man den Eindruck, dass sehr wohl Begeisterung und Wertschätzung für Spitzensport vorhanden ist. Alle Wettkämpfe waren gut besucht, viele ausverkauft. Nationale wie internationale Sportler schwärmten von der tollen Atmosphäre, dem fairen Publikum und der Begeisterung. Auch Berlemann ist begeistert, wie das Event die Zuschauer mitnahm. Das ist eine wunderbare Basis für dauerhaft mehr Wertschätzung und Anerkennung als Rahmenbedingung für den Spitzensport: „Denn die Athleten sind ja Leistungsträger unserer Gesellschaft, sie engagieren sich, sie repräsentieren unser Land im Ausland und sind Vorbilder.“ Den Auftrieb und die sehr positiven Emotionen der European Championships müsse man nun nutzen, um wirkliche Veränderungen zu schaffen.

Wie genau die aussehen können, das sollen in den kommenden Monaten Gespräche zwischen Verbänden, DOSB, Politik sowie Athletinnen und Athleten zeigen. Ideen gibt es jedenfalls reichlich. Dass Deutschland die Nationenwertung bei den European Championships gewonnen hat, dürfe zur rechten Zeit kommen. Denn es zeigt, dass die Sportler mit der Unterstützung der eigenen Fans oft noch etwas mehr Leistung abrufen können. Dass das Gemeinschaftsgefühl in den Stadien und Hallen eine Eigendynamik entwickeln kann, die nicht nur für die Athletinnen und Athleten wichtig ist. Daraus gilt es nun zu lernen, darauf gilt es nun aufzubauen.

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