Kolumne Denkanstoß Bilanzierungen

Mönchengladbach · Bei allem Verzicht müssen wir lernen, im Weniger das Mehr zu entdecken, schreibt unser Autor: „Wir dürfen weder zu einer Spaßgesellschaft verkommen, noch zu einer Problemgesellschaft werden.“

Bei der Leichtathletik-EM gewannen (v.l.) Lisa Meyer, Gina Lückenkemper, Alexandra Burghardt und Rebekka Haase (Deutschland) die 4x100 Meter Staffel. Eine glänzende Bilanz – das gilt aber nicht gerade nicht für alle Bereiche des öffentlichen Lebens.

Bei der Leichtathletik-EM gewannen (v.l.) Lisa Meyer, Gina Lückenkemper, Alexandra Burghardt und Rebekka Haase (Deutschland) die 4x100 Meter Staffel. Eine glänzende Bilanz – das gilt aber nicht gerade nicht für alle Bereiche des öffentlichen Lebens.

Foto: dpa/Soeren Stache

„Eine glänzende Bilanz“ titelte am vergangenen Montag die Rheinische Post und beschrieb mit dieser Überschrift ihr Resümee von eineinhalb Wochen European Championships in München. Ich kann dieser Einschätzung nur zustimmen, so oft es mir möglich war, habe auch ich die Wettkämpfe am Bildschirm verfolgt. Dabei spielte der Medaillenregen, der auf die deutschen Athleten niederging, für mich kaum eine Rolle. Denn selbst über den Fernseher waren die Freude und die Fairness der Aktiven wie der Zuschauer erlebbar; denn selbst im Wohnzimmer waren die Leichtigkeit und das Miteinander der Teilnehmer spürbar. Mir kamen Erinnerungen an die ersten Tage der Olympischen Spiele 1972 in den Sinn, bis der furchtbare Terroranschlag all dem ein jähes Ende bereitete.

Die Welt ist seitdem gewiss nicht ruhiger geworden, im Gegenteil! Fünfzig Jahre nach den letzten Olympischen Spielen in unserem Land heißt auch, dass wir mittlerweile vor Herausforderungen stehen, die damals nicht vorstellbar waren und heute schwer lösbar erscheinen. Man mag die Schreckensworte Klimawandel, Krieg, Pandemie, Hunger- und Energiekrise kaum mehr auflisten, so gegenwärtig sind uns diese dramatischen Entwicklungen. Hier kann der Zuruf von W. Maximow Hilfe bringen: „Es ist wahr: Schaue nicht zu tief in den Abgrund, sonst schaut der Abgrund in dich hinein.“

Natürlich weiß auch Maximow, dass man vor den großen und kleinen Sorgen und Nöten der Welt und des Lebens nicht die Augen verschließen darf oder gar soll. Den Kopf in den Sand zu stecken, ist keine Option, denn dies hat noch nie ein Problem gelöst, sondern immer nur vergrößert. Auch wenn wir uns nicht entscheiden, treffen wir damit eine Entscheidung; auch wenn wir nicht handeln, ist dies eine Handlung! Wie immer wir uns verhalten, hat dies Auswirkungen! Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Konsequenzen klug bedenken und abwägen. Allerdings ist der Mensch nicht dazu geschaffen, sich stetig und ständig die Not der Welt vor Augen zu halten.

Darauf will die Mahnung von Maximow hinweisen, wir brauchen das richtige Maß zwischen An- und Entspannung, zwischen ernster Anstrengung und spielerischer Leichtigkeit. Das gilt im Kleinen wie im Großen, wir dürfen weder zu einer Spaßgesellschaft verkommen, noch zu einer Problemgesellschaft werden! Dies kann nur gelingen, wenn es gerecht zugeht, wenn Be- und Entlastungen gerecht verteilt werden. Nicht ohne Grund heißt es im Amtseid: „… und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.“

Eine glänzende Bilanz können wir angesichts der augenblicklichen Weltlage, fürchte ich, nicht ziehen. Selbst Optimisten werden eingestehen, dass wir alle den Verzicht (neu) lernen müssen. Im Weniger das Mehr entdecken, dazu muss man wiederum seine Verlustängste bekämpfen, muss man das Haben-Wollen besiegen, dazu braucht es letztlich viel Mut und Tapferkeit sich selbst gegenüber. Wir leben in schwierigen und schweren Zeiten! Mit Klugheit, Maß, Gerechtigkeit und Tapferkeit können sie bewältigt werden. Mit dieser Auflistung sind übrigens die vier Kardinaltugenden genannt, für die alte, oft geschmähte Tugendlehre der Christenheit keine schlechte Bilanz!

Klaus Hurtz, Pfarrer von St. Marien und vom Trostraum St. Josef, Grabeskirche

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