Vorschläge der Aktiven Wie Sportförderung in Deutschland künftig aussehen sollte

Analyse | München · Die Sportförderung in Deutschland beschäftigt die Sportlerinnen und Sportler auch bei den European Championships. Karla Borger und Alexandra Burghardt haben Lösungsvorschläge für die Zukunft.

 Karla Borger hat Lösungsvorschläge für die Sportförderung in Deutschland.

Karla Borger hat Lösungsvorschläge für die Sportförderung in Deutschland.

Foto: AP/Florian Schroetter

Bei den European Championships liegen Freude und Trauer offt nah beieinander. Auch im deutschen Team war das in den ersten Tagen zu beobachten. Während etwa beim Bahnrad eine Medaille nach der anderen eingesammelt wurde, kassierten die deutschen Ruderinnen und Ruderer eine herbe Klatsche nach der anderen. Doch die Grundstimmung war gut – das bewiesen die vielen Zuschauer an den Strecken, auf den Plätzen und in den Hallen. Ausgerechnet in dieses Sportfest legte am Montag der Verein Athleten Deutschland den Finger in die Wunde. In einer 85-seitigen Analyse fordert der Verein eine Veränderung in der Sportförderung in Deutschland. Pünktlich zur Sportministerkonferenz am Dienstag.

„Warum ist es uns das wert?“, so heißt das neue Analyse-Papier, mit dem die Sportlervertretung Athleten Deutschland die Debatte darüber befeuert, wie die Milliarden Fördermittel künftig verteilt werden könnten. „Wir Athletinnen und Athleten wissen, dass Erwartungen an unsere Förderung geknüpft sind. Diese wollen wir jetzt in einem breiten Dialog gemeinsam mit Politik, Wissenschaft, Praxis und der Bevölkerung neu festlegen“, sagte Karla Borger, Präsidentin von Athleten Deutschland: „Den Wert sportlicher Höchstleistungen, wie aktuell nur an Medaillenerfolgen zu messen, greift zu kurz.“

Gegenüber unserer Redaktion hatte Borger bereits vorher Veränderungen gefordert, weil sich die Leistungssportreform vor einigen Jahren nicht ausgezahlt habe. „Wir wollten mehr Medaillen machen – das ist uns nicht gelungen. Das gilt aber für viele andere Sportarten auch – wie man bei der WM der Leichtathleten gesehen hat. Wir rennen in vielen Sportarten hinterher und sind nicht so aufgestellt, dass die Akzeptanz für den Leistungssport in Deutschland groß genug ist. Wir haben viel versäumt“, klagte sie.

Dass es einzig und allein am Geld liegen würde, verneinte sie. Wenngleich jede Sportart natürlich „deutlich mehr Geld vertragen“, könnte. Vielmehr war die Verteilung in den vergangenen Jahren ein Problem. „Das Geld muss in erster Linie sinnvoll ausgegeben werden. Es müsste darum gehen, dass das Geld wirklich bei uns ankommt, Strukturen geschaffen werden, Trainer bezahlt werden. Wir sollen Leistungen bringen, Nachwuchs muss gefördert werden. Aber immer wieder kommt es vor, dass das Geld versickert. Es haben zu viele Akteure ihre Finger im Spiel“, sagte Borger. „Das Geld kommt nicht vollumfänglich da an, wo es soll. Wir haben zu viele Egoisten in den Verbänden. Es gibt einige Akteure im Sport, die nicht bereit sind, globaler zu denken.“

Vollkommen aus dem Nichts kommt die Kritik sicherlich nicht. Erst nach der Leichtathletik-Weltmeisterschaft hatte die Kritik der Sprinterin Gina Lückenkemper für mächtig Wirbel gesorgt. Sie beklagte, dass in Deutschland mit schwierigen Maßstäben gemessen würde. Alexandra Burghardt springt ihr zur Seite: „Zur Wahrheit gehört, dass das internationale Niveau deutlich höher war als noch bei Olympia 2021. Die Spitze war viel breiter. Viele von uns haben Saisonbestleistungen geschafft, das sieht im Vergleich zum Weltniveau dann aber nicht gut aus“, sagte die Sprinterin, die zusammen mit Lückenkemper in der 4x100-Meter-Staffel Bronze in Eugene gewann und in München nun gern ganz oben stehen will, unserer Redaktion.

Ein großes Problem in Deutschland scheint zu sein, dass in der Vergangenheit lieber über die Aktiven statt mit ihnen gesprochen wurde. Inzwischen sei das anders, verriet Borger. „Ich weiß, dass es im Hintergrund große Bewegungen gibt. Es geht um einen ehrlichen Austausch mit allen Stakeholdern, mit dem Ziel, dass die Athletinnen und Athleten im Mittelpunkt stehen“, so die Vorsitzende von Athleten Deutschland. „Solange es keinen, und das betone ich bewusst, ehrlichen und transparenten Austausch gibt, wird es schwer, diese Problematik zu lösen.“

In Deutschland können oft nur Wenige von ihrem Sport leben. „Wenn man in Deutschland eine Randsportart betreibt, ist es schwierig, vorn mitzuhalten, weil man sich auf den Sport konzentrieren muss. Das geht aber oft nicht“, sagte etwa Hannah Meul, die im Boulder-Klettern am Wochenende eine Silbermedaille gewann. Sie sei zwar in der glücklichen Situation, dass die deutsche Sporthilfe und Sponsoren sie unterstützen, doch das ginge nicht allen Aktiven so. Das musste auch die Sprinterin Alexandra Burghardt vor einigen Jahren auf die harte Tour lernen. Erst als sie in Braunschweig deutsche Meisterin wurde, wurde sie wieder richtig gefördert. Vorher musste sie viele Dinge selbst finanzieren. Wie ihr geht es vor allem vielen Nachwuchsathleten. Bevor sie nicht erfolgreich sind, gibt es oft kein Geld. „Da verwundert es kaum, wenn junge Sportler und Sportlerinnen aufhören“, sagte Burghardt. Aus diesem Grund müsse man sich zum einen nicht wundern, dass der Nachwuchs ausbleibt. Auf der anderen Seite wäre es nachvollziehbar, wenn andere Nationen Deutschland in den Medaillenspiegeln von Großevents links und rechts überholen. „Diese Nationen sind von der Förderung und den Voraussetzungen ganz anders aufgestellt. Es ist eben ein Unterschied, ob man Voll- oder Halbprofi ist“, sagt Burghardt.

Wichtig sei zudem, die Kinder und Jugendlichen im Sport bei der Stange zu halten. „Ich trainiere mit einer Kindergruppe bei Wacker Burghausen und ich habe leider gemerkt, dass der Sport das erste ist, das hintenüberfällt, wenn Lehrer krank sind oder es zu warm ist. Viele Kinder haben doch gar nicht mehr die Zeit für den Sport. Darin liegt ein großes Problem. Wir müssen den Sport wieder besser in der Gesellschaft verankern.“

Darauf hofft auch der Verein Athleten Deutschland, der mit seiner Analyse eine ehrliche Diskussion anschieben will.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Olympia maxi
Nach European Championships in München Olympia maxi
Zum Thema
Aus dem Ressort