„Das #tvDuell zur Europawahl“ Spätstarter Weber hat es schwer gegen einen leidenschaftlichen Timmermans

Freiburg · Beim TV-Duell im ZDF zur Europawahl kommt der konservative Spitzenkandidat gegen den SPD-Kontrahenten aus den Niederlanden zu spät in Form.

 Frans Timmermans und Manfred Weber kurz vor dem Schlagabtausch im TV.

Frans Timmermans und Manfred Weber kurz vor dem Schlagabtausch im TV.

Foto: AFP/JOHN MACDOUGALL

"Streit, meine Herren, ist heute ausdrücklich erwünscht", sagt Moderator Peter Frey zum Start des TV-Duells der Spitzenkandidaten für die Europawahl Ende Mai. Der ZDF-Chefredakteur und seine Co-Moderatorin, die ORF-III-Chefredakteurin Ingrid Thurnher, setzen den beiden gleich zu Beginn ein wenig zu, indem sie sie mit ihren Schwächen konfrontieren. Er, Weber, habe ja anders als Kommissionsvizepräsident Timmermans gar keine Regierungserfahrung, sagt Thurnher. Am Ende entscheide allein der Wähler, entgegnet ihr Manfred Weber. Und ZDF-Mann Frey konfrontiert Timmermans mit der Schwäche seiner Partei in den Umfragen. Es werde gerade etwas besser mit den Sozialdemokraten, entgegnet der Niederländer.

Die erste kleine Bewährungsprobe überstehen beide unversehrt. Doch das mit dem Streit nimmt der Niederländer anfangs ernster als der krawattenlose Weber, der in den ersten 30 Minuten eher lammfromm als angriffslustig auftritt. Timmermans dagegen hängt sich von Anfang an voll rein, wirkt leidenschaftlicher und ambitionierter. Weber macht aber Boden gut, je länger die Sendung andauert.

Die Moderatoren steigen ein mit dem eskalierenden Iran-Konflikt. Hier zeigen beide Kandidaten große Einigkeit, wie auch sonst bei vielen Themen. Europa müsse Friedensmacht sein, es dürfe keine militärische Eskalation im Iran-Konflikt geben, sagt Weber. Auch Timmermans will, dass die Europäer die Amerikaner überreden, im Iran-Konflikt nicht zu militärischen Mitteln zu greifen. Weber möchte eine Mehrheitsentscheidung in der Außenpolitik einführen, auch Timmermans ist dafür.

Die Moderatoren wechseln zur Klimapolitik. Hier sieht Timmermans klar besser aus als der Konservative. Er plädiert für die Einführung einer Kerosinsteuer im Flugverkehr. Dass es die noch nicht gebe, sei "völlig verrückt". Auch eine CO2-Steuer will Timmermans als Kommissionschef einführen. Weber dagegen bremst bei beidem. Eine CO2-Steuer bedeute höhere Spritpreise. Das würde die Ärmsten treffen, das wolle er nicht. Er setzt dagegen auf "innovative Lösungen" wie etwa neue, synthetische Kraftstoffe. Er als Ingenieur glaube an die Innovationskräfte. Bei der Kerosinsteuer dagegen will auch der CSU-Mann mitgehen. Aber Timmermans wirft ihm vor, dass die EVP-Fraktion im Europaparlament den Klimaschutz stets ausbremse. Die EVP sei ein "Dinosaurier", ruft der Niederländer. "Da muss sich bei den Konservativen echt was ändern." Weber sagt, er wolle den Handel mit CO2-Zertifikaten ausweiten und zum Beispiel auch den Luftverkehr einbeziehen. Ihm scheint nicht bewusst zu sein, dass der Flugverkehr längst mitmacht beim Zertifikatehandel. Diese Runde geht klar an den SPD-Kandidaten. Beide Kandidaten sind für die Abschaffung von Kurzstreckenflügen in Europa - etwa von München nach Nürnberg. Dafür werde er sich einsetzen und die Bahn verbessern, sagt Weber.

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Auch bei der Sozialpolitik sieht der Niederländer, der fließend Deutsch und sechs weitere Sprachen spricht, besser aus als Weber. Leidenschaftlich plädiert er für einen Mindestlohn von 60 Prozent des jeweiligen Durchschnittseinkommens in allen EU-Mitgliedsländern. "War es so schlimm in Deutschland, die Einführung des Mindestlohns?", fragt der SPD-Mann. "Nein!" Das Publikum ist begeistert.

Weber hat zwar nichts gegen den Mindestlohn, aber er wirbt auch nicht offensiv dafür. Eine einheitliche europäische Arbeitslosenversicherung, wie sie die SPD fordert, lehnt er ab. Einig sind sich beide Kandidaten, dass der Plan des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, Beitragszahlern aus dem EU-Ausland das Kindergeld zu kürzen, wenn ihre Kinder nicht in Österreich leben, falsch ist. "Wer eingezahlt hat, hat auch ein Recht auf den vollen Betrag", sagt Weber.

Der Niederbayer kommt jetzt langsam in Fahrt. Sein Gegenüber dagegen ins Schwitzen, weil ihn Moderator Frey auf das Steuerparadies Niederlande anspricht. Dort mussten Unternehmen und Kapitalanleger lange Zeit deutlich geringere Steuern zahlen als im EU-Durchschnitt. Timmermans behauptet, die Zeiten hätten sich in den Niederlanden geändert. Beim Steuerthema wittert Weber zum ersten Mal die Chance zum Angriff. Er wirft der SPD und dem "lieben Frans" vor, beim Thema Digitalsteuer für große Internetkonzerne zögerlich zu sein. SPD-Finanzminister Olaf Scholz will lieber eine internationale Initiative der Industrieländerorganisation OECD abwarten, bevor Deutschland oder Europa im Alleingang die Digitalsteuer einführen. Ein erster Punkt für Weber.

Bei der Urheberrechtsreform für das Internet gehen die Duellanten unentschieden aus dem Gefecht. Timmermans wirbt dafür, dass auch Konzerne wie Google für die Nutzung von geistigem Eigentum anderer bezahlen müssten. Und Weber verspricht, er als Kommissionspräsident werde die Reform reformieren, wenn sich herausstelle, dass dadurch Zensur im Internet eingeführt werde.

Beim Thema Flucht und Migration betont Weber etwas stärker als Timmermans die Wichtigkeit sicherer EU-Außengrenzen. Er verteidigt Angela Merkel, ihre Entscheidung, 2015 die deutsche Grenze offen zu halten, und das EU-Türkei-Abkommen. "Die Sozialdemokraten haben dieses Abkommen immer infrage gestellt." Timmermans entgegnet, er persönlich habe es sogar mit ausgehandelt. Doch der Konservative hat sich warm gelaufen und wird jetzt besser. "Die Entschiedenheit, "die du hier als Kommissionsvizepräsident ausstrahlst, gibt es in deiner Fraktion nicht." Punkt für Weber.

Beim Kopftuchverbot für Schülerinnen dagegen kommt er ins Schlingern, während Timmermans klar dagegen ist. Weber fabuliert von einer "schwierigen Grenzfrage", die freiheitlichen Prinzipien Europas müssten für jeden gelten, der in Europa leben wolle. Timmermans dagegen fragt, ob eigentlich auch infrage gestellt werde, dass Juden eine Kippa trügen. "Der Islam gehört zu Europa seit 2000 Jahren", sagt Timmermans unzweideutig. Weber dagegen formuliert es so: "Der Islam gehört zu Europa, aber er ist nicht konstitutiv für Europa."

In der Verteidigungspolitik sind sich beide wieder relativ einig. Beide Kandidaten wollen eine europäische Armee. Timmermans hält sie als früherer niederländischer Außenminister für nicht realistisch.

Die spannendsten Fragen haben sich die Moderaten für den Schluss aufbewahrt. Ob er sich auch von britischen Abgeordneten zum Kommissionspräsidenten wählen lassen wolle, wenn die wenig später aus der EU austräten, will Frey von Timmermans wissen. Der bejaht diese Frage, etwas andere sei rechtlich gar nicht möglich. Hinter dem Erstarken der Rechtspopulisten stünden Gründe, sagt Weber. Die EU habe zu wenig auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa geschaut. Er wolle aber Ländern, die sich nicht an die EU-Regeln hielten, klare Kante zeigen: Als Kommissionschef werde er ihnen Fördergelder streichen, wenn sie etwa die Pressefreiheit verletzten.

Insgesamt ein ausgewogenes Duell, bei dem EVP-Kandidat Weber besser abschnitt als einen Tag zuvor bei der Brüsseler Wahlarena mit insgesamt sechs Kandidaten. Doch die Zuschauer sahen offenbar Timmermans als Gewinner. Das jedenfalls signalisierte das so genannte Debatometer der Universität Freiburg, an dem 450 Zuschauer im Internet mit Plus- und Minus-Tasten teilnahmen. 42 Prozent von ihnen sahen Timmermans als Sieger, nur 29 Prozent Weber.

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