Wir erklären die Europäische Union Was hat die EU mit meiner Pizza zu tun?
Brüssel · Schon seit mehr als 60 Jahren ist Deutschland in der EU. Das heißt aber nicht, dass wir immer alles verstehen, was da in Brüssel und Straßburg passiert. Also haben wir Fragen zu Europa gesammelt, die so oder so ähnlich immer wieder auftauchen, um sie so knapp wie möglich zu beantworten.
Wie demokratisch ist die EU?
Die EU ist so demokratisch, wie es ihre Mitgliedstaaten zulassen. Der Vorwurf, die EU sei undemokratisch, wird zumeist damit begründet, das Europaparlament habe kaum Rechte, und das entscheidende Gremium sei der Europäische Rat, den die Regierungen der 28 Mitgliedsländer bilden. Der Vorwurf ist nicht haltbar. Das Europäische Parlament kann zwar keine Gesetzesinitiativen ergreifen, andererseits kann es die Kommission auffordern, Gesetzentwürfe vorzulegen, und tut das auch regelmäßig. Richtlinien und Verordnungen müssen vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident der EU-Kommission wird zwar vom Europäischen Rat vorgeschlagen, bedarf aber der Mehrheit der Mitglieder des Parlaments. Das Parlament kann einzelne, von den Mitgliedstaaten vorgeschlagene Kommissare zurückweisen, und kann die EU-Kommission sogar zum Rücktritt zwingen. Der Europäische Rat ist zwar nicht direkt gewählt, aber demokratisch legitimiert, da er sich aus Regierungen zusammensetzt, die alle demokratisch gewählt sind. ()
Wird die EU als Sündenbock missbraucht?
Ja, und es ist leider nicht neu. Das nationale Hemd ist immer näher als der europäische Rock, auch wenn letzterer viel mehr wärmt. Zudem muss Europa oft die Zeche zahlen, weil sich Wähler über ihre nationalen Regierungen und Parteien aufregen. Wenn irgendwo in der EU Förderbescheide aus Brüssel übergeben oder mit EU-Mitteln finanzierte Projekte eröffnet werden, lassen sich Kommunal-, Landes- oder Bundespolitiker dafür feiern; von der Europäischen Union wird wenig gesprochen. Für Transferleistungen bedankt sich niemand. Wenn es aber schiefläuft, wenn Ideen scheitern, versuchen Politiker immer wieder, die Verantwortung dafür nach Brüssel zu schieben. Zwar handelt es sich dabei zumeist um Vorurteile, aber weil die überzeugten Europäer in Brüssel keine Regierung stützen müssen, kümmern sie sich nicht intensiv genug um unberechtigte Vorwürfe. Die EU muss sich deutlicher gegen die Sündenbock-Rolle wehren. ()
Gibt es Bereiche, in denen Brüssel gar nichts zu melden hat?
Die Europäische Union basiert auf dem Grundsatz der Subsidiarität: Das ist ein politisches und gesellschaftliches Prinzip, nach dem Aufgaben und Entscheidungen auf die niedrigstmögliche politische Ebene verlagert werden sollen. Gesetze und Regeln dürfen also nur dann auf europäischer Ebene erlassen werden, wenn die damit verbundenen Ziele nicht von den Mitgliedstaaten allein gut erreicht werden können. Am weitesten reichen die Befugnisse der EU in der Agrarpolitik, dem Außenhandel und bei Zöllen. In der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik hingegen handeln die Mitgliedstaaten in der Regel allein für sich, stimmen sich aber gegenseitig ab. In der Außenpolitik wollen die EU-Staaten ihre Hoheitsrechte gar nicht teilen. Die Regierungen der Mitgliedstaaten arbeiten aber zusammen. ()
Der Europäische Gerichtshof oder das Bundesverfassungsgericht – wer hat das letzte Wort?
Ich gehe bis nach Karlsruhe! Dieser Ausruf versinnbildlichte das Versprechen, das Bundesverfassungsgericht werde die Torheiten anderer Gerichte schon korrigieren. Es war die Drohung, einen Streit bis zur letzten Instanz auszufechten. Diese steht mittlerweile in Luxemburg und heißt: Europäischer Gerichtshof. Die Gerichte symbolisieren die Spannungen zwischen Staat und EU. Wo endet das nationale Recht, wo beginnt das europäische? Offiziell besteht ein „Kooperationsverhältnis“ zwischen den Gerichten. Tatsächlich aber gewinnt der EuGH an Einfluss, weil viele Probleme auf europäischer Ebene geklärt werden. Würde das Bundesverfassungsgericht jedes europäische Gesetz am Grundgesetz messen, herrschte Stillstand in der EU. Daher greift Karlsruhe nur in zwei Fällen ein. Fall eins: Die EU garantiert keine wesentlichen Grundrechte mehr. Fall zwei: Die EU überschreitet ihre Kompetenzen. Beides kommt nur in der Theorie vor. Man wird sich an „Bis nach Luxemburg“ gewöhnen müssen. ()
Kann man die EU verklagen?

Die Spitzenkandidaten 2019 der Europawahl
Ja, das geht. In der Regel verklagt man aber die EU-Kommission, wenn einem Unrecht widerfahren ist. In bestimmten Fällen ist es sogar möglich, ohne Umwege den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg anzurufen, etwa wenn man glaubt, zu wenig Fördermittel bekommen zu haben. Der EuGH ist die letzte Instanz bei Klagen gegen die Europäische Union. Naheliegender ist es jedoch, zunächst einmal im Heimatland vor Gericht zu ziehen. Bei schwierigen Fragen kann es dann aber weitergehen bis in die letzte Instanz, also nach Luxemburg – siehe oben. ()
Warum klagen viele Städte über die EU?
Als es um den laufenden EU-Haushalt ging, war mehr als ein Dutzend Regionen in Sorge – alle ostdeutschen, dazu die Gegend um Lüneburg, der Großraum Warschau und einige italienische und spanische Regionen –, dass sie aus der Höchstförderung fallen würden. Denn Städte und Gemeinden profitieren stark von der Kohäsionspolitik der EU. Über 300 Milliarden Euro flossen ihnen binnen sieben Jahren zu. ()
Verdienen EU-Beamte zu viel?
Verglichen mit dem öffentlichen Dienst in Deutschland nimmt sich die europäische Verwaltung bescheiden aus. In den europäischen Institutionen arbeiten rund 55.000 Menschen, davon etwa 32.000 für die EU-Kommission. Dazu gehören auch zahlreiche Übersetzer und Dolmetscher. Das ist gar nicht so viel, wenn man bedenkt, dass das EU-Personal Dienstleistungen für Hunderte Millionen Menschen erbringt. Nur sechs Prozent des EU-Haushalts werden für Personal und Verwaltung aufgewendet, während 94 Prozent den Menschen und Mitgliedstaaten zugute kommen. Das Grundgehalt der Kommissionsbeamten startet bei rund 2500 Euro monatlich für neu eingestellte Beamte plus Zulagen. Nur wenige Spitzenbeamte kommen auf das höchste Gehalt von rund 16.200 Euro monatlich. Ein 13. Monatsgehalt (Weihnachtsgeld) wie im deutschen öffentlichen Dienst gibt es nicht. ()
Wie mächtig sind die Lobbyisten in Brüssel?
Rund 25.000 Lobbyisten versuchen in Brüssel, Einfluss auf die Politik der EU zu nehmen – weit mehr als beispielsweise in Berlin. Meist arbeiten die Interessenvertreter im Auftrag von Konzernen und Wirtschaftsverbänden. Um ihre Arbeit transparenter zu machen, gibt es Verhaltensregeln, die in den vergangenen Jahren mehrfach verschärft wurden. Wer beispielsweise als Lobbyist hochrangige Vertreter der EU-Kommission treffen will oder einen Dauerzugang zum Europaparlament haben möchte, muss in einem Register verzeichnet sein. Alle Ausschussvorsitzenden und Berichterstatter des Europäischen Parlaments müssen zudem ab der kommenden Legislaturperiode sämtliche Kontakte zu Lobbyisten veröffentlichen, die sie im Laufe eines Gesetzgebungsverfahrens getroffen haben. Gescheitert sind hingegen Bemühungen, den Einfluss von Lobbyisten auf den Europäischen Rat, also auf die Vertretung der nationalen Regierungen in Brüssel, transparenter zu machen. ()
Müssen wir Deutschen für die Staatsschulden der anderen zahlen?
Gepflegt wurde diese Erzählung vor allem während der Griechenland-Krise. Ab 2010 flossen insgesamt knapp 289 Milliarden Euro in das überschuldete Land – überwiegend aus Deutschland und anderen EU-Staaten. Das waren jedoch keine finanziellen Transfers, sondern lediglich Kredite, für die Athen Zinsen zahlen muss. Ergebnis: Deutschland gehört bisher zu den Profiteuren der Griechenland-Krise. Bis Mitte 2018 flossen mindestens 2,9 Milliarden Euro an Zinsgewinnen in den Bundeshaushalt zurück. Die deutschen Steuerzahler müssten allerdings tatsächlich für Verluste einspringen, wenn es Griechenland nicht gelingen sollte, die Kredite zu tilgen. Manche Experten sagen, nur durch eine Investitionsoffensive lasse sich Griechenlands Wirtschaft wieder in Schwung bringen. Zudem müsse Deutschland sein einseitig auf den Export ausgerichtetes Wirtschaftsmodell aufgeben und damit anderen Volkswirtschaften mehr Luft zum Atmen lassen. Andernfalls könne die Euro-Zone dauerhaft nur als Transferunion überleben. ()
Warum gibt es keine Europa-Armee?
Die Idee einer gemeinsamen Armee ist älter als die EU. Anfang der 50er Jahre waren sogar schon konkrete Pläne für eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft ausverhandelt und in Deutschland ratifiziert. Doch die französische Nationalversammlung stoppte das Projekt 1954 – vor allem aus Furcht vor dem Verlust nationaler Souveränität. Aber auch andere Länder wären bis heute nicht bereit, ihren Verteidigungsetat und die Befehlsgewalt über ihre Streitkräfte in die Hände einer EU-Institution zu geben. Zudem gibt es Bedenken, eine eigenständige EU-Armee könnte die bewährte Zusammenarbeit in der Nato schwächen. Trotzdem haben die EU-Mitglieder ihre militärische Zusammenarbeit zuletzt intensiviert. 2016 wurde die Idee einer europäischen Armee sogar explizit wieder aufgegriffen. 25 der 28 EU-Staaten wollen in den kommenden Jahren schrittweise die Integration und die Effizienz ihrer Armeen steigern. Auch die Produktion der Rüstungsindustrie soll stärker vereinheitlicht werden. ()
Kann die EU einen Mitgliedstaat ausschließen?
Nein. Ein Ausschluss aus EU oder Euro-Zone ist im EU-Vertrag nicht vorgesehen. Aufgenommene Länder haben sich an die Werte und Rechtsgrundlagen der EU zu halten. Dass ein Land sich gegen diese Prinzipien stellt, war nicht vorgesehen. Das schärfste Instrument ist die Suspendierung der Mitgliedschaft und der Entzug von Stimmrechten gemäß Artikel 7 des EU-Vertrags. Es kann eingesetzt werden, wenn ein Mitglied in schwerwiegender Weise die Grundwerte der Union verletzt, also etwa Menschenwürde, Freiheit oder Rechtsstaatlichkeit. Die Hürden in dem dreistufigen Verfahren sind allerdings hoch. Schon in Phase zwei müssen die anderen EU-Staaten einstimmig „eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung“ feststellen. Erst danach kann die Entscheidung folgen, ob etwa ein Abstimmungsverbot erlassen wird. Für diesen Sanktionsbeschluss ist dann wiederum eine qualifizierte Mehrheit im EU-Rat nötig, derzeit sind das 20 Mitgliedstaaten. Die finanziellen Verpflichtungen gegenüber der EU muss das Land aber weiterhin erfüllen. Bisher wurde das Verfahren noch nie bis zum Ende durchgezogen. Ursprünglich sahen die EU-Verträge auch keinen Austritt aus der Union vor. Der Vertrag von Lissabon änderte das 2009. ()
Was hat die EU mit meiner Pizza zu tun?
Die Brüsseler mischen sich in alles ein, lautet ein gängiges Vorurteil. Sie schrieben uns sogar vor, welche Pizza wir essen. Dabei schützt die EU viele regionale Lebensmittel vor Nachahmung. Darunter sind neben Pizzen aus Neapel übrigens auch viele deutsche Spezialitäten. In Deutschland profitieren 90 Produkte allein von diesen sogenannten geschützten geografischen Angaben (g.U. und g.g.A.). Dazu gehören zum Beispiel Lübecker Marzipan, Westfälischer Pumpernickel, Halberstädter Würstchen, Dresdner Stollen, Lausitzer Leinöl, der Hessische Apfelwein, Schwäbische Spätzle, Aachener Printen oder Bayerisches Bier. Wie diese hergestellt werden, entscheidet die EU aber nicht. Übrigens sind es die Hersteller – nicht „die EU“ –, die beschreiben, was ihr Produkt schützenswert macht. Im Fall der „Pizza Napoletana (garantiert traditionelle Spezialität)“ waren es also die Pizzabäcker aus Neapel, die das traditionelle Herstellungsverfahren ihres Produkts eintragen und schützen ließen. ()
Warum hat bei der Europawahl eine lettische Stimme mehr Gewicht als eine deutsche?
Die Anzahl der Abgeordneten eines EU-Staats im Europäischen Parlament ist nicht direkt proportional zu seiner Bevölkerung. So stellt Deutschland mit 96 Sitzen zwar die größte Gruppe, diese 96 vertreten jedoch auch über 60 Millionen Wahlberechtigte beziehungsweise über 82 Millionen Einwohner. Damit kommen auf jeden Parlamentarier rund 850.000 Menschen. Höher ist dieser Wert nur in Frankreich, dort vertritt jeder Abgeordnete rund 870.000 Menschen. In Lettland sind es 287.000, in Malta sogar nur 67.000. Das hat eine klare Ursache: Die EU hat sich mit dem Lissabon-Vertrag dazu verpflichtet, nicht mehr als 751 Parlamentsplätze zu vergeben. Eine proportionale Verteilung hätte zur Folge, dass kleine Staaten keine relevante Mitbestimmung mehr hätten. Denn durchschnittlich vertritt jeder Abgeordnete aktuell 485.000 Menschen, Staaten wie Luxemburg (aktuell sechs Sitze) wären bei einer proportionalen Verteilung gar nicht vertreten, während Deutschland 120 Parlamentarier haben müsste. ()