EU-Gipfel Merkel-Diplomatie in der Krise

Berlin · Der EU-Sondergipfel zur Besetzung der fünf Top-Posten endet nach 20-stündigen Verhandlungen im Debakel. Die Kanzlerin ist von der Pleite überrascht.

Es ist ein Negativ-Rekord, den die EU-Staats- und Regierungschefs da aufgestellt haben. Sie haben noch länger gerungen als 2015 in der Griechenland-Krise – im Gegensatz zu damals aber ohne Ergebnis. Und das nach 20-stündigen Verhandlungen. Der Ruf von Kanzlerin Angela Merkel als Krisenmanagerin ist ramponiert.

Bisher verliefen solche Gipfel meistens so, dass die anderen müde und genervt irgendwann einschlugen und Merkel Kompromisse erzielen konnte. Auch deshalb galt sie als mächtigste Frau der Welt. Am Montagvormittag beschreibt sie in Brüssel die Gespräche ohne Resultat dann so: „Das war es, was wir die vielen Stunden betrieben haben.“ Reden ohne Taten. Eine Nacht des Nichts. Als sie über ihre Bemerkung zu der Sisyphusarbeit selbst schmunzeln muss, wirkt sie wie immer. Ein bisschen Selbstironie, ein Seitenhieb gegen die anderen und dann der Blick nach vorn. Es ist aber nichts wie immer. Die Zeiten haben sich geändert. An diesem Tag ist es ein Totalschaden.

Das liegt zum einen daran, dass die Konservativen und Sozialdemokraten im EU-Parlament erstmals gemeinsam keine Mehrheit mehr haben, und kleinere Parteien mehr Ansprüche in den Verhandlungen anmelden können. Insofern wankte das Modell der Spitzenkandidaten von EVP und SPE, Manfred Weber und Frans Timmermans, mit der Erwartung, dass der Gewinner Nachfolger von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wird. Frankreichs Präsident Emanuel Macron pochte auf mehr Macht für die Liberalen und wollte dann zwar Timmermans akzeptieren, aber keinesfalls Weber akzeptieren.  

Zum anderen sieht es aber danach aus, dass in der Europäischen Volkspartei etwas gehörig schief gelaufen ist, womit Merkel nicht gerechnet hat. Denn sie hatte sich mit deren Vorsitzenden Joseph Daul, mit Weber sowie den Parteichefs von CDU und CSU, Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder, extra vorher getroffen und einen Plan besprochen. Demnach gab es eine gemeinsame Linie für Timmermans als Kommissionspräsidenten und Weber als Parlamentspräsidenten. Für sie persönlich war das vertretbar. Zumindest bemüht sie bei der Pressekonferenz in Brüssel für diesen Plan ein Beispiel aus der deutschen Geschichte: 1976 war die CDU mit 48,6 Prozent als stärkste Kraft aus der Bundestagswahl hervorgegangen und SPD und FDP bildeten die Bundesregierung.

Die Rochade besprach Merkel mit Macron und ihren Amtskollegen von Spanien und den Niederlanden am Rande des G20-Gipfels in Japan, bevor sie am Sonntag zum EU-Gipfel nach Brüssel flog. Doch dort protestierte ein Teil der EVP scharf und ließ sich auch nicht besänftigen. Die Empörung, dass sie als Sieger aus der Wahl hervorgeht und dann dem politischen Gegner und Verlierer den Chefposten überlassen soll, war zu groß.

Merkel hatte es im vorigen Jahr als Wagnis beschrieben, Parteivorsitz und Kanzleramt nicht in einer Hand zu behalten, sich aber nach verlorenen Landtagswahlen trotzdem als Parteichefin zurückgezogen. Nun wehrt sie sich dagegen, dass die Verantwortung für das Debakel bei ihr allein abgeladen werden soll. Und das hört sich so an: „Erstens gibt es keinen Kompromiss von Osaka, sondern es gibt Ergebnisse einer Besprechung des Parteivorsitzenden der Europäischen Volkspartei, mit dem Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei, mir und den beiden Parteivorsitzenden von CDU und CSU. Und genau diese Ergebnisse habe ich in Osaka vertreten und andere haben sie woanders vertreten. Offensichtlich nicht so ausreichend genug, dass es darüber einen Konsens gab.“

Das bedeutet, sie kümmerte sich um Macron und Co und die Partei sollte ihren Teil beisteuern. Und dann kommt sie selbst noch einmal auf den Vorwurf zurück, sie sei noch nie eine glühende Verfechterin des Spitzenkandidaten-Modells gewesen. Solange EVP und SPE die Mehrheit im Parlament hatten, sei das relativ einfach gewesen, sagt Merkel. Nur jetzt seien die Ansprüche eben nicht mehr so einfach durchzusetzen.

Der Schwung, den die Wähler durch ihre hohe Beteiligung an der Europawahl und ihr Interesse an den Geschicken der Europäischen Union ausgelöst hatten, ist nun aber schon wieder fast verschwunden. Transparent und schnell sollte über die fünf Top-Posten der EU entschieden werden: Kommissionspräsident, Parlamentspräsident, Ratspräsident, Außenbeauftragter, EZB-Chef. Und dann verhaken sich die Mitgliedstaaten wieder. Die Kanzlerin räumt ein, dass die EU-Politik mit diesem Sondergipfel ein schlechtes Bild in der Öffentlichkeit abgegeben habe. „Ja. Trotzdem ist Politik der Versuch, das Mögliche zu realisieren. Das dauert manchmal.“ Nun soll es Dienstagvormittag weitergehen. Erst einmal müssten alle schlafen, betont Merkel. Dann komme auch der Wille zum Kompromiss wieder. Es ist die letzte Chance vor der konstituierenden Sitzung des EU-Parlaments am Mittwoch. Dort wollen die Abgeordneten einen Präsidenten wählen. Ob mit dem Segen der Staats- und Regierungschefs oder ohne.

(kd)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort