Nach Grünen-Klage Karlsruhe pocht auf umfassende Einbindung des Bundestags in EU-Fragen

Karlsruhe · Im Juli 2015 hält die Griechenland-Krise die Eurozone in Atem. Nach dramatischen Verhandlungen steht ein neues Hilfspaket. Rückblickend gibt es aber ein Problem: Der Bundestag wurde zu spät informiert.

 Die Bundesregierung hätte den Bundestag auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise 2015 vor entscheidenden Treffen mit den Euro-Partnern vorab über ihre Verhandlungslinie informieren müssen.

Die Bundesregierung hätte den Bundestag auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise 2015 vor entscheidenden Treffen mit den Euro-Partnern vorab über ihre Verhandlungslinie informieren müssen.

Foto: dpa/Socrates Baltagiannis

Die Bundesregierung muss den Bundestag vor wichtigen Weichenstellungen auf europäischer Ebene rechtzeitig mit ins Boot holen. Darauf pocht das Bundesverfassungsgericht in einer am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung. Die Karlsruher Richterinnen und Richter beanstanden, dass die Parlamentarier 2015 auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise vor entscheidenden Treffen mit den Euro-Partnern nicht über die deutsche Verhandlungslinie informiert wurden. Geklagt hatte die Grünen-Fraktion. (Az. 2 BvE 4/15)

Das sogenannte Organstreitverfahren zwischen Fraktion und Bundesregierung bezog sich auf die Ereignisse vom 11. bis 13. Juli 2015. Damals rangen in Brüssel erst die Finanzminister und dann die Staats- und Regierungschefs der Eurozone darum, ob das pleitebedrohte Griechenland den Währungsraum verlassen muss. Am Ende einigte man sich auf Bedingungen für ein drittes Hilfspaket.

Der Bundestag war über die Ergebnisse des Euro-Gipfels erst am 14. und 16. Juli unterrichtet worden. Ein Dokument, das das Finanzministerium am 10. Juli zur Vorbereitung der Verhandlungen erarbeitet hatte, leitete die Bundesregierung dem Bundestag am Nachmittag des 12. Juli zu. Verschiedene Spitzenpolitiker und -beamte der Eurogruppe hatten es schon am 10. Juli bekommen.

Über die Vorschläge in diesem Papier, zu denen auch die Option einer Auszeit Griechenlands aus dem Euro gehörte, hätte der Bundestag „spätestens nach Abfassung des Dokuments“ am 10. Juli informiert werden müssen, beanstandet nun Karlsruhe. „Eine Mitteilungspflicht besteht, sobald feststeht, dass ein Vorschlag oder eine Initiative der Bundesregierung zum Gegenstand von Verhandlungen auf europäischer Ebene gemacht und damit nach außen kommuniziert werden soll.“

Grundlage dafür ist Artikel 23 im Grundgesetz. Er verpflichtet die Bundesregierung unter anderem dazu, Bundestag und Bundesrat in EU-Fragen „umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten“. Bei den Griechenland-Verhandlungen wurde dieses Recht nach den Feststellungen des Zweiten Senats klar verletzt.

Die Gespräche über Finanzhilfen im hohen zweistelligen Milliardenbereich hätten „unmittelbar das Budgetrecht und die haushaltspolitische Gesamtverantwortung“ des Bundestags betroffen, hieß es. Ein zeitweiser Ausschluss Griechenlands aus dem Euro wäre „mit ganz erheblichen Auswirkungen“ auf die europäische Integration und den Bundeshaushalt verbunden gewesen. In Anbetracht dieser herausragenden Bedeutung und Komplexität der Angelegenheit „war eine besonders intensive Beteiligung des Deutschen Bundestages geboten“.

Die Bundesregierung hatte ihr Vorgehen damit verteidigt, dass die Verhandlungsposition vor Beginn der Gespräche noch nicht endgültig festgelegt gewesen sei. Aber das lassen die Verfassungsrichter nicht gelten: „Führt die Bundesregierung im Rahmen einer überaus bedeutsamen Angelegenheit neue Optionen und Lösungsvorschläge in die Diskussion mit ihren europäischen Partnern ein, so unterliegt auch dieser nach außen gerichtete Willensentschluss der Unterrichtungspflicht.“ Geheim gehalten werden dürften solche Überlegungen nur, solange sie rein regierungsintern erörtert werden.

(june/dpa)
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