Wer wird die Sozialdemokraten führen? Machtkampf um das Erbe der SPD

Berlin/Düsseldorf · Olaf Scholz will Kanzlerkandidat werden. Doch mehrere Spitzengenossen haben etwas dagegen – und verfolgen eigene Pläne.

Wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre, käme die SPD auf gerade noch 15 bis 17 Prozent. So wenig Zustimmung gab es selten. Und doch gehört es zum Selbstverständnis der SPD als Volkspartei, einen Kanzlerkandidaten aufzustellen. Sonst könnte man ja gleich hinschmeißen, heißt es im Willy-Brandt-Haus. Klar ist aber auch, dass sich etwas ändern muss. Es brodelt in der Partei, die Zeit von Hinterzimmerdeals ist vorbei. Die Basis wünscht sich Transparenz, einen Urknall, mit dem alles besser werden soll: Inhalte, Strategie – und das Führungspersonal.

Und so wird in der Parteizentrale das Wort Urwahl immer häufiger betont, wenn es um mögliche Konsequenzen aus einer Reihe von Wahlen in diesem Jahr geht. Generalsekretär Lars Klingbeil, der den Bundesparteitag im Dezember vorbereiten muss, könnte die Urwahl des Kanzlerkandidaten schon in diesem Jahr als Option vorschlagen und die Delegierten darüber abstimmen lassen. Doch für eine Urwahl braucht es mehrere Kandidaten.

Als sicher gilt, dass Olaf Scholz antreten will und Andrea Nahles ihn vorschlagen könnte. Der Vizekanzler und Finanzminister traut sich die Kanzlerkandidatur zu, antwortet auf Fragen nach seinen Ambitionen überraschend deutlich, und ist eng abgestimmt mit Parteichefin Nahles, die eigene Pläne aufgrund ihrer schlechten Popularitätswerte zurückstecken würde. Zustimmung bekommt er beispielsweise vom Chef des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD-Fraktion, Johannes Kahrs. Alles hängt von den Ergebnissen bei den kommenden vier Landtagswahlen und bei der Europawahl ab, aber als nahezu sicher gilt inzwischen, dass Scholz nicht der einzige Kandidat wäre.

Hinter den Kulissen machen sich verschiedene Gruppen bereit für den „Tag X“. Da ist zunächst das Tandem der Ex-Parteichefs. Martin Schulz und Sigmar Gabriel sollen sich einen eigenen Schlachtplan zurechtgelegt haben, wie sie in der SPD wieder Einfluss nehmen könnten. Nach Informationen unserer Redaktion aus dem Umfeld der beiden Spitzenpolitiker, soll Schulz Gabriel geraten haben, bei einer möglichen Urwahl gegen Scholz anzutreten. Gabriel soll nicht abgeneigt gewesen sein, sollte die SPD bei den Landtagswahlen erhebliche Verluste einfahren und die Basis sich eine Neuaufstellung mit erfahrenen Köpfen wünschen. Zumal das Verhältnis von Gabriel und Schulz zur amtierenden Parteiführung massiv beschädigt ist. Gabriel wird kaum noch gefragt und sieht sich in die Rolle des Sündenbocks gedrängt, der für alles Schlechte in der SPD herhalten muss. Nach seinem von Nahles und Scholz erzwungenen Abschied aus der operativen Politik hat er sich nie mit der Rolle des Zuschauers abgefunden. Gabriel ist präsent, umtriebig und kommentiert regelmäßig das politische Geschehen. Doch er hat kaum noch Fürsprecher an herausgehobenen Positionen. Am lautesten lobt noch der bayerische Abgeordnete Florian Post den früheren SPD-Chef.

Und Martin Schulz, der sich mit öffentlicher Kritik an Nahles und Scholz zurückhält, hat sich geärgert, dass die SPD-Führung ihn nicht persönlich zum Europaparteitag eingeladen hat. Dass er als profilierter Europapolitiker im Willy-Brandt-Haus und an der Fraktionsspitze nahezu ignoriert wird, wurmt den langjährigen Präsidenten des Europäischen Parlaments. Zwischen Martin Schulz und Olaf Scholz ist das Tischtuch ohnehin zerschnitten. So arbeitet Schulz im Hintergrund engagiert an dem Szenario mit, dass Scholz nicht Kandidat wird.

Das selbe Ziel haben illustre Politiker der mitgliederstarken Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. NRW-SPD-Chef Sebastian Hartmann und der NRW-Landesgruppenvorsitzende Achim Post können sich eine Neuaufstellung an der Spitze der SPD ebenfalls gut vorstellen. Sie arbeiten eng mit Niedersachsens Landesgruppenchef Johann Saathoff zusammen. In Berlin heißt es, Post wolle den Fraktionsvorsitz im Bundestag übernehmen, sollten die Europa- und die Bremen-Wahl so schlecht ausgehen, wie es die Umfragen derzeit prognostizieren. Dann könnte Nahles zum Rücktritt von der Fraktionsspitze und zur Vorbereitung eines Urwahlkonzepts gezwungen werden. Die Unterstützung einiger niedersächsischer, hessischer und baden-württembergischer Abgeordneter ist Post angeblich sicher. Nahles könnte sich danach zumindest noch so lange als Parteichefin halten, bis es zur Kür eines Kanzlerkandidaten kommt – denn Kandidatur und Parteivorsitz gehören in eine Hand, wie es mehrheitlich in der SPD heißt.

Zugleich gibt es eine große Gruppe mächtiger Genossen, die weder Scholz noch Gabriel als Kandidaten sehen wollen. Sie favorisieren beispielsweise Niedersachsens Ministerpräsidenten Stephan Weil oder dessen Amtskollegin aus Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig. Bevor es Scholz oder Gabriel werden, würde auch der einflussreiche Juso-Chef Kevin Kühnert für diese möglichen Reservekandidaten stimmen. Ebenso Generalsekretär Lars Klingbeil. Der Niedersachse schafft es bisher sehr gut, Teil der Parteispitze zu sein und doch Distanz zu Nahles und Scholz zu wahren. Weil und Schwesig sind populär und regieren weitgehend geräuschlos. Weil ist eng mit NRW und der Hessen-SPD verbunden, Schwesig hat die Unterstützung der Ost-Verbände. Beide können auch gut miteinander, so dass sie sich wahrscheinlich im Vorfeld einigen würden, wer bei einer Urwahl antritt. Und dass die kommt, ist schon so gut wie sicher.

(brö/jd)
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