Cyber-Kalifat Verfassungsschutz sieht Gefahr durch Online-Rekrutierung von Terrormilizen

Berlin · Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang warnt vor der Schlagkraft der IS-Terrormiliz und der guten Organisation Rechtsextremer - die sich inzwischen auch über Online-Spiele vernetzen.

 Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang will soziale Netzwerke und Online-Spieleplattformen besser überwachen lassen.

Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang will soziale Netzwerke und Online-Spieleplattformen besser überwachen lassen.

Foto: dpa/Oliver Berg

Der IS konnte in Syrien und im Irak weitgehend zurückgedrängt werden, für Deutschland aber gibt der Verfassungsschutz keine Entwarnung. Im Gegenteil: „Wir müssen jederzeit auch mit einem Anschlag in Deutschland rechnen“, sagte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang der „Welt am Sonntag“. Der Geheimdienstchef warnte insbesondere vor einem „virtuellen Cyber-Kalifat“, das zu Anschlägen anstachele und auch immer noch Anhänger für Anschläge steuern könne.

Der Verfassungsschutz steht den digitalen Aktivitäten von Terrororganisationen und von  Rechtsrextremisten weitgehend hilflos gegenüber. Bislang dürfen die Geheimdienstler in Verdachtsmomenten Telefone überwachen, Messengerdienste wie „WhatsApp“ aber sind ihrem Zugriff entzogen. Innenminister Horst Seehofer (CSU) will dem Verfassungsschutz mehr Kompetenzen geben, hat dafür aber keine Mehrheit in der Koalition. Der Geheimdienst drängt auf die Reform. „Am klassischen Telefon überwachen wir oberflächliches Geplänkel. Zur Sache geht es dann in Chats, die uns oft verborgen bleiben“, sagte der Verfassungsschutzpräsident. „Extremisten und Terroristen wissen genau, wie sie sich unbemerkt austauschen können.“ Sie kommunizierten heute über Messengerdienste, über Facebook oder auch über Chats von Onlinevideospielen.

Mehr noch: Über einschlägige Onlinevideospiele wie „Fortnite“ oder „World of Warcraft“, die vor allem männliche Jugendliche gerne spielen, werden auch junge Menschen sowohl von IS-Terroristen wie auch von Rechtsextremisten geködert, wie unsere Redaktion aus Geheimdienstkreisen erfuhr. Die Verfassungsfeinde klinken sich in die Online-Spiele ein und testen aus, ob sich einer der Spieler anwerben lässt. Die weitere Kommunikation läuft dann über Chats, auf die der Verfassungsschutz keinen Zugriff hat.

Während der Geheimdienst bei den IS-Anhängern und Rückkehrern weiterhin die Gefahr von Anschlägen sieht, macht Haldenwang in der rechtsextremistischen Szene eine „intensivierte Vernetzung“ unterschiedlicher Gruppierungen Sorge. „Die Grenzen zwischen rechtsextremistischen Kreisen und dem Protestbürgertum verschwimmen zunehmend.“ Als Beispiel nannte der Verfassungsschutzchef den Fall des Bundeswehroffiziers Franco A., der als Flüchtling getarnt einen Anschlag verüben wollte. Mit solchen Szenarien beschäftigten sich rechtsextremistische Chatgruppen. Vor dem Hintergrund, dass insbesondere die Kinder von IS-Gefährdern der Terror-Ideologie ausgesetzt sind, forderte Haldenwang erneut die Möglichkeit, auch Kinder unter 14 Jahren überwachen zu können.

Für SPD und Grüne sind die  Mahnungen des Verfassungsschutzes kein Grund, die Befugnisse des Geheimdienstes auszuweiten. „Es gibt heute sehr effektive Überwachungsinstrumente und Wege der Erkenntnisgewinnung , so dass bei den letzten Anschlägen in Europa nicht ein Defizit an Informationen, sondern ihre korrekte Weitergabe und Einordnung das Problem war“, sagte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz unserer Redaktion. „Unsere Sicherheitsbehörden haben eine Vielzahl gesetzlicher Kompetenzen um ihre Arbeit auch in diesem Bereich tun zu können“, betonte auch SPD-Innenexperte  Burkhard Lischka.

(qua)
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