FDP-Bundesparteitag in Berlin 88 Prozent Zustimmung für FDP-Chef Christian Lindner

Berlin · Fünf Landtagswahlen verloren, aber kein Blick zurück: FDP-Chef Christian Lindner versucht in seiner Parteitagsrede den Spagat zwischen Abgrenzung von SPD und Grünen und der Loyalität zur eigenen Regierung. Lieber arbeitet er sich an der Union ab. Der Parteitag dankt es ihm mit 88 Prozent Zustimmung bei seiner Wiederwahl.

FDP-CHef Christian Lindner am Freitag auf dem Bundesparteitag in Berlin-Kreuzberg.

FDP-CHef Christian Lindner am Freitag auf dem Bundesparteitag in Berlin-Kreuzberg.

Foto: dpa/Christoph Soeder

Nach zehn Minuten hat Christian Lindner den Hallo-Wach-Moment in seiner Parteitagsrede erreicht. „Das Leben mit Verbrennungsmotor im Thüringer Wald ist nicht schlechter als das mit Lastenfahrrad im Prenzlauer Berg“, ruft der FDP-Chef den etwa 650 Delegierten auf dem Bundesparteitag in Berlin-Kreuzberg zu. Die FDP habe den Verbrennungsmotor vor dem Aus in Europa gerettet, freilich müssten die Autos bald mit klimagerechten E-Fuels fahren. Dann nimmt er sich die ungeliebten Klimakleber vor, die an diesem Freitag Berlins Straßen lahmlegen wollen. „Kein noch so edles Motiv kann darüber hinwegtäuschen, dass das Blockieren von Straßen nichts weniger ist als physische Gewalt“, sagt Lindner. Aufbrandender, dankbarer Applaus. Lindner hat den Saal jetzt hinter sich, allerdings gab es früher auch schon mal mehr Hingabe der Liberalen zu ihrer Nummer eins.

Nach neuneinhalb Jahren als Vorsitzender stellt sich der 44-jährige Parteichef an diesem Freitagnachmittag erneut zur Wahl. Vor zwei Jahren, wenige Wochen vor der Bundestagswahl, hatten ihn noch 93 Prozent bestätigt. Doch jetzt liegen eineinhalb Jahre Regierungsbeteiligung hinter dem Bundesfinanzminister. Viele FDP-Anhänger hadern nach wie vor mit dem Ampel-Bündnis, ein Denkzettel für Lindner wäre durchaus möglich gewesen.

Seit dem Start der Regierung hat die FDP fünf Landtagswahlen verloren. In drei Ländern scheiterte sie an der Fünf-Prozent-Hürde, in zweien, darunter in Nordrhein-Westfalen, flog sie aus der Regierung. Lindner hatte danach angekündigt, die FDP in der Ampel-Regierung sichtbarer machen zu wollen. Mit Verhandlungserfolgen beim Verbrennungsmotor oder im jüngsten Marathon-Koalitionsausschuss, in welchem die FDP den Bau von 145 Autobahnprojekten gegen den Willen der Grünen durchsetzte, ist ihr das gut gelungen. Überhaupt gehören die Autofahrer zum Kern der FDP-Klientel, wie Lindner auch an anderer Stelle deutlich macht: Eine Reform der Besteuerung von Dienstwagen, von den Grünen zur Haushaltskonsolidierung vorgeschlagen, kommt für ihn ebenso wenig infrage wie mögliche, spätere Fahrverbote oder ein Tempolimit.

Auffallend zahm bleibt Lindner dagegen beim in der Bevölkerung und in der eigenen Bundestagsfraktion höchst umstrittenen Thema Heizungstausch, dem jüngsten Klimaschutz-Vorhaben des grünen Vize-Kanzlers. Mindestens 30 FDP-Bundestagsabgeordnete haben sich auf dem Parteitag einem Abstimmungsantrag angeschlossen, der die Fraktion auffordert, das Gebäudeenergiegesetz mit den Vorgaben für den Heizungsaustausch im Bundestag zu stoppen. Doch die Ampel-Regierung muss nach den Misstönen der letzten Wochen jetzt weiter funktionieren und deshalb arbeitet sich Lindner lieber an der Union ab als an den Grünen oder der SPD.

Aus der CDU waren in dieser Woche Entwürfe für das neue Grundsatzprogramm bekannt geworden. Was die Union da an Reformen im Steuersystem plant, ist für sie vergleichsweise revolutionär: Kleine und mittlere Einkommen will sie zu Lasten höherer Einkommen entlasten. Um den so genannten „Mittelstandsbauch“ im Einkommensteuertarif „abzuflachen“, soll der Spitzensteuersatz für Besserverdienende steigen. Für Lindner ist das ein gefundenes Fressen: Nach seiner Schätzung müsse der Spitzensatz auf 57 Prozent steigen, wenn das CDU-Konzept aufgehen solle. Es sei ungerecht, wenn Leistungsträger „mehr von ihrem Einkommen abgeben müssen, als sie selbst behalten dürfen“, sagt Lindner unter viel Beifall. Noch lauter wird die Zustimmung, als der FDP-Chef auch die von der Union geplante Pauschalbesteuerung für Erben, eine so genannte „Flat Tax“, anprangert.

Lindner hat als Finanzminister harte Wochen vor sich. Er will die Schuldenbremse einhalten und Steuererhöhungen verhindern, doch im Bundeshaushalt 2024 klafft ein Defizit von 20 Milliarden Euro oder mehr. Das lässt sich ohne höhere Schulden oder Steuern nur durch Sparmaßnahmen schließen, die innerhalb der Ampel-Koalition aber höchst strittig sind. Doch auch hier knöpft sich der Minister lieber die Union vor als die Ampel-Kollegen. Die Vorgängerregierung habe staatliche Leistungen immer mehr ausgeweitet, ohne für deren Finanzierung zu sorgen. „Jetzt kommt der Bumerang der unsoliden CDU-Finanzpolitik zurück“, sagt Lindner.

Am Ende bestätigt der Parteitag ihn mit sehr guten 88 Prozent im Amt. Wolfgang Kubicki wird mit 72 Prozent erneut Partei-Vize, vor zwei Jahren erreichte Schleswig-Holsteins Landeschef noch deutlich bessere 88 Prozent. Auch Parlamentsgeschäftsführer Johannes Vogel wird mit 71 Prozent als Vize bestätigt — nach 79 Prozent 2021. Neue dritte Stellvertreterin Lindners wird die hessische Landesvorsitzende und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, die 86 Prozent der Delegierten überzeugt.

 dpatopbilder - 21.04.2023, Berlin: Christian Lindner, FDP-Bundesvorsitzender und Bundesfinanzminister, spricht beim FDP-Bundesparteitag. Auf der Tagesordnung steht unter anderem die Neuwahl der Parteispitze. Foto: Christoph Soeder/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

dpatopbilder - 21.04.2023, Berlin: Christian Lindner, FDP-Bundesvorsitzender und Bundesfinanzminister, spricht beim FDP-Bundesparteitag. Auf der Tagesordnung steht unter anderem die Neuwahl der Parteispitze. Foto: Christoph Soeder/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

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Nur eine stellt Christian Lindner, weiterhin die unumstrittene Nummer eins der FDP, an diesem Freitag in den Schatten: die Düsseldorfer Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die 65-jährige scharfzüngige Verteidigungsexpertin tritt 2024 als Spitzenkandidatin bei der Europawahl an und erntet dafür tosenden Beifall.

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