„Deutschlandtag“ der Jungen Union Die Suche nach dem „Endboss“ der Union

Kiel · Der „Deutschlandtag“ der Jungen Union wird zum Schaulaufen für die Zeit nach Merkel. Vor allem Jens Spahn und Annegret Kramp-Karrenbauer werden aufmerksam beäugt. Am stärksten rockt die Halle aber ein anderer.

 Ein Friesennerz für die Saarländerin: CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Paul Ziemiak, der Vorsitzende der Jungen Union, am Sonntag in Kiel.

Ein Friesennerz für die Saarländerin: CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Paul Ziemiak, der Vorsitzende der Jungen Union, am Sonntag in Kiel.

Foto: dpa/Carsten Rehder

Dieses praktische Geschenk hat jeder von ihnen bekommen. Der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak, überreicht den quietschgelben Regenmantel für stürmische Zeiten allen Gastrednern beim dreitägigen JU-Deutschlandtag in hohen Norden am Meer. Und die Zeiten sind so stürmisch, dass vorsichtshalber ein Großteil der Führungsmannschaft von CDU und CSU zum Kongress ihrer mit 115.000 Mitglieder größten Jugendorganisation Europas der Einladung gefolgt ist: die Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein und NRW, Daniel Günther und Armin Laschet, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der EVP-Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament, Manfred Weber, Gesundheitsminister Jens Spahn, der neue Bundestagsunionsfraktionschef Ralph Brinkhaus, CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Noch auf der Bühne angezogen hat die Regenrobe aber nur eine: Kramp-Karrenbauer.

Die Kapuze fällt der 56-Jährigen ins Gesicht, sie reckt beide Arme nach oben. Gerade hat sie eine kämpferische Rede gehalten, an deren Anfang sie sich über Medienberichte beklagt hat, wonach in Kiel ein Schaulaufen der möglichen Merkel-Nachfolger zu erwarten sei. Aber natürlich schaut das Publikum genau darauf und vor allem auf diese beiden Gäste: Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn. Beide werden wohl nicht ohne Unterstützung Laschets, des Chefs des größten Landesverbandes, ganz nach oben kommen. Womöglich greift er sogar selbst zu. Aber er hält sich auch in Kiel bedeckt.

So werden Redezeit und Applaus von Spahn und Kramp-Karrenbauer verglichen und gestoppt. Bei Spahn sagt eine Delegierte in den hinteren Rängen: „Los, klatschen, das muss länger als 55 Sekunden dauern.“ Mit dieser Zeit war Merkels Auftritt bedacht worden. Sie kam beim kritischen Parteinachwuchs mit einer selbstkritischen und nach vorn gerichteten Rede gut an.

Spahn, im dunklem Anzug, schafft es aber auf das Doppelte von Merkel und bekommt auch den größeren Schlussapplaus als Kramp-Karrenbauer für seine recht staatstragende Rede mit einem Appell zu mehr Zusammenhalt. „Wir als Union, wir wollen uns nicht spalten lassen, nicht als Partei, nicht als Land, nicht als Bürger. Wir wollen Zusammenhalt durch Zuversicht“, ruft er den 300 Delegierten zu. Er legt den Schwerpunkt auf das Sicherheitsgefühl der Bürger, auf einen starken Rechtsstaat, auf eine strikte Integrationspolitik. „Vollgas“ verlangt er da von der Bundesregierung.

Alexander Dobrindt hält unterdessen eine recht kraftlose Rede, finden hier viele. Er steht besonders unter Druck, denn seine CSU könnte bei der Landtagswahl in Bayern am nächsten Sonntag ein Fiasko erleben. Bei der JU wird spekuliert, dass CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer dann schnell zum Rücktritt gedrängt werde. Einen Nachfolger als Parteichef wüssten sie auch schon: Manfred Weber, der gern EU-Kommissionspräsident werden möchte und in Kiel eine starke Rede gehalten hat.

Kramp-Karrenbauer, in bunter Hippie-Bluse mit Schriftzug „Rock Dreams Love“, ist streitlustig aufgelegt. Sie stellt erst einmal Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) wegen dessen Schuldzuweisungen in Richtung Bundesregierung in den Senkel. Der vor 30 Jahren gestorbene Franz Josef Strauß hätte einen „Pfifferling“ auf schlechte Umfragewerte gegeben und sich nicht entmutigen lassen. „Er würde nicht eine Woche vorher anfangen und öffentlich darüber reden, wer schuld an der Niederlage ist.“ Sie reißt den Parteinachwuchs mit ihrem Anspruch an bessere Wahlergebnisse und einem Rundumschlag gegen SPD, FDP und Grüne öfter mit, als Spahn es tut.

Und im Publikum wird aufmerksam verfolgt: Geht sie auf Distanz zu Merkel? Es heißt immer, ihre Nähe zur Kanzlerin sei ihre Stärke und Schwäche zugleich. Irgendwann muss sie sich abgrenzen, sonst wird das nichts mit der Nachfolge.

So macht diese Passage zu schlechten Umfragewerten der Union hellhörig. Wer sich immer nur damit begnüge, den Menschen zu sagen „Wir haben Schlimmeres verhindert“, dürfe sich nicht wundern, wenn er bei 27 Prozent lande. Damit wolle sie sich nicht zufriedengeben, und, „sorry“, es reiche auch nicht, gute Regierungsarbeit zu machen. „Wenn jemand die CDU in diesem Land wählt, dann hat er Anspruch darauf, dass er gute Regierungsarbeit erhält. Es kann doch nichts Besonderes sein zu sagen: Wählt uns, weil wir eine gute Regierungsarbeit machen. Wo sind wir denn da hingekommen?“ Es gehe um Ideen, Visionen, den Blick in die Zukunft. Parteien bräuchten Feuer. „Parteien werden nur dann gewählt, wenn sie begeistern können, wenn sie etwas in sich tragen, das die Menschen für sie einnimmt.“ Kramp-Karrenbauer hat den Namen Merkel nicht erwähnt. Aber man kann es so verstehen, dass sie die Parteichefin meint.

Über die „Bild am Sonntag“ heizt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble die Nachfolge-Debatte an. Er sagt zur Frage von Merkels politischer Zukunft: „Entweder sie entscheidet selbst, wann die Zeit gekommen ist. Oder sie wird im Parlament zum Rücktritt gebracht. Oder der Wähler wird sie irgendwann abwählen.“ Er sagt jedoch auch: „Ich bin sicher, dass Angela Merkel auf dem kommenden Parteitag als CDU-Vorsitzende wiedergewählt wird.“ Merkel hatte kürzlich erklärt, dass sie genau das anstrebt. Das Signal: kein Wechsel in dieser Legislaturperiode. Sie will bis 2021 Kanzlerin bleiben. Da könnte es höchstens 2020 einen Wechsel an der Parteispitze geben.

Auch Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier rechnet mit „klarer Zustimmung“ für die Parteivorsitzende. „Wir täten uns keinen Gefallen, die gleiche Diskussion anzufangen wie die SPD“, sagt er dem „Tagesspiegel“. An anderer Stelle erklärt Bouffier aber, dass er auch der Ansicht ist, dass Kramp-Karrenbauer Kanzlerin werden könnte. „Natürlich kann sie Kanzlerin. Ich traue ihr das zu.“ Sie sei „für den Fall der Fälle eine sehr gute Alternative“.

Einer, den bis zur Abwahl des langjährigen Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder niemand auf der Rechnung hatte, rockt die Halle des Handball-Rekordmeisters THW Kiel am stärksten: Ralph Brinkhaus. Er schmiert der JU viel Honig um den Bart. Er wünsche sich, dass sie die Fraktion fordere und überrasche, dass sie mutig sei und die Bundestagsabgeordneten lehre, Dinge neu zu denken und den Aufbruch zu wagen. Der 50-Jährige sagt immer höflich „Damen und Herren“ und verspricht, bis zum nächsten Mal „Freundinnen und Freunde“ zu beherrschen. Er beschwört den Wert der Breite der Volkspartei und die Kunst, nach einem Streit wieder zusammenzufinden. Er hält das hierarchische Denken, dass nur Vorstände und Gremien die Partei steuern, für veraltet und wirbt für Projektarbeit und Personalentwicklung. Das mache auch jeder größere Fußballverein. Er macht deutlich, dass er sich auf niemandes Seite ziehen lassen will, sondern der Brückenbauer ist. Ziemiak sagt hinterher: „Das war eine saustarke Rede.“

Je nachdem wie die Landtagswahl in Hessen am 28. Oktober ausgeht, werden die Weichen für Merkel wohl gestellt. Bleibt Bouffier im Amt, bleibt sie es auch, heißt es. Stürzt er, sei alles offen. Bleiben noch die Lieder, die die Junge Union zum Einmarsch der Gastredner in die Halle einspielen. „Don't Stop Believin'“ („Hör' nicht auf zu glauben“) der US-Rocker von Journey aus den 80er Jahren ertönt, als Merkel kommt. Zu „Alles neu“ von Peter Fox schreitet Brinkhaus auf die Bühne. Kramp-Karrenbauer: „For a better day“ („Bald werden bessere Tage kommen“) von Avicii. Und für Jens Spahn hat die JU etwas ganz Besonderes parat: den Rapper Marteria. Mit: „Endboss“.

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