Bundestagswahlen im Oberbergischen Kreis „Mein Elternhaus war unpolitisch“

Oberberg · Sabine Grützmacher tritt für die Grünen im Wahlkreis 99 / Oberberg an. Ihr politisches Engagement begann allerdings während des Studiums in Kiel.

 Sabine Grützmacher auf dem Marktplatz von Wipperfürth. Am vergangenen Wochenende machte sie in mehreren Kreiskommunen Wahlkampf.

Sabine Grützmacher auf dem Marktplatz von Wipperfürth. Am vergangenen Wochenende machte sie in mehreren Kreiskommunen Wahlkampf.

Foto: Stefan Gilsbach

Vor einigen Tagen hat Sabine Grützmacher in Lindlar Gelegenheit gehabt, mit Landwirten der Region zu sprechen. Der Oberbergische Kreis ist noch immer stark ländlich geprägt. Grüne Politik und die Agrarwirtschaft, das war nicht immer spannungsfrei. Als Bärbel Höhn einst grüne Landwirtschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen war, herrschte bei solchen Treffen öfters eine frostige Atmosphäre. Zudem wählte man in Oberberg auf dem Land traditionell CDU.

Solche starren Fronten erlebe sie nicht mehr, sagt Sabine Grützmacher. „Die Landwirte zeigen durchaus Bereitschaft, anders zu arbeiten, ökologischer. Aber sie machen deutlich, dass dies in den jetzigen  Strukturen schwierig sei. Und ein wichtiges Problem auf dem Land ist der Fachkräftemangel.“

An diesem Tag ist die 35-jährige Kandidatin bereits in mehreren Kommunen im Nordkreis unterwegs gewesen – in Radevormwald, Hückeswagen, Wipperfürth. Die Grünen starteten mit großer Bugwelle in den Bundestagswahlkampf, doch peinliche Pannen um Lebensläufe und Plagiate kratzten an der Glaubwürdigkeit der Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. „Inzwischen hat sich der Wahlkampf wieder stabilisiert“, zeigt sich Grützmacher überzeugt. „Seit dem Triell spielen die wichtigen Themen wieder eine Rolle.“

Sabine Grützmacher ist in der südlichsten Kommune des Oberbergischen Kreises aufgewachsen, in Morsbach. Heute lebt sie mit ihrem Ehemann in einer Gummersbacher Ortschaft. Politisiert wurde sie allerdings nicht in ihrer bergischen Heimat, sondern erst während ihrer Studienzeit in Norddeutschland, in Kiel. „Mein Elternhaus war komplett unpolitisch“, sagt sie im Rückblick. „Obwohl meine Mutter immer von einem Selbstversorger-Hof geträumt hat. Da sieht man schon eine Tendenz zum Ökologischen.“ In ihr Geburtsjahr 1986 fiel die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl – das Thema Umweltschutz trieb damals viele Menschen um. Einen Hang zur Natur hatte die junge Sabine seit ihrer Kindheit: Ihr Traum war es, Ornithologin zu werden, also Vogelkundlerin.

Es sei die Debatte über Studiengebühren gewesen, die sie in Kiel erstmals dazu bewegt habe, sich politisch zu engagieren. Zunächst ohne Parteibindung, doch schließlich bei den Grünen.

Ein klassisches Thema der Partei ist die umweltfreundliche Mobilität. Dazu führt die Kandidatin derzeit viele Gespräche mit den Bürgerinnen und Bürgern an Infoständen. „Manche machen sich Sorgen, dass die Grünen ihnen Probleme machen könnten, ihr Auto zu benutzen“, sagt sie. In einem großen Flächenkreis mit einem recht dünnen öffentlichen Nahverkehr eine nachvollziehbare Sorge. „Andererseits merke ich, dass das Bewusstsein für den Klimawandel größer wird.“ Die Menschen hätten begriffen, dass die Extremereignisse der letzten Zeit nicht einfach als die üblichen Wetter-Kapriolen abgetan werden könnten.

Ein Thema, das sie sehr umtreibe, sagt Grützmacher, sei das bezahlbare Wohnen. Sie habe während der Corona-Pandemie erlebt, dass Menschen große Angst hatten, ihr Zuhause zu verlieren. „Das wird das große soziale Thema werden“, ist die Grünen-Politikerin überzeugt. „Wir verlieren in letzter Zeit hunderte von Sozialwohnungen.“ Es gehe nicht so weiter, dass das Dach über dem Kopf das Spekulationsobjekt großer Konzerne sei. Eine Lösung ist in ihren Augen die Stärkung des genossenschaftlichen Wohnens – ein Punkt, der auch in Radevormwald seit geraumer Zeit wieder diskutiert wird.

Was es bedeutet, obdachlos zu werden, hat sie aus erster Hand erfahren, als sie in ihrer Jugend in einem Wohnheim für Männer, die einst auf der Straße lebten, ihr Praktikum absolvierte. Sie wählte als Beruf Sozialarbeiterin, doch neben dem Fachhochschul-Studium macht sie auch einen Master in „International vergleichende Soziologie / Medienpädagogik / Bildungsinformatik“.

Netzpolitik ist ein Thema, das sie sehr interessiert, ebenso die Bestrebungen, für mehr Transparenz bei der Lobbyarbeit zu sorgen. „Ich bin nicht grundsätzlich dagegen“, stellt sie klar. Schließlich müssten auch Nicht-Regierungsorganisationen für ihre Ziele eintreten, auf sich aufmerksam machen und ihre Inhalte den Entscheidungsträgern vermitteln. Aber der Ruch der Hinterzimmerpolitik sei eine Gefahr für die Demokratie, weil er bei vielen Bürgern den Eindruck erwecke: „Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen.“ Dann hätten populistische Parteien leichtes Spiel.

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