„Düsseldorfer Reden“ Gegen Antisemitismus hilft nur Bildung

Wie kann man den Antisemitismus in den Schulen stoppen? Diese Frage stand im Mittelpunkt eines Vortrags der früheren Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Schauspielhaus.

 Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bei den“Düsseldorfer Reden“.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bei den“Düsseldorfer Reden“.

Foto: Anne Orthen (orth)

VON BERTRAM MÜLLER

Alle reden von Russland und der Ukraine. Daher knüpfte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (70), die FDP-Politikerin, frühere Bundesjustizministerin und seit 2018 erste Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW, einfach ans Tagesgespräch an, als sie jetzt im Düsseldorfer Schauspielhaus einen Vortrag zu einem, wie sich herausstellte, verwandten Thema hielt: „Antisemitismus ist allgegenwärtig – Ursachen und Gegenstrategien".

Die temperamentvoll für ihr humanes Anliegen streitende Juristin begann beim russischen Präsidenten Putin, der seine Bombardements von zivilen Einrichtungen mit einer angeblich notwendigen „Entnazifizierung" der Ukraine begründet. Das sei nicht nur „ungeheurlich höhnisch", sondern zeige auch, „welches Potenzial menschenfeindliche Weltanschauungen haben".

Am Beispiel von Putins Verdrehung bewies Leutheusser-Schnarrenberger gleich ihre Fairness im Umgang mit Fakten. Sie gestand zu, dass es in der Ukraine tatsächlich eine rechtsextreme Bewegung gebe, darin die nationalistische Milizgruppe "Asow-Bataillon". Doch sei kein demokratisches Land frei von solchen Gruppen. Die ukrainische Rechte habe bei den Wahlen von 2019 nur zwei Prozent der Stimmen bekommen, also „markant weniger" als rechtsextreme und vom Verfassungsschutz beobachtete Parteien in Deutschland oder Frankreich. Und diese Partei gehöre nicht der Regierung an. Präsident Wolodymyr Selenskyi dagegen sei mit mehr als 70 Prozent der Stimmen gewählt worden, ein Mann aus einer jüdischen Familie, die in Teilen im Holocaust ausgelöscht wurde. Das Fazit der Juristin lautet: „Putins Behauptung, dass Russland in die Ukraine einmarschiere, um sie zu ,entnazifizieren', ist absurd."

Mit Bezug auf Jason Stanley, Professor an der Universität Yale, bezeichnete Leutheusser-Schnarrenberger den Faschismus weltweit als Führerkult, der angesichts einer vermeintlichen Demütigung der Nation durch ethnische, religiöse oder andere Minderheiten eine nationale Erneuerung verspreche. So wurden auch die Juden zum Feindbild: als angebliche Angehörige einer globalen Elite, die, sich auf die liberale Demokratie berufend, „Dekadenz, nationale Schwäche und moralische Unreinheit provozieren".

Was Antisemitismus im Deutschland von heute anlangt, so unterschied Leutheusser-Schnarrenberger zwischen vier Erscheinungsformen. Dabei ist die vierte, der nationalistische Antisemitismus, besonders gefährlich, weil er auf Argumente verzichtet: „Hier werden Juden als anders wahrgenommen und somit als Dritte abgestempelt. Dadurch werden sie als Fremdkörper eingeordnet, und ihnen wird Illoyalität gegenüber der jeweiligen Nation vorgeworfen."

In diesem Feld der Dämonisierung findet sich auch jene Kritik am Judentum und zugleich an Israel, die dem israelischen Staat das Existenzrecht abspricht. Zu den gemeinsten Formen des Antisemitismus zählen Verschwörungsmythen. Nach Beobachtung von Leutheusser-Schnarrenberger sind sie seit Beginn der Corona-Pandemie alltäglich geworden. Da heißt es dann, Israelis beziehungsweise Juden hätten das Virus erfunden, um mit einem  geeigneten Impfstoff Profit zu erzielen. Dahinter steht die Sehnsucht nach einfachen Erklärungsmustern in einer zunehmend schwerer verstehbaren Zeit.

Zu den jüngsten Formen des Antisemitismus zählt die Referentin dessen Verbreitung durch Popstars wie Xavier Naidoo, die Vermischung mit Positionen der Impfgegner und steile Thesen aus Chatgruppen im Internet. Oft sind sich nicht einmal die Gerichte darüber einig, was noch erlaubt und was schon strafbar ist – zum Beispiel die Aufschrift „ungeimpft" bei Demonstrationen.

Wie man den Antisemitismus beenden kann,  darauf hat Leutheusser-Schnarrenberger eine eindeutige Antwort: mit Prävention, „und Prävention bedeutet Bildung". Wenn „Du Jude" zu den häufigsten Beleidigungen auf deutschen Schulhöfen zähle, müssten solche Vorfälle zu Themen in einem aufklärenden Unterricht werden: „Auf antisemitische Vorfälle muss immer reagiert werden."

Leutheusser-Schnarrenberger fordert eine „Kultur des Hinsehens und Erkennens" – damit nicht antisemitische Motive im deutschen Gangsta-Rap darüber entscheiden, welches Bild vom Judentum junge Leute von heute dereinst ihren Kindern vermitteln.

„Der Hass klopft an unsere Tür", so beendete  Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ihren aufrüttelnden Vortrag. Der Antisemitismus stehe wieder auf den Straßen. Dagegen müsse die deutsche Gesellschaft Geschlossenheit zeigen: „Es darf keine Ausreden geben."

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