Gastbeitrag Geschichtswerkstatt Mönchengladbach „King Cotton“ an der Niers

Mönchengladbach · Baumwolle hatte für die Mönchengladbacher Textilindustrie eine herausragende Bedeutung. Wie dieser Rohstoff zunächst aus den USA den Niederrhein erreichte und woher er dann im 20. Jahrhundert kommen sollte.

 Sklaven auf den Baumwollfeldern der USA sorgten im 19. Jahrhundert für den am Niederrhein benötigten Rohstoff in den Baumwollspinnereien.

Sklaven auf den Baumwollfeldern der USA sorgten im 19. Jahrhundert für den am Niederrhein benötigten Rohstoff in den Baumwollspinnereien.

Foto: dpa

Der Aufstieg der Gladbach-Rheydter Baumwollindustrie steht im engen Zusammenhang mit der Kolonialgeschichte unserer Stadt. Von ihren Anfängen zu Beginn bis weit in das 19. Jahrhundert hinein liefert die auf der Sklaverei beruhende Baumwollproduktion in ihrer Vielschichtigkeit für den wirtschaftlichen Aufstieg zu einem der größten textilen Zentren auf dem europäischen Kontinent den Rohstoff. Als im Jahre 1861 der amerikanische Bürgerkrieg beginnt, lässt dies die Baumwolllieferungen aus den Südstaaten der USA nach Europa für Jahre versiegen und stürzt auch die Gladbach-Rheydter Baumwollindustrie in eine tiefe Krise, die zu Massenentlassungen, Abbau von Produktionskapazitäten und Betriebsschließungen führt.

In M.Gladbach, Rheydt und Odenkirchen haben ausgehend vom Beginn des 19. Jahrhunderts Betriebe einen rasanten Aufstieg im Zuge der Industrialisierung erlebt. Dies geht mit einer ständig wachsenden Nachfrage nach textilen Fasern einher, die nur durch die unbegrenzt zur Verfügung stehenden Baumwollmengen befriedigt werden kann. „King Cotton“ ist es, der die Textilproduktion an der Niers genauso wie die Dampfkraft antreibt und die Textilindustrie zur größten Beschäftigungsbranche im 19. Jahrhundert werden lässt. Das „weiße Gold“ lässt von Jahr zu Jahr die Bedeutung der Schafswolle und vor allem die des Flachses, aus dem das Leinen gewonnen wird, als textile Fasern schwinden. Im Gegensatz zu den beiden regionalen Fasern, handelt es sich bei der Baumwolle um einen globalen Rohstoff, dessen Pflanzen auf Grund des hier herrschenden Klimas auf den Feldern am Niederrhein nicht gedeiht. Die Baumwollpflanze verträgt keine niedrigen Temperaturen und kann überall auf der Welt nur unter tropischen Bedingungen wachsen und gedeihen.

Die erste Baumwolle gelangt über Holland an den Niederrhein. Schon für das ausgehende Mittelalter und für das sogenannte Goldene Zeitalter der Niederlande lassen sich die intensiven Handelsbeziehungen zwischen den am Niederrhein ansässigen Hauswebereien, die Flachs zu Leinen verspannen, und wirtschaftlichen Zentren des frühen Welthandels, wie z.B. den wichtigen Hafenstädten in Holland, nachweisen. So wurde das Leinen mit Pferdefuhrwerken vom Niederrhein nach Harlem verbracht, wo es dann mit Meersalz und Milch gebleicht wurde. Bei den Eigentümern der niederländischen Westindien-Companie (WIC) fand das fertige Leinen als eine im kolonialen Handel bevorzugte Ware interessierte Abnehmer. Die WIC betrieb mit ihrer Flotte einen transatlantischen Handel, in dem Leinen zum begehrten Tauschobjekt im frühen kolonialen Handel wurde. Von Holland aus brachte die WIC die Textilien nach Westafrika, wo sie gegen Sklaven eingetauscht wurden. Mit einer um die Menschenfracht erweiterten Ladung überquerten die Schiffe dann den Atlantik, um in den niederländischen Kolonien in Süd- und Mittelamerika bzw. der Karibik Sklavinnen und Sklaven gegen in Europa begehrte Güter wie Zucker, Kakao und Tabak, die auf den Plantagen angebaut wurden, einzutauschen und von dort in die Niederlande zu verbringen. Über diesen Weg gelangte die erste Baumwolle, die in Guyana und Surinam angebaut wurde, nach Holland, um von dort an den Niederrhein zu gelangen, wo sie von den Hauswebereien neben dem Leinen und der Schafswolle zu Garnen versponnen und zu Stoffen verwebt wurden. Die Route der WIC unter dem Namen „middeltocht“ markiert schon für die frühe Phase der Kolonialgeschichte koloniale Bezüge für die textile Produktion in den Flecken Rheydt und Gladbach schon zu Zeiten der Hausweberei mit Holland.

Nachdem unter Napoleon I. im Jahr 1798 die linke Rheinseite zur französischen Staatsgrenze wird, werden M.Gladbach, Odenkirchen und Rheydt zu einem Teil Frankreichs. Als Teil des französischen Staatsgebietes gehören die bis dahin wirtschaftlich unbedeutenden Städte plötzlich zu denjenigen, für deren Waren innerhalb Frankreichs Zollfreiheit gilt und die von diesem Privileg zudem profitieren, wenn es um den Export von Gütern aus dem französischen Staatsgebiet hinaus geht. Gleichzeitig belegt Napoleon die in England produzierten Waren – und das sind in erster Linie aus Baumwolle gefertigte Garne und Stoffe, aber auch die Baumwolle selbst – mit einem Importverbot, der Kontinentalsperre. Das Bergische Land auf der rechten Rheinseite war bis dahin eines der frühen Zentren der Textilindustrie, und nun verlor diese Region durch Napoleons Zoll- und Staatsgrenzenpolitik seine wirtschaftlich profitable Lage. In dieser Situation trafen Textilunternehmer aus dem Bergischen Land die Entscheidung, ihre Produktion in die linksrheinisch gelegenen Orte wie Gladbach und Rheydt zu verlegen. Das war der Startschuss für den Aufstieg der Städte Rheydt, Gladbach und Odenkirchen hin zu einem der bedeutendsten textilen Zentren in Preußen und später, nach 1871, im Deutschen Reich.

Im Zuge dieser Entwicklung wird der Niederrhein zu einem Zentrum, das die frühen Unternehmer zu Textilbaronen werden lässt. Immer mehr Baumwollspinnereien wachsen dabei aus dem Boden, immer mehr Spindeln drehen sich im Zuge der Dampfkraft und auf den später auch elektrisch angetriebenen Spinnmaschinen. Dabei sind es die wachsende Nachfrage nach Textilien und der wachsende textile Pro-Kopfverbrauch, die diese rasante Entwicklung befeuern. Im Mittelpunkt dieses Wachstums steht die Baumwolle, die als Rohstoff in immer größeren Mengen den Weg in das Manchester des Niederrheins findet. Diese Baumwolle hat nun ihren Ursprung auf den Baumwollplantagen der Südstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika, wo es schwarze Sklavinnen und Sklaven sind, die mit ihrer unbezahlten Arbeitskraft dafür sorgen, dass die Baumwollbörsen den Baumwollspinnereien den Rohstoff liefern, der im 19. Jahrhundert zum Bedeutendsten auf der Welt zählt.

Als im Jahr 1861 der Amerikanische Bürgerkrieg ausbricht, versiegen diese Lieferungen für mehrere Jahre. Die amerikanische Baumwollproduktion braucht zwanzig Jahre, um sich vom Bürgerkrieg zu erholen. Die Baumwollnot, auch als „cotton famine“ bezeichnet, markiert eine kollektive Erfahrung, die den führenden Textilproduzenten in England und Deutschland ihre Rohstoffabhängigkeit von den Baumwolllieferungen aus den Vereinigten Staaten, als dem mit weitem Abstand führenden Baumwollproduzenten auf der Welt, vor Augen führt. Gleichzeitig liefert das Trauma der versiegenden Baumwolle, das auch die Baumwollspinnereien in M Gladbach und Rheydt hart trifft, den ,Treibstoff‘ für ein gesellschaftliches Großprojekt, das ungeheure gesellschaftliche Kräfte und beträchtliche Finanzmittel für ein koloniales Vorhaben mobilisiert: Mittels der Etablierung von Baumwollplantagen in den Deutschen Kolonien in Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ost-Afrika einschließlich Kamerun und Togo sollen Kaiserreich und Wirtschaft mit Hilfe von Zuwendungen aus dem Staatshaushalt und unter Zuhilfenahme von Schutztruppen deutsch-nationale Baumwolle erzeugen, um sich auf diesem kolonialen Wege aus der Abhängigkeit von der amerikanischen Baumwolle zu befreien. Die Verwirklichung baumwollner Autarkie bildet das Endziel für den Baumwollbau in den Deutschen Kolonien in Afrika.

In die Umsetzung dieses mit großer Tatkraft verfolgten Baumwollbau-Großprojektes waren die Städte M.Gladbach, Rheydt und Odenkirchen über ihre Bürgermeister ebenso eingebunden wie die Handelskammer zu M.Gladbach und der Verband Rheinisch-Westfälischer Baumspinner mit Sitz in M.Gladbach. Der Verband mit seinen zahlreichen Mitgliedsfirmen am Ort unterstützte durch regelmäßige Zahlungen für den kolonialen Baumwollbau. Dabei gab das Kolonial-Wirtschaftliche Komitee (KWK) EV, und unter deren Dach die Baumwollbau-Kommission, dem Projekt den Raum. Daneben beteiligten sich einzelne Unternehmen der Baumwollindustrie am Ort durch regelmäßige Zahlungen. Noch im Jahre 1914 wandten sich die Kammer und der Verband mit Petitionen an den Reichstag, die darauf abzielten, ihre Baumwollbau-Vorhaben in Deutsch-Ost-Afrika aus dem Haushalt des Deutschen Reiches mit jeweils 200.000 Reichsmark zu fördern. Der erste Weltkrieg brachte das Projekt zum Stillstand, da das Deutsche Reich infolge der Kriegsniederlage jeden Kolonialbesitz verlor.

Der komplette Aufsatz ist nachzulesen in: Boland, K.; Schürings, H. (Hg.): „Textil Industrie Kultur in Mönchengladbach“, B. Kühlen Verlag Mönchengladbach, ISBN: 978-3-87448-544-9, 19,80 €

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