Stadtteilrunde Hitdorf Wildes Wasser, starkes Bier und explosive Hölzer

Leverkusen · Der Rhein, der Hafen, die frühe Industrie haben Hitdorf geprägt. Mehr als hundert Jahre war der heutige Stadtteil eine Stadt. Mit Bernd Bilitzki, Vorsitzender des Heimatvereins, auf Spurensuche.

 Idyllischer Ort am Rhein mit langer Geschichte: Hitdorf von oben betrachtet. Die Nähe zum Fluss und zum Yachthafen macht es zu einer gefragten Wohnadresse.

Idyllischer Ort am Rhein mit langer Geschichte: Hitdorf von oben betrachtet. Die Nähe zum Fluss und zum Yachthafen macht es zu einer gefragten Wohnadresse.

Foto: Miserius, Uwe (umi)

Unser Weg beginnt am Heimatmuseum, die „Nato-Straße“ entlang zum Rhein. „Das war auch der Weg der Wehrmacht über den Strom, um Frankreich zu überfallen“ sagt Bernd Bilitzki. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann der Kalte Krieg. Die „Nato-Straße“ führte zu einer Pontonbrücke. „Bei jedem Großmanöver musste der Rhein gesperrt werden“, erinnert sich Bilitzki. „Und ganz Hitdorf stand voller Panzer.“ Der Schiffsverkehr musste warten. Der enorme Aufwand wurde den Millitärs bald schon zu groß. Doch der Straßenname blieb vielen im Gedächtnis.

Bernd Bilitzki ist mein Begleiter auf der Stadtteilrunde (die wir übrigens kurz vor den Corona-Ausgangsbeschränkungen unternahmen). Der Vorsitzende des Hitdorfer Heimatvereins und Wächter des Heimatmuseums ist auch Stadtführer und ein echter Hitdorfer Jung. Zu seiner Führung gehört Sichtbares wie Unsichtbares. An der Wiesenstraße, wo sich heute ein Einfamilienhaus ans andere reiht, müssen wir uns auf einer Zeitreise ins Jahr 1964 ein freies Grundstück vorstellen. Es hieß „In den vier Winden“ und gehörte 313 Erben. Der Hitdorfer Hans Klug machte seinem Namen Ehre. Er kontaktierte, damals noch ohne E-Mails,  die Erben der Reihe nach und kaufte ihnen das Grundstück ab. Das wurde belohnt: „Als erster und bisher einziger Hitdorfer kam er ins Guinnessbuch der Rekorde“, sagt Bilitzki.

 Bernd Bilitzki ist Stadtführer und Vorsitzender des Heimatvereins. In Hitdorf ist er aufgewachsen.  Foto: Bussang

Bernd Bilitzki ist Stadtführer und Vorsitzender des Heimatvereins. In Hitdorf ist er aufgewachsen. Foto: Bussang

Foto: RP/Bernd Bussang

Hitdorf am Rhein – nichts prägt das Dorf so sehr wie der Fluss. Die Flößer, das Hochwasser, der Hafen. Und fast wären die Ponton-Brücken der Nazis und der Nato durch eine feste Brücke von vornherein überflüssig geworden. Ab 1920 trieben der Hitdorfer Bürgermeister Franz Müller und der Kölner OB, Konrad Adenauer, die Idee voran. Doch das Projekt scheiterte aus Kostengründen. Vier Millionen Reichsmark waren in der wirtschaftlich schweren Zeit nach dem Ersten Weltkrieg einfach zu teuer.

Hitdorf blieb die Fähre. 1930 wird hier die größte und modernste Fähre der damaligen Zeit aufs Wasser gelegt. Sie verkehrt bis 1962, als sie von der heutigen „Fritz-Middelanis-Fähre“, benannt nach dem langjährigen Vorsitzenden der Fährgesellschaft, ersetzt wird. Abends wird der Fährzugang übrigens mit einem Tor verschlossen. „Das einzige Stadttor in Leverkusen“, sagt Bilitzki schmunzelnd.

 Lieferwagen der Tabakproduktion Dorff Ende der 60er Jahre.

Lieferwagen der Tabakproduktion Dorff Ende der 60er Jahre.

Foto: RP/Bernd Bussang

Wir schlendern die Rheinstraße entlang. „Wer in Hitdorf am Rhein wohnt, braucht eine Pumpe“, sagt Bilitzki. „Früher standen die Häuser hier regelmäßig unter Wasser.“ An die großen Hochwasser von 1993 und 1995 kann sich der Hitdorfer, der damals selbst in einem Haus am Rhein wohnte, noch gut erinnern   – und an den Muskelkater vom Pumpen. „Die Pumpen mussten Tag und Nacht betätigt werden“, erinnert er sich. „Freunde haben uns damals geholfen, damit wir mal ein paar Stunden schlafen konnten.“ Von 2009 bis 2011 wurde dann die Hochwasserschutzwand gebaut. Kosten: 11,6 Millionen Euro, 60 Prozent bezahlte das Land.

Als wir die Treppen zur Kirche St. Stephanus hochsteigen, bekommen wir gedanklich wieder trockene Füße. Wo noch im 15. Jahrhundert nicht mehr als eine Kapelle aus Tuffstein stand, errichteten die Hitdorfer 1892 eine neuromanische Kirche, die bis heute Blickfang und  religiöses Zentrum ist. Sie gleicht St. Andreas in Schlebusch, die ebenso von den Architekten Lange und Odenthal entworfen wurde. Das Hitdorfer Gotteshaus wird derzeit komplett renoviert. Idyllisch wirkt das alte Pfarrhaus gleich nebenan, das derzeit vom Diakon bewohnt wird.

 Mit dem Hochwasser leben die Hitdorfer seit Jahrhunderten  – 1988 bekam nasse Füße, wer kein Boot hatte.

Mit dem Hochwasser leben die Hitdorfer seit Jahrhunderten  – 1988 bekam nasse Füße, wer kein Boot hatte.

Foto: Peter Seibel

Wir biegen ein auf die Hitdorfer Straße.  Gleich neben der Kirche stand früher die Dorfschule mit großem Garten. Daneben, im St. Elisabeth-Haus, wirkten ab 1927 die „Schwestern von der ewigen Anbetung Gottes“. „Das waren hochangesehene Schwestern, die viel für Hitdorf getan haben“, sagt mein Stadtführer. Das Haus hatte der Hitdorfer Tabakhändler Lorenz Cremer in Gedenken an seine verstorbene Frau gestiftet, das seither deren Namen trug.

Damit wären wir bei Tabak, beim Holz, genauer dem Zündholz,  und beim Bier. All dies prägte nachhaltig die Wirtschaft des kleinen Orts am Rhein. „Das waren alles kleine Startups, würde man heute sagen“, sagt Bilitzki zu der sich Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelnden Industrieproduktion, die als Heimarbeit begann.  Der Weg führt uns vorbei am Matchboxtheater, das früher mal eine Zündholzfabrik war. Bernhard Salm hatte sie in diesem  Haus 1841 gegründet. Doch nachdem  die ersten Wohnhäuser vom Hantieren mit selbstentzündlichen Stoffen explodierten, regulierte sich der Markt. Salm, später Middelanis, zog  1906 mit seiner Fabrik an den Ortsrand, 1970 war dann Schluss mit der Zündholzproduktion.

 Steinerner Zeuge einer bewegten Vergangenheit: Eines der ältesten Häuser an der Rheinstraße.

Steinerner Zeuge einer bewegten Vergangenheit: Eines der ältesten Häuser an der Rheinstraße.

Foto: Miserius, Uwe (umi)

An der Ecke Langenfelder Straße steht Hitdorfs älteste Gastwirtschaft, „Em Schokker“.  In dem Haus aus dem Jahr 1727 betreibt die Familie  Seidel in fünfter Generation ihr Gastgewerbe und sorgt dafür, dass bei Hochzeiten, Kommunion und Vereinsabenden alle satt werden und sich wohl fühlen.

Gleich schräg gegenüber  stand früher das Fichtennadelbad von Lorenz Schmickler mit  Kuranwendungen, weiter rechts hatte Johann Peter Dorff 1765 die erste Tabakfabrik eröffnet. 1915 übergab er sie an den bereits erwähnten Lorenz Cremer, der seit 1878 in Hitdorf bereits eine Tabakfabrik hatte. 1964 wurde die Produktion eingestellt. Eine zweite Tabakfabrik (Nees/Caspers ab 1796) gab es übrigens am Rhein, dort wo heute die Flow-Fine-Art-Gallery ihre Ausstellungsräume hat. Sie wurde 1953 geschlossen.

Wir gehen zurück zur Rheinstraße, vorbei am ersten Kino Hitdorfs (1927 bis 1965). Die Idee eines lokalen Kinos wurde vom Initiativkreis der „Villa Zündfunke“ wiederbelebt. Ein erste Vorstellung in der Gastwirtschaft „Auf’m Lohr gab es bereits.

Wir blicken auf das frühere Sägewerk. „Hitdorf ist reich geworden durch die Flößer“, sagt Bilitzki. Im 17. Jahrhundert kamen sie vom Main nach Hitdorf. Im Sägewerk wurden die Baumstämme zu Bauholz verarbeitet, so war das gebrauchsfertige Holz näher an den Kunden im dichter besiedelten rheinisch-bergischen Raum.

Und dann wäre da noch der Alkohol. 1865 wurde in Hitdorf die erste Brauerei gegründet. Im Verlauf vieler Jahre sollten es insgesamt sieben werden. Die letzte schloss den Braubetrieb 1968, 1984 dann auch die Flaschenproduktion. Von dem jahrhundertealten Handelshafen sind heute nur noch der Yachthafen und die beiden Kräne geblieben. In einem befindet sich das Krancafé.

Ein waschechter Hitdorfer ist mein Stadtführer übrigens nicht. „Ich wurde auf dem Weg ins Langenfelder Krankenhaus geboren“, sagt mein Begleiter, und schon wieder muss der 67-Jährige lächeln.                                        

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