Sigmar Gabriel in Duisburg „Wir investieren viel ins Heute, leider nicht ganz so viel ins Morgen“

Duisburg · Ex-Außenminister, Ex-Vize-Kanzler und Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel hat beim Unternehmertag in Duisburg für einen Vorzeichenwechsel in der deutschen Politik geworben. Verbandschef Korthäuer fordert endlich klar formulierte Interessen.

 Sigmar Gabriel im Haus der Unternehmer.

Sigmar Gabriel im Haus der Unternehmer.

Foto: Arnulf Stoffel (ast)

Rund 600 Unternehmer, ein festlicher Abend und ein Thema: die geopolitische Lage Deutschlands in der Welt. Der Unternehmertag der Unternehmerverbandsgruppe Ruhr-Niederrhein am Donnerstag stand ganz im Zeichen deutscher Außenpolitik. Dabei warben sowohl Verbandschef Korthäuer als auch Ex-Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) dafür, dass sich die deutsche Politik wieder mehr auf die ökonomische Rolle besinnen müsse, die die Nation in Zukunft spielen will. Denn die wirtschaftliche Stärke, die das Land heute ausmache, sei der Grund, wieso Deutschland von politischen Lichtgestalten wie Donald Trump, Wladimir Putin oder Xi Jinping in einer sich verändernden Welt überhaupt noch respektiert werde.

Gabriel, den der Unternehmerverband als Keynote-Redner für die Veranstaltung hatte gewinnen können, erläuterte, dass die Welt derzeit eine Verschiebung der ökonomischen und geopolitischen Machtverhältnisse erlebe. Die USA als Schutzmacht Europa verstünden sich zunehmend als pazifische Nation, nicht mehr als atlantische. „Und das ist keine Idee von Donald Trump. Barack Obama war der erste Präsident, der davon gesprochen hat“, sagte Gabriel. Die USA hätten sich in den Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg sowohl als hegemoniale Schutzmacht westlicher Demokratien als auch als ökonomischer Führer der freien Welt gesehen. „Und seit einigen Jahren machen die US-Präsidenten deutlich, dass sie nicht mehr dazu bereit sind, beide Rollen zu übernehmen.“

Deutschland wiederum müsse sich das bewusst machen. Durch den Rückzug der USA entstehe ein Machtvakuum. Und ein solches sei in der Weltgeschichte nie von langer Dauer gewesen. Deutschland und die EU müssten selbstständiger werden, um sich zu behaupten. „Das erleben wir heute“, sagte Gabriel. „Russland, China stellen die Europäer auf die Probe. Zum Beispiel mit chinesischen Hafenkäufen in Griechenland oder russischen Hackerangriffen.“

Deutschland werde solange akzeptiert, wie es ökonomisch stark bleibe. Nun aber würden wir erleben, dass ein Teil der internationalen Wertschöpfungsketten sich von der Industrie weg auf große amerikanische Datenplattformen verlagere (gemeint waren hier Unternehmen wie Google, Facebook und Amazon). Gleichzeitig steige Deutschland für über 100 Milliarden Euro vorzeitig aus der Kohle aus, ohne dass das einen signifikanten Effekt auf den Klimawandel habe, weil die Klimaziele ohnehin EU-weit definiert seien. China hingegen investiere im gleichen Zeitraum über 100 Milliarden in die Erforschung Künstlicher Intelligenz. Zum Vergleich: In Deutschland seien bis 2025 drei Milliarden dafür vorgesehen. „Wir investieren viel ins Heute, aber leider nicht ganz so viel ins Morgen“, sagte Gabriel.

Auch was die Realisierung von nationalen Bauprojekten angehe, habe Deutschland ein Problem. China brauche vier Jahre, um einen Flughafen zu eröffnen, der doppelt so groß sei wie der BER. „Das kann doch nicht sein“, sagte Gabriel. „So lahm sein wie wir, oder so diktatorisch wie China – dazwischen muss es doch etwas geben.“ Es brauche zumindest bei national bedeutsamen Projekten eine neue Balance zwischen persönlichen Freiheiten und politischem Gestaltungsspielraum. „Wieso begrenzen wir bei Großprojekten die Klagemöglichkeit nicht auf eine Instanz?“

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