Schwerpunkt Diversity Ich alter weißer Mann

Düsseldorf · Die Debatte um mehr Chancengleichheit ist dringend notwendig. Sie darf bloß nicht abgleiten in eine, in der es nur Täter und Opfer gibt. Eine Selbstreflexion.

 Kaum ein alter weißer Mann wird in seinem Leben alles richtig gemacht haben, meint unser Autor.

Kaum ein alter weißer Mann wird in seinem Leben alles richtig gemacht haben, meint unser Autor.

Foto: dpa/Stephan Scheuer

Ich bin ein weißer Mann, ich gebe es zu. Jung bin ich auch nicht mehr, die grauen Haare verraten es, unter anderem. Und ja, ich führe ein vergleichsweise privilegiertes Leben. Behütet aufgewachsen, gut ausgebildet, toller Job, glückliches Familienmitglied und ein Freund des generischen Maskulinums. Ich stamme aus der Vergangenheit, was nicht meine Schuld ist. Doch ich spüre zunehmend, dass dieser Umstand zu einem Makel wird.

Ich will nicht lamentieren, wahrscheinlich ergeht es mir ähnlich wie Generationen von Älteren, deren Schicksal mir nun klarer wird, weil Versäumnisse der Vergangenheit im Lichte der Gegenwart wie unter einem Brennglas hervortreten. In den Augen nicht weniger Jüngerer verkörpere ich vermutlich den Typus des alten weißen Mannes. Für sie bin ich mit an mancher Ungerechtigkeit  schuld, ich, der ewige Bestimmer, weiße, männliche Vertreter und Bewahrer des Establishments. Das klingt hart, ist aber ein Anlass, über sich selbst nachzudenken.

In Deutschland findet gerade eine gewaltige gesellschaftliche  Machtverschiebung statt. Sie ist, aus heutiger Sicht, lange überfällig in einem Land, das als frei und weltoffen gelten möchte, übrigens auch aus meiner Sicht. In einem Land, in dem Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, Religion und Weltanschauung leben und arbeiten – Individuen, die sich durch ihr Alter, Geschlecht oder ihre sexuelle Orientierung definieren, ist Diversity zu einem zentralen gesellschaftlichen Thema geworden, das die Deutungshoheit der alten weißen Männer ablöst.

Es ist richtig, dass ein viel größerer Wert auf mehr Achtsamkeit im Umgang miteinander gelegt wird – und keine gute Idee, wenn sich alte weiße Männer nun in die Schmollecke zurückziehen, weil sie sich an den Pranger gestellt fühlen. Noch schlechter wäre die Idee, sich nun selbst als Minderheit zu betrachten, als Opfer gar. Das würde bestimmten Leuten sehr gefallen, die die Spaltung zu ihrem Prinzip erhoben haben und sie in der Gesellschaft gern noch ein bisschen weiter vorantreiben würden.

Gewiss lag ein Vorteil darin, dass ich männlich und weiß in einem der reichsten Länder der Erde zur Welt kam, um an den Punkt zu gelangen, an dem ich mich heute befinde. Ich konnte es mir nicht aussuchen. Aber vielleicht habe ich es zu lange als selbstverständlich betrachtet und zu spät mit Dankbarkeit als großes Glück. Es würde vermutlich wenig helfen, wenn ich nun in einem Akt der Selbstzerknirschung meine Lebensleistung infrage stellte.  Ein bisschen hat man auch selbst zum eigenen Fortkommen beigetragen, wohl wissend, dass das Geheimnis des Erfolgs seit jeher nur zur einen Hälfte aus Fähigkeit und zur anderen aus Fortune besteht. Aber wahr ist auch, dass ich wie viele meiner männlichen weißen Zeitgenossen dabei zu wenig nach rechts und links geschaut und Zweifel, ob es dabei gerecht zugeht, mit dem Hinweis erstickt habe, dafür meine Steuern ohne Murren zu zahlen.

Auch meine Generation hatte gegen alte weiße Männer zu kämpfen. Obwohl es den Begriff damals noch gar nicht gab, entsprachen diese dem Klischee weitaus mehr, und weitaus verbreiteter waren sie auch. Donald Trump hätte seine helle Freude an ihnen gehabt, daran, wie abfällig sie Frauen behandelten, auf Ausländer herabsahen, sexuelle Minderheiten ausgrenzten und sich selbst dabei für die größten hielten. Schon als junger Mensch fand ich es abstoßend, wie ungeniert sie das taten – und wie wenig Widerspruch sich regte. Dass man mir später auch einmal den Spiegel vorhalten könnte, daran dachte ich damals nicht.

Immerhin: In Sachen Gleichberechtigung, Toleranz und freiem Zugang zu Bildung hat sich zu meiner Zeit in diesem Land auch einiges bewegt, was heute als Standard gilt. Und ich darf getrost behaupten, daran beteiligt gewesen zu sein, wenn auch nur am Rande. Denn auch ohne gleich als Aktivist in Erscheinung zu treten, war es in meiner Kohorte durchaus möglich und üblich, für das Verbindende unter den Menschen zu werben und nach Ausgleich unter ihnen zu streben.

Umso erstaunlicher ist, mit welcher Geschwindigkeit wir uns gerade zum Teil vom einst mühsam Erreichten entfernen. Die Gesellschaft fragmentiert sich in Gruppen und Grüppchen, die, so kommt es einem vor, sich gegenseitig misstrauisch belauern. Ich beobachte, dass bei dem Versuch, Brücken zu bauen, zugleich neue Gräben aufgerissen werden und gestehe, ein Problem damit zu haben, wenn mir jemand erklärt, ich könne mich gar nicht zu Themen wie Gendergerechtigkeit oder Rassismus äußern, weil mir in diesen Bereichen jede Diskriminierungserfahrung fehle und man mir obendrein bescheinigt, ich sei ein alter weißer Mann, wenn ich dem widerspräche.

Wohin die Reise nicht gehen darf, zeigt ein heftiger Streit in den Niederlanden im Frühjahr 2021, bei dem die Frage im Mittelpunkt stand, ob eine renommierte weiße Übersetzerin das Gedicht in die Landessprache übertragen darf, das die schwarze amerikanische Poetin Amanda Gorman zur Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden verfasst hatte. Die Übersetzerin gab den Auftrag schließlich entnervt zurück. Ich bin damals erschrocken. Ich denke, es nimmt kein gutes Ende, wenn wir anfangen, uns die Fähigkeit abzusprechen, sich in die Lage anderer hineinversetzen zu können. Empathie ist schließlich das, was die Menschen verbindet. Es gibt ohnehin zu wenig davon.

Mit ähnlicher Verbissenheit wird auf der anderen Seite die Debatte um absolute Chancengleichheit geführt.  Da kollidieren zwei Gerechtigkeits-Kosmen: In dem einen kreist alles um den Gedanken, dass sich Leistung lohnen und Qualität am Ende sich durchsetzen müsse. Seine Verfechter weisen darauf hin, dass der Wettbewerb die Grundlage für gesellschaftlichen Wohlstand bilde, so hart er auch sein möge. Der andere Kosmos ist nicht minder extrem. Dort geht es nicht um die Besten, dort gibt es nur Opfer und Täter, Schuld und Sühne.

  FOTO: ISTOCK | GRAFIK: C. SCHNETTLER

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Foto: Getty Images/iStockphoto/istock

Als älterer weißer Mann fühle ich mich in keinem dieser Kosmen wohl. Beide Modelle produzieren Verlierer. Die Pauschalität, mit der dieser wichtige Diskurs geführt wird, vergiftet ihn. Unterschiede zum Maßstab im Miteinander zu machen, kann nicht funktionieren. Selbstverständlich muss es darum gehen, gleiche Rechte für alle zu gewährleisten. Und ebenso wichtig bleibt es, die Augen nicht davor verschließen, dass beim Streben nach Glück nicht alle die gleichen Startchancen haben. Privilegiert zu sein, bedeutet deshalb umso mehr, Verantwortung für die zu übernehmen, die es nicht so leicht schaffen. Es würde aus alten weißen Männern alte weise machen.

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