Internationale Tanzwochen in Neuss Zum Finale wird zwischen den Welten getanzt

Neuss · Zum Finale der Internationalen Tanzwochen gab es in Neuss ein Wiedersehen: Die Compagnie Hervé Koubi zeigte zum zweiten Mal „Die Schuld des Tages an die Nacht.“ Damit endet eine trotz Pandemie gut besuchte Saison.

 DIe Bodenhaftung verloren, aber sicher aufgefangen: Die Compagnie Hervé Koubi wiederholte das Programm, mit dem sie bereits 2015 zu Gast in Neuss war.

DIe Bodenhaftung verloren, aber sicher aufgefangen: Die Compagnie Hervé Koubi wiederholte das Programm, mit dem sie bereits 2015 zu Gast in Neuss war.

Foto: Nathalie Sternalski

Sie gleiten über die Bühne, nehmen Kampfpositionen ein und versetzen das Publikum immer wieder in Staunen: Da wäre etwa der Moment, in dem einer der Tänzer wie auf einer Treppe nach oben schreitet und dann zum Sprung ansetzt. Die Treppe ist aber nicht wirklich da, sie wird von seinen Compagnons gebildet. Ein anderes Mal lässt sich ein Darsteller von einem Menschenknäul in die Tiefe fallen, um dann von seinen Kollegen aufgefangen zu werden.

Es sind geheimnisvolle Bilder, die da auf der Bühne in der Neusser Stadthalle entstehen: Im Dunst und mit gedimmter Beleuchtung lassen sie an eine Wüstenlandschaft denken, eine Gradwanderung irgendwo zwischen Orient und Okzident.  

Schon vor sieben Jahren war der Choreograph Hervé Koubi aus Cannes mit seinem Programm „Ce que le jour doit à la nuit“ zu Gast bei den Internationalen Tanzwochen in Neuss. 2017 kehrte er mit einer Fortsetzung zurück. In dieser Saison gab es ein Wiedersehen mit dem Ursprung: „Die Schuld des Tages an die Nacht“, so die deutsche Übersetzung, bezieht sich auf ein gleichnamiges Buch von Yasmina Khadra. Das Werk gilt als Schlüsselroman über die Geschichte Frankreichs und Algerien. Dass es auch eine Reise in Koubis eigene Vergangenheit ist, machte der promovierte Pharmazeut gleich zu Beginn der Aufführung deutlich: Auf Deutsch richtete er einige Worte an das Publikum, erzählte von dem Moment, als er seinen Vater nach den Vorfahren fragte und die Fotografie eines Mannes im arabischen Gewand überreicht bekam. Für Koubi, der sich Zeit seines Lebens für einen Franzosen hielt, sei es zunächst ein Schock gewesen. Die Choreographie ist so auch eine persönliche Reise: „Die Wurzeln sind älter als Nationen, die Geschichte wiederholt sich, es liegt an uns, sie anders zu gestalten“, erzählt er.

Zwölf Tänzer, die aus Algerien, Marokko und Burkina Faso stammen – „gefundene Brüder“ nennt Koubi sie  –  übersetzen seine Botschaft in Bewegungen. Oberkörperfrei, bekleidet mit weißen Leinenhosen lassen sie Breakdance mit Akrobatik, Ballett und Sema, dem Tanz der Derwische, verschmelzen. Besonders beeindruckend: Die Tänzer wirbeln umher und verblüffen immer wieder mit Pirouetten, die sie kopfüber, mal nur auf einer Hand, mal im Kopfstand vollziehen. All das zum Klang von traditionelle Sufi-Musik, Eigenkompositionen und Auszügen aus Werken von Johann Sebastian Bach. Und am Ende, da steht der Dialog zwischen beiden Welten.

Das Publikum dankte nach der rund 60-minütigen Vorstellung mit frenetischem Applaus. Es war zugleich das Finale der Internationalen Tanzwochen in Neuss, die im Schnitt von knapp 650 Gästen pro Aufführung – Hervé Koubi kam gar auf 683 Zuschauer – gut besucht war. Das bestätigt Kulturamtsleiter Benjamin Reissenberger: „Insgesamt sind die Internationalen Tanzwochen im Hinblick auf die Umstände durch die Coronapandemie ausgesprochen gut angenommen worden“, sagt er und fügt hinzu: „Die große Bandbreite von sehr jungen Truppen mit innovativen Programmen, bis hin zu Ikonen, innovativen multimedialen Formaten sowie sehr sinnlichen Auftritten, alle haben völlig zurecht ihren Platz in dieser Reihe gefunden und das an hohe Qualität und künstlerische Sternstunden gewöhnte Neusser Publikum begeistert.“

Gleichwohl endet mit dieser Tanzwochensaison auch die „Ära Rainer Wirtz“, wie Kulturdezernentin Christiane Zangs ausführt. Der ehemalige Kulturreferent war für das Programm zuständig. Die nächste Saison steht dann im Zeichen von Benjamin Reissenberger: Bekannte, aber auch neue Truppen habe er schon einladen können, verrät er: „Sie kommen aus dem europäischen Raum aber auch aus Brasilien und weiteren Ländern.“

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