Männliche Ansprache in Stellenanzeigen Warum Worte wie „leistungsstark“ Frauen in Stellenanzeigen eher abschrecken

Düsseldorf · Viele Stellenanzeigen sind so formuliert, dass sich eher Männer angesprochen fühlen. Besonders häufig ist das so, wenn es um Führungspositionen geht. Das ist ein Problem, denn viele Frauen verzichten dadurch auf eine Bewerbung.

 Viele Stellenausschreibungen sind auf männliche Bewerber zugeschnitten.

Viele Stellenausschreibungen sind auf männliche Bewerber zugeschnitten.

Foto: dpa-tmn/Franziska Gabbert

Man spricht vom „Thomas-Kreislauf“, aber Michael gibt es ja auch noch. Eine Untersuchung der Allbright-Stiftung hat 2017 für Aufsehen gesorgt, denn sie hat die Vorstände aller an der Frankfurter Börse gelisteten Firmen untersucht – und festgestellt, dass es dort weniger Frauen gibt als Männer mit den Vornamen Michael oder Thomas. Und wer seitdem dachte, dabei handele es sich um ein Phänomen bei einer sehr kleinen Gruppe Unternehmen, wurde Anfang des Jahres eines Besseren belehrt. Denn da veröffentlichte die Job-Suchmaschine Indeed das Ergebnis einer Auswertung von rund 320.000 Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHs). Und auch dort dominierten – man möchte fast sagen: natürlich – Thomas und Michael die Geschäftsführer-Positionen, zusammen mit Alexander und Andreas. Nur der Name Katja konnte sich in die Männer-Phalanx mogeln.

Frauen sind in Deutschland im Jahr 2021 in Führungspositionen noch immer deutlich in der Minderheit. Und das liegt nicht nur daran, dass die wichtigen Positionen von Männern geburtenstarker Jahrgänge blockiert werden. Glaubt man den Experten des Stellenportals Stepstone, fangen die Probleme oft schon viel früher an: bei den Stellenausschreibungen. So seien viele Stellenausschreibungen so formuliert, dass sich eher Männer angesprochen fühlen würden – und sich dann auch häufiger bewerben.

Stepstone hat dazu mehr als eine halbe Million Jobbeschreibungen auf dem eigenen Portal analysiert. Die Hälfte aller Stellenanzeigen hatte dabei einen männlichen „Bias“, enthielt also Formulierungen, von denen sich Frauen unbewusst abgeschreckt fühlen. Besonders Führungspositionen, heißt es bei Step­­stone, seien häufig männlich konnotiert, Berufe in einkommensschwachen Branchen hingegen eher weiblich. So gebe es männlich konnotierte Stellenanzeigen besonders häufig bei Unternehmen aus der Telekommunikation, Finanzdienstleistern, Banken, bei Beratungen und Wirtschaftsprüfungen. Anzeigen mit einem starken weiblichen Bias lassen sich demnach hingegen eher in Bereichen wie Gastronomie und Hotel, Gesundheit und soziale Dienste oder Bildung finden.

„Männer fühlen sich eher angesprochen, wenn kompetenzbasierte Wörter in der Stellenanzeige auftauchen“, sagt Timm Lochmann, Head of Data Science bei Stepstone: „Frauen reagieren eher auf kooperative Wörter.“

Konkret heißt das: Wenn in den Stellenanzeigen Wörter (oder Formulierungen mit einem ähnlichen Wortstamm) auftauchen wie „selbstständig“, „individuell“, „herausfordernd“, „karriereorientiert“ oder „aktiv“, würden sich davon tendenziell eher Männer angesprochen fühlen.

Frauen reagieren demnach häufiger auf Wörter, die eher soziale Fähigkeiten abfragen – wie „engagiert“, „zuverlässig“, „verantwortungsvoll“, „motivierend“ oder „kreativ“. „Das sind natürlich Stereotype“, sagt Timm Lochmann: „Trotzdem löst das etwas aus.“ So gab bei einer Befragung im Rahmen der Studie ein Drittel der Kandidatinnen an, sich schon einmal nicht auf eine Stelle beworben zu haben, weil der Eindruck entstanden sei, dass er ein Mann gesucht wurde.

Die Zahlen wirken umso dramatischer, wenn man sich die Ergebnisse der Stepstone-Untersuchungen genauer anschaut. Demnach hatten 62 Prozent aller untersuchten Stellenanzeigen, bei denen es um Positionen im Management oder mit Führungsverantwortung geht, einen männlichen Bias. „Erstaunlich ist, dass es dazu im deutschsprachigen Raum bislang kaum Forschung gibt“, sagt Timm Lochmann: „Wir mussten daher auf Material aus dem angelsächsischen Raum zurückgreifen und dann anpassen.“

Denn das Stepstone-Team, das die Daten analysiert hat, wollte es nicht bei der reinen Erkenntnis belassen. „Unser Markenversprechen ist ja, dass wir den richtigen Job für jeden finden“, sagt Timm Lochmann: „Das geht natürlich nur, wenn Männer und Frauen in den Stellenanzeigen gleichermaßen angesprochen werden.“ Bei Stepstone haben sie dazu den sogenannten Genderbias-Decoder entwickelt, eine Internetseite, auf der man mit ein paar Klicks Texte kostenlos auf geschlechterspezifische Stereotype untersuchen lassen kann.

Dazu muss lediglich der Text einer Stellenanzeige in ein dafür vorgesehenes Feld kopiert werden. Innerhalb kürzester Zeit zeigt der Decoder dann Formulierungen an, die eher Männer (oder Frauen) ansprechen könnten. „Interessant ist: Wenn man die Codierung ändert und neutralere Wörter verwendet, führt das nicht dazu, dass sich weniger Männer bewerben“, sagt Timm Lochmann: „Aber dafür gibt es einen deutlichen Effekt bei der Bewerberaktivität der Frauen.“ Unternehmen, sagt der Datenexperte, würden davon sogar profitieren. „Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Stellenanzeigen, die am besten funktionieren, eine gewisse Balance bei den geschlechterspezifischen Codierungen aufweisen.“

Timm Lochmann ist überzeugt, dass viele Stereotype unbewusst in die Stellenanzeigen gesetzt werden. „Daher wollen wir sensibilisieren“, sagt er. Der Genderbias-Decoder macht daher auch bei einigen Wörtern Vorschläge für bessere Formulierungen. Statt „selbstständiger Arbeitsweise“ könnte man etwa „verantwortungsbewusste Arbeitsweise“ schreiben oder statt „Karriere“ auf „beruflicher Werdegang“ ausweichen. „Die deutsche Sprache bietet schon genug Möglichkeiten, Dinge zwischen den Zeilen zu formulieren“, sagt Timm Lochmann.

Stehe in einer Stellenanzeige beispielsweise, dass im Unternehmen eine dynamische Kultur herrsche, eine hohe Bereitschaft zum Reisen erwartet wird und die Arbeitszeiten wechseln können, wisse man sofort: Okay, das ist eher ein stressiger Job. Das heißt: Wenn es ohnehin schon kompliziert für Bewerberinnen und Bewerber ist, Stellenanzeigen richtig zu entschlüsseln, sollte man die Hürden für einen Teil der potenziellen Kandidaten nicht noch höher machen durch eine Sprache, die eher Männer anspricht. Denn dann könnten bald nicht nur Thomas und Michael an den Unternehmensspitzen auftauchen, sondern vielleicht auch Hanna, Emma oder Kathrin.

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