NBA-Legende Bill Russell Der größte Teamsportler aller Zeiten

Boston · Wenn die Boston Celtics die laufende NBA-Finalserie gewinnen, sind sie alleiniger Rekordmeister. Zu elf ihrer bisherigen 17 Meisterschaften führte sie der große Sportsmann und noch größere Charakterkopf Bill Russell, der nicht zuletzt aus Rassismus in Vergessenheit geriet.

 Bill Russell bei den NBA-Awards im Jahr 2019.

Bill Russell bei den NBA-Awards im Jahr 2019.

Foto: picture alliance / newscom/JIM RUYMEN

Nur maximal eine Handvoll Basketballspieler sind auch Nicht-Fans ein Begriff, und der nach allen Maßstäben erfolgreichste ist fast unter Garantie nicht darunter.

Michael Jordan, der erste globale Superstar überhaupt, führte seine Chicago Bulls in den Neunzigerjahren zu sechs NBA-Titeln. Kobe Bryant, sein in vielerlei Hinsicht legitimer Nachfolger, verhalf den L.A. Lakers in den Nullerjahren zu fünf Meisterschaften. Ungleich weniger bekannt ist ein Mann namens William Felton Russell (heute 88 Jahre alt), der seinem Team so viele Meisterschaften bescherte wie die beiden bekanntesten Stars zusammen.

Bill Russell legte das Fundament dafür, dass sich die Boston Celtics in der derzeit laufenden Finalserie zum Rekordmeister krönen könnten. Der 2,08 Meter große Schalks war Rückgrat, Herz und Hirn einer der selbstlosesten Mannschaften aller Zeiten. In seinen dreizehn Saisons führte er Boston zu acht Titeln in Serie und elf insgesamt – kein Mannschaftssportler der Geschichte hat eine ähnlich imposante Bilanz. Mehr noch: In den letzten drei dieser Spielzeiten meisterte Russell die undankbare Doppelrolle als Spielertrainer, was ihn nebenbei zum ersten afroamerikanischen Trainer im Profi-Sport machte.

Weshalb ist der Mann so unbekannt, der in seienr Interpretation der Center-Position praktisch Torwart und Mittelstürmer in Person war und der schon als Olympiasieger und zweifacher College-Meister in die Profi-Liga kam?

Dass Russell seine Erfolge in den Fünfziger- und Sechzigerjahren feierte, also in grauer Vorzeit, ist nur ein kleiner Teil der Antwort. Schon bei seinen Zeitgenossen – Journalisten wie auch Fans – nämlich war Russell schlimmstenfalls verhasst und bestenfalls widerwillig respektiert. Der Fluch der guten Tat schlug bei ihm gleich dreifach zu: Russell spielte vorbildlich mannschaftsdienlich, engagierte sich abseits des Platzes als Bürgerrechtler – und lehnte es ab, sich selbst als Star wahrzunehmen oder den sprichwörtlichen Preis des Ruhms zu zahlen. Das hatte Folgen.

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Auf dem Feld stellte er den mannschaftlichen Erfolg so konsequent in den Mittelpunkt, dass er seinen eigenen sichtbaren Beitrag dazu aktiv verkleinerte. Russell beschränkte sich bewusst auf das Defensivspiel, das er mit Timing, Athletik und systematischem Studium der Geometrie des Spiels revolutionierte. Er fokussierte sich auf das Erkämpfen von Bällen nach Fehlwürfen (“Rebounds“) – und überließ das Punkten großzügig seinen Mitspielern, die er so bei Laune hielt. Doch just dieser Schlüssel zum langfristigen Mannschaftserfolg disqualifiziert ihn bei Generationen von schlichteren Gemütern, die spielerische Qualität mit dem individuellen Punkteschnitt pro Spiel gleichsetzen, der bei Russell eben nur die Hälfte von Michael Jordans imposanten 30 betrug.

Beim gesellschaftlichen Engagement fällt die Bilanz des direkten Duells zwischen den Anwärtern auf den Titel „Größter Basketballer aller Zeiten“ entschieden anders aus. Während sich Michael Jordan bis heute penibel jeder Äußerung enthält, die irgendjemanden vom Kauf seiner hochprofitablen „Air Jordan“-Turnschuhe abhalten könnte, bezog Russell unter sehr viel schwierigeren Umständen wieder und wieder Stellung. 1963 nahm er am legendären Marsch der Bürgerrechtler nach Washington teil und erlebte dort Martin Luther Kings „I have a Dream“-Rede. Und trotz konkreter Morddrohungen kehrte der in Louisiana geborene Russell auch mehrfach zurück in die Südstaaten – ganz in der Tradition seines Großvaters, der sich den rassistischen Ku-Klux-Klan einst mit dem Schrotgewehr vom Leib gehalten hatte.

Dass Russell auch und gerade in seiner sportlichen Heimat Boston rassistisch angegangen wurde, lag auch an seiner recht eigenwilligen Mischung aus Stolz und Demut. „Ich bin kein Basketballspieler!“, betonte er wiederholt. „Basketball spielen ist bloß, was ich tue, aber nicht, was ich bin.“ Dass sich der belesene Russell so äußerte, empfanden damals viele als Affront, die die ersten afroamerikanischen Athleten jener Zeit wie eben Russell zwar sicher nicht als Sklaven, aber doch als eine Art Zirkuspferd verstanden.

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Foto: dpa/Jeff Roberson

Auf die Spitze getrieben wurde dieser Konflikt um Selbst- und Fremdbestimmung durch Russells Entscheidung, grundsätzlich keine Autogramme zu geben. Fans, Journalisten und Politiker warfen ihm Arroganz und Kinderfeindlichkeit vor und beschworen den Untergang des Abendlandes herauf. Russell will einerseits ein Zeichen setzen wider den Star-Kult – auch und vor allem aber übt er demonstrativ sein Recht als freier Mann und souveräner Bürger aus.

In seiner FBI-Akte soll der Satz stehen „Ein arroganter Neger, der keine Autogramme für weiße Kinder schreiben will.“ Für ihn selbst ist es eine Sache des Prinzips, eine Frage der Würde und Selbstachtung – und eine symbolische, winzige Rache für Jahrhunderte des Rassismus. Er lächelt nicht, wenn er lächeln soll. Er unterschreibt nichts, was er nicht unterschreiben will. Er sagt Nein.

In den vergangen Jahren haben sich die Gesten der Versöhnung gemehrt, einst von Russell boykottierte Zeremonien zu seinen Ehren im Stadion und in der Ruhmeshalle des Basketballs tränenreich wiederholt. 2009 benennt die NBA die Trophäe für den Wertvollsten Spieler der Finalserie nach ihm. 2011 überreicht ihm US-Präsident Barack Obama die Medal of Freedom, die höchste zivile Auszeichnung – ausdrücklich sowohl für seine sportliche Leistung auf dem Platz als auch seine Mitwirkung in der Bürgerrechtsbewegung.

Als er 2017 einen Ehrenpreis für sein basketballerisches Lebenswerk erhält, raunzt er die anwesenden anderen lebenden Legenden an: „Ich würde euch immer noch fertig machen!“ – und dann tut er, was er immer öfter tut. Der einst so schroffe, von gerechtem Zorn erfüllte Mann bricht in sein unerwartet kindliches, ungemein hohes, unerhört ansteckendes Lachen aus.

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