Krieg in der Ukraine Sorge um Giftgas in Mariupol, Offensive im Osten erwartet - Die Nacht im Überblick

Kiew · Großbritannien und die USA prüfen den Verdacht auf chemische Waffen. Im Osten hat die Ukraine ihre erfahrensten Truppen stationiert. Russland sammelt dort seine Verbände zum Angriff. Ein Überblick zu den Ereignissen der Nacht

 Ein ukrainischer Soldat in einem Außenbezirk von Kiew, erfahrene Truppen werden im Osten zusammengezogen.

Ein ukrainischer Soldat in einem Außenbezirk von Kiew, erfahrene Truppen werden im Osten zusammengezogen.

Foto: dpa/Evgeniy Maloletka

Im Osten der Ukraine zeichnet sich nach Erkenntnissen westlicher Militärs eine russische Großoffensive mit Zehntausenden Soldaten und dem massiven Einsatz von Panzern, Artillerie und Luftwaffe ab. Russland habe seine Truppen dort vergangene Woche von 30.000 auf 40.000 Soldaten aufgestockt, sagte ein Vertreter des US-Verteidigungsministeriums. Der österreichische Kanzler Karl Nehammer äußerte sich nach einem Treffen beim russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau pessimistisch. Die Offensive in der Ostukraine werde „mit Vehemenz geführt werden.“

In der fast zerstörten Stadt Mariupol berichtete das ukrainische Asow-Regiment von einem angeblichen Angriff der Russen mit einer chemischen Substanz. Eine Bestätigung gab es nicht, die USA und Großbritannien reagierten aber besorgt. Putin will sich im Fernen Osten mit dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko treffen.

Einsatz von Giftgas in Mariupol?

Kurz nach einer russischen Drohung mit dem Einsatz von Chemiewaffen in Mariupol sei dort eine unbekannte Substanz mit einer Drohne abgeworfen worden, teilte Asow am späten Abend mit. Der öffentlich-rechtliche ukrainische TV-Sender Suspilne berichtete, es gebe keine offizielle Bestätigung. Den Asow-Angaben zufolge litten die getroffenen Personen unter Atembeschwerden und Bewegungsstörungen. Der ehemalige Asow-Kommandeur Andryj Bilezkyj berichtete von drei Personen mit Vergiftungserscheinungen.

Die westlichen Staaten haben Russland vor ernsthaften Konsequenzen gewarnt, falls es in dem vor fast sieben Wochen begonnenen Krieg chemische oder andere Massenvernichtungswaffen einsetzen sollte. Nach den Berichten aus Mariupol schrieb die britische Außenministerin Liz Truss auf Twitter, jeder Einsatz solcher Waffen wäre eine Eskalation, für die man den russischen Präsidenten Putin und seine Führung zur Verantwortung ziehen werde.

Selenskyj klagt über fehlende Waffen

Der Ukraine fehlen nach Worten von Wolodymyr Selenskyj die schweren Waffen, um das fast verlorene Mariupol zu befreien. „Wenn wir Flugzeuge und genug schwere gepanzerte Fahrzeuge und die nötige Artillerie hätten, könnten wir es schaffen“, sagte der ukrainische Präsident in seiner nächtlichen Videoansprache. Er sei sicher, dass die Ukraine irgendwann die Waffen bekommen werde, die sie brauche. „Aber nicht nur Zeit geht verloren, sondern auch das Leben von Ukrainern.“ Auch er sprach von möglichen Chemiewaffenangriffen Russlands. Dies sollte für ausländische Staaten Anlass sein, noch härter auf die russische Aggression zu reagieren, sagte Selenskyj.

Warnung vor Minen in Charkiw

In Charkiw warnen Behörden die Bevölkerung vor Landminen, die auf die nordöstliche Stadt abgeworfen worden seien. Am Montag sperrten die Sicherheitskräfte ein Gebiet im Osten von Charkiw ab, um eine Reihe kleiner, in Wohnstraßen verstreuter Sprengsätze zu beseitigen. Der Leiter der ukrainischen Minenräumungseinheit, Oberstleutnant Nikolaj Owtscharuk, sagte, es handele sich um PTM-1M-Minen aus Plastik, die mit Zeitzündern detonierten und von den sowjetischen Streitkräften in Afghanistan eingesetzt wurden. Streuminen wie die PTM-1M-Minen sind nach dem Ottawa-Abkommen über Antipersonenminen wegen der Gefahr für die Zivilbevölkerung verboten. Es konnte nicht unabhängig bestätigt werden, um welche Minen es sich in Charkiw handelte.

Berichte von Vergewaltigungen

Einer UN-Vertreterin zufolge gibt es immer mehr Berichte über Vergewaltigungen in der Ukraine. Die Direktorin von UN-Frauen, Sima Sami Bahous, sagte dem Sicherheitsrat, die Massenvertreibungen, der Einsatz von Wehrpflichtigen und Söldnern sowie die Brutalität gegenüber der Zivilbevölkerung "lassen alle Alarmglocken schrillen". Die Präsidentin der Menschenrechtsgruppe La Strada Ukraine, Kateryna Tscherepacha, sagte dem Rat, über die Hotline ihrer Organisation seien neun Anrufe mit entsprechenden Vorwürfen gegen russische Soldaten eingegangen. Gewalt und Vergewaltigung würden "von den russischen Invasoren in der Ukraine als Kriegswaffe eingesetzt".

Vorbereitung auf Offensive im Osten

Das Kommando der ukrainischen Armee in der Ostukraine teilte mit, man habe in der Region Donezk an sechs Stellen russische Angriffe abgewehrt. Die Ukraine unterhält dort besonders starke Truppen, die seit 2014 die Front gegen die von Moskau gelenkten und ausgerüsteten Separatistenrepubliken Donezk und Luhansk halten.

Die russische Armee werde voraussichtlich versuchen, diese ukrainischen Verbände „einzukesseln und zu überwältigen“, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki. Die US-Regierung verwies darauf, dass Moskau erstmals einen Befehlshaber für den Feldzug in der Ukraine bestimmt habe, den Armeegeneral Alexander Dwornikow. Er befehligte zeitweise den russischen Einsatz in Syrien, bei dem mit Bombardements aus der Luft die Macht von Präsident Baschar al-Assad wiederhergestellt wurde.

Den westlichen Einschätzungen nach könnte ein russischer Angriff von Norden aus Richtung Charkiw und Isjum erfolgen. Satellitenbilder zeigten vor Isjum einen kilometerlangen Konvoi mit Fahrzeugen zur Unterstützung von Infanterie, Kampfhubschrauber und Kommandostellen, sagte ein Pentagon-Vertreter. Ein zweiter Zangenangriff wird von Süden erwartet. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba fühlte sich bei der kommenden Schlacht bereits an die Panzerschlachten in Südrussland im Zweiten Weltkrieg erinnert.

Das wird am Dienstag wichtig

Zum russischen Tag der Raumfahrt trifft sich Putin am Weltraumbahnhof Wostotschny im Fernen Osten mit dem belarussischen Staatschef Lukaschenko. Die russische Armee nutzt Belarus als Aufmarschgebiet gegen die Ukraine und startet angeblich auch Luftangriffe von dort. Nach dem Präsidententreffen will Putin sich Fragen von Journalisten stellen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besucht am Dienstag das östliche EU- und Nato-Mitglied Polen, das Millionen von Flüchtlingen aus der Ukraine aufgenommen hat.

(juju/dpa/afp)
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