Krieg in der Ukraine Russische Truppen besetzen Europas größtes Atomkraftwerk

Kiew · Die russische Armee hat nach Angaben Kiews das Gelände des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja besetzt, auf dem es nach Angriffen der russischen Streitkräfte in der Nacht gebrannt hatte. Der Brand konnte inzwischen gelöscht werden.

 Aufnahmen vom Angriff der russischen Streitkräfte auf das AKW.

Aufnahmen vom Angriff der russischen Streitkräfte auf das AKW.

Foto: dpa/Uncredited

Nach intensiven Gefechten haben die russischen Streitkräfte das größte Atomkraftwerk Europas im Südosten der Ukraine örtlichen Angaben zufolge eingenommen. Ein bei den Kämpfen ausgebrochenes Feuer an dem Mailer in Schaporischschja sei inzwischen gelöscht, teilten die ukrainischen Behörden am Freitagmorgen mit. Erhöhte Radioaktivität im Umkreis des Kraftwerks werde nicht registriert. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba warnte, sollte das Kraftwerk explodieren, wären die Folgen zehnmal schlimmer als bei dem Super-GAU in Tschernobyl 1986.

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Foto: United States Air Force

US-Energieministerin Jennifer Granholm erklärte, es gebe keine Anzeichen auf erhöhte Radioaktivität im Umkreis des Kraftwerks. Die Reaktoren würden sicher heruntergefahren. Sie seien durch eine robuste Schutzhülle gesichert, schrieb Granholm auf Twitter. Laut Internationaler Atomenergie-Behörde (IAEA) wurden bei dem Brand wesentliche Ausrüstungen des Mailers verschont. Die Strahlungswerte seien unverändert, teilte die UN-Behörde unter Berufung auf die ukrainischen Aufsichtsbehörden mit. Die IAEA war während des Feuers und der Kämpfe eigenen Angaben zufolge mit den ukrainischen Behörden in Kontakt.

US-Präsident Joe Biden forderte Russland in der Nacht auf, die Militäraktionen rund um das AKW einzustellen und Feuerwehrleuten den Zugang zu gewähren. Biden habe mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gesprochen und sich über die Situation informiert, teilte das US-Präsidialamt mit. Auch der britische Premierminister Boris Johnson sprach mit Selenskyj. Die rücksichtslosen Handlungen von Russlands Präsident Wladimir Putin, der den Einmarsch in die Ukraine als Sondereinsatz bezeichnet, könnten nun die Sicherheit Europas direkt bedrohen, erklärte Johnson. Er werde eine Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen einfordern.

Erste Berichte über ein Feuer in dem Atomkraftwerk schickten die Finanzmärkte in Asien in den Keller, der Ölpreis stieg sprunghaft an. "Die russische Armee schießt von allen Seiten auf Saporischschja NPP, das größte Atomkraftwerk in Europa", schrieb der ukrainische Außenminister Kuleba auf Twitter. Das stillgelegte Atomkraftwerk Tschernobyl rund 100 Kilometer nördlich der Hauptstadt Kiew haben die russischen Streitkräfte bereits unter ihre Kontrolle gebracht. Saporischschja produziert mehr als ein Fünftel des Stroms in der Ukraine.

In dem nunmehr seit neun Tagen tobenden Krieg sind Tausende Menschen getötet oder verletzt worden, mehr als eine Million Ukrainer sind auf der Flucht. Es ist der größte Angriffskrieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Am Donnerstag hatten sich Unterhändler beider Seiten auf die Schaffung von Korridoren für die Evakuierung von Zivilisten verständigt. Während der Flucht aus den Kampfgebieten sei eine Feuerpause in der Umgebung der Korridore möglich, teilte der ukrainische Präsidenten-Berater MychailoPodoljak am Abend mit. Anfang kommender Woche wolle man sich zu einer dritten Gesprächsrunde zusammensetzen.

"Zu unserem großen Bedauern haben wir nicht die Resultate erreicht, auf die wir gehofft haben", sagte Podoljak weiter. Ziel der ukrainischen Regierung ist eine umfassende Waffenruhe. Die russische Seite sprach von einem substanziellen Fortschritt. Man habe sich darauf verständigt, die Schaffung von Korridoren zu unterstützen. Vor den Gesprächen hatte es zunächst keine Anzeichen für eine Kompromissbereitschaft Russlands gegeben. Nach einem am Donnerstag geführten Telefonat Putins mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron teilte die Regierung in Moskau mit, Putin habe erklärt, Russland werde die Ziele seiner Militärintervention unter allen Umständen erreichen. Die Ukraine müsse demilitarisiert werden und einen neutralen Status einnehmen.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock erklärte am Freitagmorgen: "Wir werden die Ukrainerinnen und Ukrainer niemals ihrem Schicksal überlassen." Vor ihrer Abreise zu Beratungen in Brüssel erklärte die Grünen-Politikerin, Putin treibe mit seinem Krieg gegen die Ukraine "auch sein eigenes Land in den Ruin". Putin müsse weiterhin mit geschlossenem Handeln und einer weltweiten Isolation Russlands rechnen. In Brüssel stehen im Tagesverlauf Beratungen der Nato-, G7- und EU-Außenminister an.

(cwe/reuters)
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