Eine Million Menschen auf der Flucht Migrationsexperten fordern einfache Integration ukrainischer Flüchtlinge in deutschen Arbeitsmarkt

Berlin · Eine Million Menschen sind bereits aus der Ukraine geflohen, und es werden noch deutlich mehr. Viele von ihnen kommen auch in Deutschland an. Die Bereitschaft zur Hilfe ist groß. Mittelfristig stellt sich die Frage der Integration der Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt. Migrationsforscher und Politiker fordern großzügige Lösungen beim Aufenthaltsstatus und bei der Arbeitserlaubnis.

 Flüchtling Nika (3) aus der Ukraine steht nach ihrer Ankunft in Deutschland an der ukrainisch-katholischen Kirche St. Wolodymyr in Hannover.

Flüchtling Nika (3) aus der Ukraine steht nach ihrer Ankunft in Deutschland an der ukrainisch-katholischen Kirche St. Wolodymyr in Hannover.

Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Die Zahl der nach Deutschland kommenden Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine ist erneut deutlich gestiegen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums vom Donnerstag wurden bislang 9436 Ankömmlinge aus dem von Russland angegriffenen Land registriert. Die tatsächliche Zahl ist nicht bekannt. „Da keine Grenzkontrollen stattfinden, kann die Zahl der nach Deutschland eingereisten Kriegsflüchtlinge tatsächlich bereits wesentlich höher sein“, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums.

Die EU-Innenminister einigten sich am Donnerstag in Brüssel auf einen einheitlichen Aufenthaltsstatus der ukrainischen Flüchtlinge.  Angestrebt werden soll auf EU-Ebene die Anwendung einer Richtlinie von 2001 für den „vorübergehenden Schutz“, die sich auf die damaligen Jugoslawien-Flüchtlinge bezogen hatte. Demnach können Ukrainer zunächst für ein Jahr in einem EU-Land ihrer Wahl bleiben, ohne ein Asylverfahren durchlaufen zu müssen. Der Aufenthaltsstatus würde sich automatisch um ein halbes Jahr verlängern, solange der vorübergehende Schutz nicht beendet wird, maximal wären so bis zu zwei Jahre Aufenthalt in der EU möglich. Per Mehrheitsbeschluss könnten die EU-Länder die Regelung um ein weiteres Jahr verlängern. In dieser Zeit könnten die Flüchtlinge problemlos eine selbstständige Tätigkeit aufnehmen. Auch eine abhängige Beschäftigung wäre möglich, allerdings müsste diese in Deutschland voraussichtlich die Bundesagentur für Arbeit (BA) zustimmen. 

„Mit Hochdruck arbeitet die Bundesregierung gemeinsam mit der europäischen Ebene daran, den Schutzstatus der geflüchteten Menschen zu klären. Davon hängt eine Vielzahl von aufenthalts- und sozialrechtlichen Fragen ab, hierzu gehört auch der Zugang zum Arbeitsmarkt sowie zu Integrations- und Sprachkursen“, sagte eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums.

  Migrationsforscher drängten die Bundesregierung zu einer großzügigen Regelung. „Es wäre klug, den Flüchtlingen aus der Ukraine eine längerfristige Perspektive zu bieten, damit sie sich auf dem Arbeitsmarkt wirklich integrieren können. Ein Jahr ist zu kurz, drei Jahre sind besser“, sagte Herbert Brücker, Chef-Migrationsforscher am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. „Insofern ist die sich abzeichnende Einigung der EU-Staaten auf zunächst nur ein einjähriges Aufenthaltsrecht für Ukrainer noch unzureichend. Der Aufenthaltsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention würde dagegen einen Aufenthalt für drei Jahre ermöglichen und die Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung erleichtern. Das sollte die Bundesregierung schnell  im Aufenthaltsgesetz regeln. Noch besser wäre es natürlich, wenn sich alle EU-Staaten auf eine großzügigere Regelung einigen würden“, sagte Brücker.

 „Deutschland ist nicht per se das Hauptziel-Land der Flüchtlinge aus der Ukraine.“, erklärte der IAB-Experte. Sie hätten größere Communities in Polen, Italien, Spanien, Tschechien oder auch in den USA und Kanada. Viele Flüchtlinge gingen zunächst dorthin, wo sie Freunde und Verwandte fänden. „Doch je länger sich der Krieg hinzieht oder je klarer sich abzeichnen würde, dass ihre Heimat von Russland dauerhaft besetzt bleibt, werden sich die Menschen überlegen, wo sie dauerhaft leben wollen. Und da rückt Deutschland als Land mit Wohlstand und guter Beschäftigungsperspektive natürlich stärker in den Fokus“, sagte Brücker.

Auch die Grünen forderten einen schnellen und unbürokratischen Zugang zum Arbeitsmarkt. „Der Zugang zum Arbeitsmarkt muss für alle Geflüchteten aus der Ukraine von Anfang an möglich sein, unabhängig von ihrem Pass. Eine Beschäftigungserlaubnis sollte daher unbürokratisch auch ohne Zustimmung der Agentur für Arbeit erteilt werden“, sagte die Grünen-Migrationspolitikerin Filiz Polat unserer Redaktion. Mit einer Arbeitserlaubnis sei es jedoch nicht getan. „Es wird notwendig sein, den uneingeschränkten Zugang zu Integrationskursen sicherzustellen und die lokale Migrationsberatungsinfrastruktur zu stärken“, sagte die Obfrau der Grünen im Innenausschuss des Bundestages.

 Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) haben unterdessen eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und Ländern zur Versorgung der Flüchtlinge aus der Ukraine angekündigt. „Vor uns liegt eine große humanitäre Aufgabe“, sagte Kretschmer am Donnerstag nach einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundesrates mit Baerbock. An die Flüchtlinge aus der Ukraine gewandt sagte er: „Wir als Länder sagen deutlich: Sie sind hier willkommen. Kommen Sie nach Deutschland.“ Die Kommunen fordern von Bund und Ländern finanzielle Hilfe für die Kosten der Versorgung der Flüchtlinge.

(mar/jw/dpa )
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