Wirtschaftliche Folgen des Ukraine-Kriegs Deutsche Industrie senkt Exportprognose und fürchtet Energie-Knappheit

Berlin · Die deutsche Industrie befürchtet spürbare Auswirkungen durch die gegen Russland verhängten Sanktionen und den möglichen Stopp russischer Gaslieferungen. Eine Viertelmillion Jobs hingen direkt von Exporten nach Russland ab, erklärt der Wirtschaftsverband DIHK.

Die bisherige Exportprognose von insgesamt sechs Prozent Zuwachs in diesem Jahr sei nicht mehr zu halten, sagte Volker Treier, Außenhandelschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) am Donnerstag, ohne bereits eine neue Vorhersage zu wagen. Die vollen Auftragsbücher der Unternehmen nützten nichts, wenn sich die Probleme in den Lieferketten nicht bald auflösten. Rund 250.000 Vollzeitstellen in Deutschland hingen direkt von Exporten nach Russland ab. 2021 hätten sich die Ausfuhren dorthin auf einen Wert von 26,6 Milliarden Euro summiert. Die Sanktionen des Westens gegen Russland nach dessen Invasion in der Ukraine kämen einem „Vollembargo“ gleich. Deutsche Exporte nach Russland würden entsprechend jetzt „gegen Null“ gehen, sagte Treier. Trotz der wirtschaftlichen Folgen gäbe es aus der Wirtschaft keine einzige kritische Stimme gegen die harten Sanktionen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kündigte am Donnerstag nach einem Treffen mit Vertretern der deutschen Wirtschaft ein Kreditprogramm der staatlichen Förderbank KfW an. Das Programm werde aus der Corona-Pandemie übernommen und für vom Ukraine-Krieg betroffene Unternehmen jetzt umgearbeitet und weitergeführt. 7,4 Milliarden Euro an Direktinvestitionen deutscher Firmen in Russland seien über staatliche Investitionsgarantien abgesichert. Laut DIHK haben deutsche Unternehmen insgesamt 24,5 Milliarden Euro investiert. Nicht abgesicherte Investments dürften verloren sein.

Insgesamt rund 40.000 deutsche Betriebe hätten Geschäftsbeziehungen mit Russland, 3650 seien sogar vor Ort mit Niederlassungen aktiv, sagte Treier. Sie beschäftigten in Russland bisher rund 220.000 Menschen. Auch in der Ukraine seien bisher 2000 deutsche Unternehmen mit 50.000 Beschäftigten aktiv gewesen, die wegen des Kriegs ihre Aktivitäten einschränken mussten.

Der Krieg in der Ukraine bremst wegen fehlender Teile unter anderem die Fahrzeugproduktion in Deutschland aus. Dabei geht es vor allem um Kabelbäume, bei denen sich der Westen der Ukraine zu einem wichtigen Produktionsstandort entwickelt hat. Hier sei mit weiteren Lieferverzögerungen zu rechnen, sagte Alexander Markus, Chef der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer.

Große Sorgen bereitet dem DIHK die Energieversorgung der deutschen Industrie. Die deutsche Industrie sei zu 25 Prozent von russischem Gas abhängig, sagte Treier. Käme es zum Lieferstopp, müsste zuerst die Industrie verzichten, da die Energieversorgung der Bevölkerung Priorität habe. Insgesamt deckt Deutschland seinen Gasbedarf zu 55 Prozent aus Russland – eine Abhängigkeit, die Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) derzeit fieberhaft versucht zu verringern. „Eine Rezession ist dann zu befürchten, wenn die deutsche Wirtschaft nicht mehr produzieren könnte“, sagte Habeck. Durch Bündelung aller Kräfte arbeite man daran, das zu verhindern. Habeck sprach sich gegen einen Importstopp von russischen Energielieferungen aus. „Ich bin gegen ein Embargo, weil wir dadurch den sozialen Frieden in Deutschland gefährden“, sagte er.

In einer Umfrage des DIHK unter rund 2700 international aktiven Unternehmen gaben 54 Prozent der Betriebe an, eine akute Zunahme von Handelshemmnissen zu spüren. Befragt wurden die Firmen in der ersten Februar-Hälfte – also vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. 80 Prozent der Firmen gaben schon vor dem Kriegsausbruch an, Lieferkettenprobleme zu haben. 71 Prozent wollen ihre höheren Kosten im Einkauf an Kunden weitergeben, was die ohnehin schon hohe Inflation weiter anheizen dürfte. Die Sanktionen gegen Russland dürften die Lieferschwierigkeiten verschärfen. Lieferungen aus China müssten stärker auf den Seeweg umgestellt werden, was die schon verteuerten Frachtraten noch mehr anheben werde, sagte Treier. Offen sei, ob China in die Lücke stoßen werde, die jetzt durch die Sanktionen des Westens im Handel mit Russland entstehe. Die Volksrepublik ist schon heute der wichtigste Handelspartner Russlands. Vermutlich werde es hier eine Intensivierung geben. „China wird dabei die Preise bestimmen“, sagte Treier. Denn Russland sei in einer Notlage.

Einer Studie zufolge hätte die russische Wirtschaft bei einem Handelskrieg mit den USA und deren Partnern langfristig deutlich mehr zu verlieren. Die russische Wirtschaftsleistung dürfte jährlich um knapp zehn Prozent niedriger ausfallen als bei einem Fortbestand der Handelsbeziehungen, so das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) und das Österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Die westlichen Alliierten dürften zwar kurzfristig ebenfalls zum Teil stark betroffen sein. Auf längere Sicht hätten sie aber insgesamt nur eine um jährlich 0,17 Prozent geringere Wirtschaftsleistung zu befürchten. Der Grund für die ungleiche Verteilung der Kosten liegt vor allem in der geringen wirtschaftlichen Bedeutung Russlands.

(mar/rtr)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort