Michael Sonfeld aus Rheurdt Für jeden Turm steht er unter Strom

Rheurdt · Die Tage der Trafo-Türme sind gezählt. Über sie kam vor 100 Jahren der Strom an den Niederrhein. Michael Sonfeld aus Rheurdt will sie retten.

 Ein Mann arbeitet sich von Turm zu Turm in den Kreisen Wesel und Kleve: Michael Sonfeld versucht die markanten Zweckbauten vor dem Abriss zu retten. In Rahm ist das bereit gelungen: Insekten freuen sich über ein Bienenhotel, die katholische Landjugend über einen Treffpunkt.

Ein Mann arbeitet sich von Turm zu Turm in den Kreisen Wesel und Kleve: Michael Sonfeld versucht die markanten Zweckbauten vor dem Abriss zu retten. In Rahm ist das bereit gelungen: Insekten freuen sich über ein Bienenhotel, die katholische Landjugend über einen Treffpunkt.

Foto: Norbert Prümen (nop)

Ein alter Trafoturm ist in Rahm Treffpunkt für Mensch und Tier. In einem Insektenhotel am Giebel und daneben in einem Blühstreifen summt es. Radfahrer rasten am Hörnenweg, wenn sie von Kempen nach Aldekerk unterwegs sind. Zudem trifft sich die katholische Landjugend im Turmzimmer, das dreieinhalb mal dreieinhalb Meter groß ist. „Viele Rahmer sagen, sie fühlten sich wieder zu Hause, wenn sie den Turm sehen würden“, berichtet Michael Sonfeld aus Schaephuysen. „Die Bruderschaft St. Antonius Rahm, die KLJB Landjugend und Bauer Martin Dams haben den Turm 2015 umgebaut.“

Sonfeld ist Trafoturmtransformator für die Kreise Kleve und Wesel. Als Altersteilzeitler hat er den Auftrag von der Westnetz-Innogy. „Seit den 1990er Jahren gehen die Trafotürme am Niederrhein Schritt für Schritt außer Betrieb“, erläutert der 62 Jahre alte Schaephuysener. „Um 2030 könnte dieser Prozess abgeschlossen sein. Im Rahmen der Energiewende ersetzen Erdkabel und Kompakttransformatoren die Freileitungen und Trafotürme.“

Für ihn gehören die Trafotürme zur Geschichte des Niederrheins. Sie wurden von 1910 bis 1914 und später in den 1920er Jahren errichtet. Über sie floss Strom in die Bauernschaften am Niederrhein. Einzelne Türme wurden auch später gebaut, wie der in Rahm. Dieser Turm von 1957 ersetzte einen alten von 1927, der einer neuen Straße von Aldekerk nach Kempen zu weichen hatte. „Mit den Türmen kam Licht ins Dunkel, Licht der Glühbirnen“, sagt Michael Sonfeld. „Nach 100 Jahren geht ihre Geschichte nun zu Ende.“

Gemeinsam mit einer Schar von Turmfreunden versucht er, neues Leben in die alten Bauten zu bringen, die in den Kreisen Kleve und Wesel oft drei bis dreieinhalb Meter im Quadrat als Grundfläche haben und zehn bis zwölf Meter hoch sind. „Sie werden von der Bevölkerung als Landmarken und zugehörig zum Dorf empfunden“, sagt der Trafoturmtransformator. „Und sie stehen für die zweite Industrielle Revolution durch Strom und Telefon.“ Eigentlich war Sonfeld als Liegenschaftler von RWE-Innogy-Westnetz damit beauftragt gewesen, überflüssige Trafotürme abreißen zu lassen. Doch dann kam in Kevelaer ein Schützenhauptmann auf ihn zu. „Der Turm ist für uns wie eine Kirche“, hörte Michael Sonfeld von ihm. „Er ist ein Teil unserer Geschichte gewesen. Wir wollen nicht, dass er abgerissen wird.“ Sonfeld machte sich die Argumente zu eigen.

Im Arnsberger Kollegen Andreas Steffen, der im Sauerland für Innogy-Liegenschaften verantwortlich ist, fand er einen Gleichgesinnten. Zusammen richteten sie einen Verbesserungsvorschlag an die Geschäftsführung, die Trafotürme erst dann abzureißen, wenn sich keine Nachnutzung findet, zum Beispiel als Bürgertürme, Artenschutztürme oder Versammlungsorte. „Für jeden Turm ist eine eigene Lösung zu finden“, sagt Michael Sonfeld. Andreas Steffen und er hatten Erfolg. 2011 startete die RWE Deutschland AG die Kampagne „Turmträume – Heimat gemeinsam neu entdecken“. Gruppen oder Vereine, Einzelpersonen und Unternehmen, die nachhaltig einen Turm neu nutzen, erhalten seitdem einen finanziellen Zuschuss. „Ich berate sie gerne, wenn sie einem Trafoturm neues Leben einhauchen wollen“, sagt Michael Sonfeld. Er nimmt den Interessenten die Ängste: „Auf die drängendsten Fragen kann ich meist positive Antworten geben.“

Seine Botschaft ist es, sich möglichst frühzeitig über die Nachnutzung eines Turmes Gedanken zu machen. „Gerne würde der Netzbetreiber verlässliche Termine benennen, wann ein Turm vom Netz geht“, sagt er. „Aufgrund der Unwägbarkeiten ist kaum möglich, zum Beispiel weil künftige Einspeiser nicht bekannt sind. Auch Türme, die keine Freileitung mehr von außen haben, aber ein Erdkabel, könnten durch eine Gestaltung des Umfeldes oder der Außenhaut eine zusätzliche Verwendung finden.“ Da wird jeder Einzelfall geprüft.„In Kranenburg bei Kleve plant der Museumsverein mit den Dorfschaften und dem Bürgermeister eine touristische Fahrradroute zu den Trafotürmen.“Parallel entdeckte die Wissenschaft das Thema. 2015 fand unter der Schirmherrschaft des Bundes Heimat und Umwelt, BHU, das erste Turmsymposion im oberbergischen Freilichtmuseum Lindlar statt. 2017 war Innogy Gastgeber des zweiten Turmsymposions im Schloss Wissen in Weeze, mitorganisiert von Michael Sonfeld. Parallel erschien 2017 das Buch „Gesichter und Geschichten der Trafostationen“ von Illo-Frank Primus, das zum Standardwerk für Freunde der Trafotürme avancierte. „Mittlerweile haben die deutschen Turmfreunde Kontakte zur Schweizer Turmszene“, sagt der Turmtransformator. Unter www.swisstrafos.ch finden sich jede Menge traumhafte Trafotürme.

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