Vor genau 108 Jahren Die erste Kohle aus Hückelhoven

Hückelhoven · Am frostigen 8. Januar 1914 hielt Eduard Honigmann die erste Hückelhovener Kohle in der Hand. Er hatte die Arbeit seines Vaters fortgeführt.

 Die erste Belegschaft der „Gewerkschaft Hückelhoven“ im Jahr 1908.

Die erste Belegschaft der „Gewerkschaft Hückelhoven“ im Jahr 1908.

Foto: Archiv Spichartz

Der 27. März 1997, ein Donnerstag, markierte für die heutige Stadt Hückelhoven ein Jahrhundert-Ereignis: Auf der Schachtanlage 4/Helmut-Kranefuß in Ratheim wird die letzte Kohle aus dem Untertageabbau der Zeche Sophia-Jacoba geholt. Ob am 8. Januar 1914, einem Montag, auf der Grube großer Jubel herrschte, oder ob man schon an ein eventuelles Ende der Förderung 83 Jahre später gedacht hat, ist nicht überliefert – es wurde aber an dem Tag das „Schwarze Silber“ erstmals aus der Erde geholt.

In Hückelhoven, da, wo jetzt noch das Fördergerüst Schacht 3 als letztes Denkmal der Bergbau-Epoche der heutigen Einkaufs- und Logistik-Stadt steht. Die Qualitäts-Kohle namens „Edel-Anthrazit“ wurde ob ihres Schimmers auch als „Schwarzes Silber“ bezeichnet. Von dem übrigens noch hunderte Millionen Tonnen in der Erde zwischen Lövenich, Erkelenz und Arsbeck liegen. Als Reserve, falls sich Sonne und Wind mal zur finalen Ruhe begeben.

1884 ließ der Grubenbesitzer aus dem Aachen-Limburger Steinkohlerevier, Friedrich Honigmann, seinen durchaus umstrittenen und kühnen Überlegungen Taten folgen, er begann mit Mutungs(Probe-)bohrungen im späteren Hückelhovener Stadtbereich. Aus im Wortsinn naheliegenden Gründen, nämlich zwischen Doveren und Baal, nahe der 1852 eröffneten Bahnlinie Mönchengladbach-Aachen. Die Industrialisierung seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, in der sogenannten Franzosenzeit mit ihrer wirtschaftlich orientierten Politik zwischen 1794 und 1815, hatte Unternehmer herausgebildet, die vor allem im Montanbereich wissenschaftlich und rationell dachten. Und, wie im Fall Friedrich Honigmann, wirtschaftlich handelten und sich damit Rückendeckung für Wagnisse verschafften.

Im Fall der Steinkohle im Aachener Revier, schon sehr alt an der jungen Inde und der jungen Wurm, bedeutete dies, sich gegen eine von Wissenschaftlern und Bergbautreibenden der Region gepflegte Doktrin durchzusetzen, nach der nördlich der Linie Hoengen, Alsdorf, Merkstein und Heerlen der von Nordfrankreich, Belgien und Südlimburg kommende Steinkohlegürtel sich nicht in Richtung Ruhrgebiet fortsetze.

1881 noch hatte für das Bergamt der Aachener Beamte Hermann Wagner nach Untersuchungen festgehalten: „Es ist jetzt ganz gewiss, dass sich zwischen den Kohlerevieren von Aachen und der Ruhr ein breiter steinkohlenleerer Streifen von der Roer [Rur] bis an die Rheinmündung erstreckt, in dem alle Bohrversuche durchaus vergeblich sind.“ Mit der „Rheinmündung“ war der Zufluss der Ruhr bei Duisburg gemeint. Schon Honigmanns erste Mutungs-Bohrungen in der Rurtal-Terrasse brachten den Beleg für seine begründete Vermutung nach Kohlevorkommen, allerdings stieß man dort erst in fast 500 Metern Tiefe auf das Karbon. Der erfahrene Berg-Ingenieur, schon seine Vorfahren waren einschlägig tätig, behielt auch mit seiner weiteren Annahme Recht, nach der in der unmittelbaren Umgebung die Kohle erheblich näher an der Erdoberfläche zu finden, und damit abbaubar wäre.

Nach Hermann Wagner war bis in die 1960er Jahre ein Teil der Brassertstraße in der Hückelhovener Siedlung benannt, ob die Umbenennung seiner Fehlleistung wegen vorgenommen worden ist, ist nicht bekannt.

Honigmann versetzte seine Bohrgeräte weiter nach Westen und stieß am sogenannten Hansberg in Hückelhoven Richtung Schaufenberg bereits in knapp 190 Metern Tiefe und damit auf abbaubare Steinkohle.

Dennoch unternahm Friedrich Honigmann bis 1910 weitere Bohrversuche im Bereich Doveren bis Baal, doch die Tiefe der Kohlevorkommen und schwierige geologische Verhältnisse machten einen Abbau unwirtschaftlich, der Unternehmer wandte sich wieder nach Westen. Die Entscheidung wurde erheblich erleichtert durch den 1908 durch die preußische Regierung gefassten Beschluss, eine Eisenbahnstrecke rechts der Rur von Baal nach Dalheim/Roermond und damit über Hückelhoven zu bauen. Es gibt starke Hinweise darauf, dass Honigmann auf die Linienführung Einfluss genommen hat, es stand auch eine linksrurische Trasse über Heinsberg nach Roermond zur Debatte.

Der 14. Dezember 1911, ein Donnerstag, war in Hückelhoven Feiertag – den mit Sonderzug anreisenden Honoratioren brachte die Schuljugend ein Ständchen, der Dorf-Poet reimte Bedeutungsschweres, der Bürgermeister ebenso: Eröffnung von Strecke und Bahnhof, die Zukunft glänzte silbern. Denn auch Honigmann war schon tätig, seit 1910 röhrte, dampfte und qualmte die Bohr-Maschine etwa einen Kilometer nordwestlich des Bahnhofs, um zunächst Schacht 1 und ab 1912 Schacht 2 abzuteufen mit Mindestdurchmessern von dreieinhalb Metern.

Die Arbeiten kamen gut voran, allerdings mit hohem Aufwand, wie einer der Schachthauer sich äußerte: „Fitz Honigmann war ein unermüdlicher Mann, der Tag und Nacht arbeitete. Dasselbe verlangte er auch von uns, und wir kannten weder Sonntag noch Werktag. Der Gedanke, dass da eine Grube entstehen sollte, die vielen Menschen Arbeit und sicheres Auskommen geben würde, trieb uns alle vorwärts.“

Kaum zwei Dutzend Leute beschäftigte die Arbeit an Hückelhovens Zukunft auf dem Hansberg, mit gemischten Gefühlen von den Bewohnern unten im Dorf beobachtet, denen klar war, dass viele fremde Menschen kommen würden, denn ein Bergwerk benötigte Fachleute, Bergmänner, die es in Hückelhoven und näherer Umgebung nicht gab.

1913 ein Schlag: Friedrich Honigmann stirbt mit 72 Jahren. Sohn Eduard tritt die Nachfolge an, treibt die Arbeiten voran – und nimmt am frostigen 8. Januar 1914 die erste Kohleförderung entgegen. Zur Jahresmitte beginnt der Erste Weltkrieg, behindert den weiteren Aufschluss des Bergwerks Hückelhoven – und nimmt 1916 Eduard Honigmann als Leutnant an der Front das Leben. Der Bergbau in Hückelhoven stand vor einer ungewissen Zukunft.

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