Nach Corona-Ausbruch bei Tönnies Laschet zögert mit Lockdown in Gütersloh

Gütersloh · In keiner Region Deutschlands gibt es so viele Neuerkrankungen wie im Kreis Gütersloh. Dennoch unterbleiben härtere Hygiene-Auflagen. SPD und Grüne sind entsetzt, während der Fleischkonzern Tönnies weiter unter Druck gerät.

 Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, trägt eine Mund-Nasenschutzmaske auf der Pressekonferenz im Gütersloher Kreishaus.

Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, trägt eine Mund-Nasenschutzmaske auf der Pressekonferenz im Gütersloher Kreishaus.

Foto: dpa/David Inderlied

Obwohl in Rheda-Wiedenbrück im Kreis Gütersloh 1331 von rund 7000 Mitarbeiter des Fleischfabrikanten Tönnies positiv auf das Coronavirus getestet wurden, verzichtet die Landesregierung dort auf neue Beschränkungen der Bewegungsfreiheit. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) appellierte am Sonntag lediglich, keine Versammlungen mit mehr als 50 Menschen stattfinden zu lassen. Ab 100 Teilnehmern sind sie ohnehin verboten. Laschet, der sich zuvor zusammen mit NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) und dem dortigen Krisenstab beraten hatte, hielt sich die Option offen, doch noch eine Schließung von öffentlichen und privaten Einrichtungen zu verhängen, sofern andere, „zielgerichtetere Maßnahmen“ nicht erfolgreich seien.

Damit ist vorrangig gemeint, dass die 7000 Tönnies-Mitarbeiter in 1300 Wohnungen und Wohnkomplexen von den Ordnungsämtern mit drei Hundertschaften der Polizei und dem Einsatz von Dolmetschern für Rumänisch, Bulgarisch und Polnisch dazu gebracht werden sollen, die Quarantäne einzuhalten. „Das ist wie ein Flohzirkus“, beschrieb der Gütersloher Landrat Sven-Georg Adenauer (CDU) die Lage. Er begrüßte den Verzicht auf Restriktionen, weil es bei den Corona-Fällen im Kreis nur 16 Betroffene ohne Bezug zu Tönnies gegeben habe. Es gebe also keine breite Gefahr, obwohl er sich Sorgen mache, dass ausländische Mitarbeiter das Land schon verlassen hätten.

In Verl wurde eine Quarantänezone rund um Wohnblocks eingerichtet. Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz und der Malteser Hilfsdienst versorgen die Menschen. Fünf Kranke liegen auf Intensivstationen, die Schulen sind geschlossen, das sonstige Leben geht halbwegs normal weiter. Allerdings werden Corona-Tests für alle Bürger angeboten.

Wenig vom Verzicht auf harte Maßnahmen hält Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitspolitiker im Bundestag. „Laschet macht sich und die Politik von Bund und Ländern im Umgang mit lokalen Infektionsausbrüchen lächerlich“, sagte er unserer Redaktion. Die vereinbarte Grenze von 50 Neuinfektionen pro Woche je 100.000 Einwohner, ab der gehandelt werden soll, sei in Ostwestfalen klar überschritten. „Es ist völlig falsch, dass kein lokaler Lockdown verhängt wird“, so Lauterbach. „Die Kontrolle der unter Quarantäne gestellten Mitarbeiter ist lückenhaft. Das birgt ein hohes Risiko für Infektionen über die Fleischfabrik hinaus.“

Auch Thomas Kutschaty, SPD-Fraktionschef im Landtag, ist entsetzt: „Laschet handelt nur nach dem Prinzip Hoffnung. Wo Entschlossenheit gefragt ist, reagiert der Ministerpräsident mit dem Appell, Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen zu vermeiden. Das ist angesichts des größten Corona-Hotspots in Europa verantwortungslos.“ Mehrdad Mostofizadeh von den Grünen im Landtag erklärte: „Das Land hat die Lage nicht im Griff.“ Er fragt sich wie Kutschaty, ob Tönnies bei früheren Conona-Tests möglicherweise getrickst habe.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn fordert ein entschlossenes Handeln.„Jetzt gilt es, jeden regionalen Ausbruch umgehend einzudämmen und Infektionsketten zu unterbrechen“, sagte der CDU-Politiker. Deswegen müsse angeordnete Quarantäne auch durchgesetzt werden. „Nur mit entschlossenem Handeln in Ostwestfalen kann ein Übergreifen auf ganz Deutschland verhindert werden“, sagte er. Es sei gut, dass das Land der Krise höchste Priorität einräume.

Derweil stieg der Druck auf Tönnies. „Das Vertrauen, das wir in die Firma Tönnies setzen, ist gleich Null“, sagte Thomas Kuhlbusch, Chef des Corona-Krisenstabes in Gütersloh. Denn Tönnies habe sich lange geweigert, die Adressen von Hunderten Beschäftigten herauszurücken, die die Behörden auf Corona testen lassen wollten. Firmenpatriarch Clemens Tönnies behauptete daraufhin, Partnerfirmen hätten die Infos aus Datenschutzgründen nicht übergeben wollen. NRW-Arbeitsminister Laumann will sich eine solche Blockade nicht mehr bieten lassen. „Wir müssen einen Zustand herstellen, in dem jederzeit feststellbar ist, wo Mitarbeiter wohnen.“ Die Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen müssten radikal verbessert werden, der Staat müsse Zwangsvorgaben machen: „Mit der Fleischwirtschaft kann es keine freiwilligen Vereinbarungen geben.“

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