Laschet und Laumann vor Ort „Infektionsgeschehen ist klar bei Tönnies lokalisierbar“

Gütersloh · Nach dem Corona-Ausbruch beim Fleischverarbeiter Tönnies sehen die Behörden keinen Grund für einen Lockdown im Kreis Gütersloh. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und NRW-Gesundheitsminister Laumann haben sich vor Ort ein Bild gemacht.

 Armin Laschet (Archivbild).

Armin Laschet (Archivbild).

Foto: AFP/MARCEL KUSCH

Es gebe zwar „ein enormes Pandemie-Risiko“, sagte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Sonntag. Das Infektionsgeschehen sei aber klar bei der Firma Tönnies lokalisierbar, und es gebe keinen „signifikanten Übersprung“ hinein in die Bevölkerung. Deshalb gelte weiterhin der Satz, „dass wir einen flächendeckenden Lockdown im Moment nicht ausschließen können, aber solang' wir alles tun, dass es gelingt, dass es nicht überspringt auf die Bevölkerung, können wir andere bessere zielgerichtetere Maßnahmen ergreifen“, sagte Laschet.

Laschet nahm Unternehmer Clemens Tönnies in die Pflicht. „Wir werden auch Herrn Tönnies beim Wort nehmen, dass er gesagt hat, es kann keinen Zustand geben wie zuvor. Wir brauchen neue Regeln, neue Bedingungen – und das ist auch das, was wir vom Unternehmen erwarten.“

NRW-Gesundheitsminster Karl-Josef Laumann fand zu den Regeln klare Worte: "Mit der Fleischindustrie kann es keine freiwillige Vereinbarung geben. Da muss es klare gesetzliche Regelungen geben." Im Bericht der Arbeitsschutz habe noch im Mai Prüfungen vorgenommen. „In dem Bericht stand, dass es keine Beanstandungen gegeben hat“, sagt Baumann.Zwar habe sich in den vergangenen Jahre zwar etwas hinsichtlich der Schlachtbedingungen geändert, jedoch offenbar nicht bei den Arbeits- und Lebensbedingungen der Angestellten. "Ich hab es mir abgewöhnt mich noch über die Bedingungen in der Fleischindustrie zu ärgern. Ich weiß schon lange, wie die sind“, sagt Laumann.

Zu einer Aussage von Clemens Tönnies, das Unternehmen habe aus datenschutzrechtlichen Gründen den Behörden nicht die Wohnadressen aller Mitarbeiter nennen können, sagte Laschet: „Wir müssen einen Zustand herstellen - gerade als Lehre aus der Pandemie -, dass zu jeder Zeit feststellbar ist: welcher Mitarbeiter arbeitet im Unternehmen und wo wohnt er“, sagte Laschet. In dieser Frage gebe es im Moment verschiedene Rechtsauffassungen. Gegebenenfalls müssten Gesetze entsprechend geändert werden.

Laschet warnte die Arbeiter aus anderen Ländern vor einer überstürzten Abreise in ihre Heimat. Im Fall einer Infizierung bekämen die Arbeiter die „bestmögliche medizinische Behandlung“ in Deutschland, sagte Laschet am Sonntag nach Krisengesprächen im betroffenen Kreis Gütersloh. Das liege auch im eigenen Interesse der Arbeiter. Es würden nun in unbegrenzter Größenordnung so viele Dolmetscher wie möglich in die Unterkünfte der Beschäftigten geschickt. Das Problem sei, dass diese auf 1300 Liegenschaften verteilt seien. Drei Hundertschaften der Polizei unterstützten die Ordnungsämter dabei, die Quarantäne durchzusetzen.

Der NRW-Landesvater appellierte an die Bevölkerung, „mehr als sonst“ die Regeln einzuhalten. „Achten Sie auf Abstand, auf die Masken. Vermeiden Sie große Veranstaltungen. Veranstaltungen über 50 Teilnehmer sollten in der nächsten Zeit - wenn es geht - nicht stattfinden“, sagte Laschet in Gütersloh. Jeder einzelne könne jetzt seinen Beitrag dazu leisten, „dass wir auch durch diese Krise kommen“. Laschet hatte sich zuvor in Gütersloh zusammen mit NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) über die Lage nach dem Corona-Ausbruch in Deutschlands größtem Schlachtbetrieb Tönnies in Rheda-Wiedenbrück informiert.

Der SPD-Fraktionschef im NRW-Landtag, Thomas Kutschaty, hat den Verzicht der Landesregierung auf Restriktionen im Kreis Gütersloh, scharf kritisiert. Zur Reaktion von Ministerpräsident Armin Laschet auf den Corona-Ausbruch beim Fleischkonzern Tönnies sagte Kutschaty unserer Redaktion: "Das war die reine Selbstverteidigung und ein Offenbarungseid: Laschet hat bei Tönnies zu lange einfach nur zugeschaut und dabei offenbar doch weggeguckt!" Laschets Auftritt sei scheinheilig gewesen. Auch mit Blick auf die Frage, was der Corona-Ausbruch für die ganze Gesellschaft im Kreis Gütersloh bedeutet, handele er nur nach dem Prinzip Hoffnung. "Wo Entschlossenheit gefragt ist, reagiert der Ministerpräsident mit dem Appell, Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen möglichst zu vermeiden. Das ist angesichts des größten Corona-Hotspots in Europa verantwortungslos und zeugt nicht von konsequentem Handeln. Herr Laschet will damit nur von seinem eigenen Versagen ablenken.“

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hat das Vorgehen Laschets zur Eindämmung der Corona-Infektionen bei Tönnies scharf kritisiert. „Armin Laschet macht sich und die gesamte Politik von Bund und Ländern im Umgang mit lokalen Infektionsausbrüchen lächerlich und unglaubwürdig“, sagte unserer redaktion. Die vereinbarte Grenze von 50 Neuinfektionen pro Woche je 100.000 Einwohner sei in Gütersloh klar überschritten. „Es ist völlig falsch, dass jetzt kein lokaler Lockdown im Kreis Gütersloh verhängt wird“, sagte Lauterbach. „Damit bekommen die Menschen den Eindruck, dass die Politik sich nicht an die eigenen Regeln hält“, sagte Lauterbach. In Heinsberg habe man damals mit einem Lockdown die Ausbreitung schnell kontrollieren können. Die Behörden hätten die Situation nach dem Ausbruch bei Tönnies aber keinesfalls im Griff. „Die Kontrolle der unter Quarantäne gestellten Mitarbeiter ist zu lückenhaft, sie ist nicht ausreichend gewährleistet. Das birgt ein hohes Risiko für Infektionen über die Mitarbeiterschaft der Fleischfabrik hinaus“, sagte Lauterbach.

Die Zahl der Corona-Infizierten in der Tönnies-Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück stieg bis Sonntag nach Angaben des Kreises auf 1331.

(felt/dtm/dpa)
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