Trotz WM-Debakel und DFB-Krise Das macht Hoffnung für den deutschen Fußball

Analyse | Düsseldorf · Das nächste frühe WM-Aus der Nationalmannschaft, immer wieder Krisen und Personalrochaden bei DFL und DFB – und trotzdem gibt es noch Hoffnung für Deutschlands Volkssports Nummer eins. Es geht um Füllkrug und Musiala, den guten alten Bolzplatz, die DFB-Frauen, den Amateurfußball und um Christian Streich.

 Deutschlands Jamal Musiala im WM-Spiel gegen Japan.

Deutschlands Jamal Musiala im WM-Spiel gegen Japan.

Foto: AP/Ebrahim Noroozi

Die Stimmung unter deutschen Fußball-Fans war schon vor der aktuellen Weltmeisterschaft sehr bescheiden. Kein Wunder, schließlich gab es in den vergangenen Jahren rund um den DFB, der DFL und der Nationalmannschaft immer wieder neue Verfehlungen, Skandale und Krisen, die dazu führten, dass einige Fans sich vom Fußball abwendeten oder zumindest ihr Interesse am deutschen Volkssport Nummer eins merklich abkühlte.

Und diejenigen, die glaubten, dass es eigentlich gar nicht mehr schlimmer kommen kann, mussten nun mit ansehen wie das DFB-Team in Katar zum zweiten Mal in Folge bei einer WM in der Vorrunde ausscheidete und sich beim Umgang mit politischen und gesellschaftlichen Themen nicht gerade mit Ruhm bekleckerte.

Wie bereits nach dem WM-Aus 2018 in Russland macht sich jetzt wieder eine gefühlte Endzeitstimmung rund um Deutschlands beliebteste Sportart breit. Gar von der „Zerstörung des deutschen Fußballs“ ist hier und da die Rede. Doch ist diese Sorge berechtigt? Ist im deutschen Fußball nun endgültig Hopfen und Malz verloren? Wird es bis zur Heim-EM 2024 noch mal einen positiven Umschwung beim DFB und in der Nationalmannschaft geben? Wir haben fünf Punkte gefunden, die Hoffnung für die Zukunft des deutschen Fußballs machen.

Niclas Füllkrug und die DFB-Frauen haben den Wunsch der Fans deutlich hervorgehoben

Die Zahlen sprechen für sich. Knapp 18 Millionen Menschen schalteten vor rund einem halben Jahr beim EM-Finale der deutschen Frauen-Nationalmannschaft gegen England ein. Nicht ein einziges WM-Spiel der deutschen Männer in Katar erreichte eine solche Quote. Die Tatsache, dass die DFB-Frauen nicht nur einen offensivfreudigen und damit auch unterhaltsamen Fußball zeigten, sondern vor allem pure Leidenschaft auf dem Platz versprühten, sorgte dafür, dass das Team von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg viele neue Fans gewann.

Man konnte den DFB-Frauen ansehen, dass sie nicht nur für sich selbst, sondern stellvertretend für eine ganze Fußball-Nation auf dem Platz standen. Man konnte sich mit ihnen identifizieren. Dieses Gefühl hatte wohl kaum jemand mit Blick auf die drei Gruppenspiele der deutschen Männer in Katar. Eine der wenigen Ausnahmen war Werder Bremens Niclas Füllkrug, er war ein Lichtblick im deutschen WM-Debakel. Und das nicht, weil er so ein feiner Fußballer ist und auch nicht nur alleine wegen seiner Tore gegen Spanien und Costa Rica, sondern vor allem deshalb, weil er eine gewisse Entschlossenheit ausstrahlte und trotz des ganzen Trubels um seine Person total demütig und bodenständig wirkte. „Fülle“ war quasi „einer von uns“.

Karriere in Bildern: Das ist Niclas Füllkrug​
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Das ist Niclas Füllkrug

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Foto: AFP/INA FASSBENDER

Dass es den meisten deutschen Fußball-Fans gar nicht so sehr darum geht, ob die Nationalelf nun in einem 4-3-3 oder ein 3-5-2 aufläuft, sondern vielmehr um diesen gewissen Spirit, der bei einem Spieler oder rund um eine Mannschaft erkennbar ist, wurde dem DFB mit Füllkrug und den DFB-Frauen nun zweimal aus nächster Nähe auf dem Silbertablett präsentiert. Aus diesen Grund, kann man auch davon ausgehen, dass diese Frage der Identifikation auch einer der ersten Anhaltspunkte des DFBs für die Neuausrichtung des deutschen Fußballs sein wird. Zu oft wurde dieses Thema nun von verschiedenen Seiten angeprangert, um es nicht zu berücksichtigen. Das stimmt zuversichtlich.

Es mangelt nicht an deutschen Top-Talenten

Wenn es um Lichtblicke in der Nationalmannschaft geht, muss man nicht nur über Füllkrug, sondern vor allem auch über Jamal Musiala sprechen. Der Bayern-Jungstar begeisterte die Mengen mit seinen atemberaubenden Dribblings und ragte bereits mit 19 Jahren als Unterschiedsspieler auf der größten Fußball-Bühne der Welt heraus. Bei der Heim-EM 2024 wird Musiala gerade einmal 21 Jahre alt sein und sich in der Zwischenzeit weiter auf dem höchstem internationalen Niveau beweisen können. Aber Musiala ist zum Glück nicht das einzige vielversprechende deutsche Ausnahmetalente, das künftig im DFB-Team eine große Rolle spielen kann.

Der Dortmunder Youssoufa Moukoko, der bei dieser WM bereits als Perspektivspieler mitreisen durfte, aber nur einmal eingewechselt wurde, hat in der laufenden Saison bereits seine Qualitäten vor dem Tor unter Beweis gestellt. Mit etwas mehr Erfahrung könnte der 18-Jährige zukünftig die unumstrittene Nummer neun werden, die Fußball-Deutschland so schmerzlich vermisst. Auch Innenverteidiger Armel Bella-Kotchap durfte mit zur WM und ist mit 20 Jahren bereits Stammspieler in der Premier League. In zwei Jahren könnte er der deutschen Wackel-Abwehr vielleicht schon die nötige Stabilität verleihen.

Florian Wirtz von Bayer Leverkusen verpasste das Turnier in Katar hingegen wegen eines Kreuzbandrisses, hat aber nichtsdestotrotz ein vergleichbares Potenzial wie Musiala. Für die Außenverteidigerposition könnte sich bald Luca Netz von Borussia Mönchengladbach aufdrängen, in der Offensive gibt es neben dem bei der WM leider etwas unglücklich agierenden Kai Havertz noch weitere potenzielle Jungstars wie die Brüder Lukas und Felix Nmecha (beide Wolfsburg), Karim Adeyemi (BVB), Kevin Schade (Freiburg), Denis Huseinbasic (Köln), Lazar Samardzic (Udinese) oder Jonathan Burkardt (Mainz).

Verband richtet seinen Blick endlich wieder auf die richtige Bolzplatzmentalität

Es ist ein Problem, dass der deutsche Fußball eigentlich schon seit 20 Jahren hat. Nach so gut wie jedem schwachen Turnier der deutschen Nationalmannschaft ruft der DFB einen Notstand aus und fordert, dass aus der Jugend wieder mehr „Straßenfußballer“ mit der sogenannten „Bolzplatzmentalität“ aufrücken. Doch der Verband setzte für die Erreichung dieses Ziels bislang nur selten auf die richtige Strategie. So dachte sich beispielsweise im Jahr 2007 ein Konsortium um den damaligen DFB-Präsident Theo Zwanziger, dass eine solche Bolzplatzmentalität schon einfach von alleine entstehen wird, wenn man nur 1.000 Mini-Spielfelder mit Kunstrasen in zahlreichen Städten Deutschlands aufbaut. Doch es braucht mehr als das.

Auch für den „Bolzplatz-Style“ müssen Trainer geschult werden und die passenden Spielformen an die Übungsleiter herangetragen werden. Und es braucht eine gute Abstimmung zwischen den Vereinen und dem Verband. Das hat lange nicht funktioniert.

Doch nun gibt es einen Hoffnungsschimmer: Am 9. Mai dieses Jahres fand der erste DFB-Trainingsdialog zum Thema "Bolzplatzmentalität fördern“ an allen DFB-Stützpunkten in ganz Deutschland statt. Vereins- und Stützpunkttrainer diskutierten gemeinsam darüber, wie man die positiven Aspekte des freien Spielens auf dem Bolzplatz in das heutige Fußballtraining im Verein übertragen kann. Es ging nicht darum, dass jeder Verein nun das beste Trainingsmaterial bekommt, sondern dass möglichst viel Drei-gegen-Drei oder Vier-gegen-Vier mit ständigen Wechseln gespielt wird und das sich die Trainer (gerade von sehr jungen Mannschaften) bewusst zurückhalten, damit die Spieler von alleine mehr Verantwortung übernehmen und nicht zum „Training“, sondern zum „Kicken“ vorbeikommen – genauso wie es schon seit Jahren auf Fußballplätzen in der Schweiz, der Niederlande, Portugal oder Dänemark vorgelebt wird.

Natürlich wird es noch einige Jahre dauern, bis man erkennen kann, ob der nächste Bolzplatz-Versuch nun endlich mal fruchtet. Aber zumindest stimmt die neue Idee deutlich optimistischer, da nun endlich ein Projekt in die Wege geleitet wurde, dass auch wirklich das Potenzial dafür hat, dass sich die vorhandenen Straßenkicker in Deutschland auch mal in ihren Vereinen richtig ausleben können.

Es gibt eine Vielzahl an vorbildlichen und sympathischen Persönlichkeiten in der Bundesliga

Neben der Nationalmannschaft geht es bei der Frage um die Zukunft des deutschen Fußballs natürlich immer auch um die Bundesliga. Und hier ist es schön zu sehen, dass sich in Deutschlands höchster Spielklasse mit dem SC Freiburg und Union Berlin neue Aushängeschilder etablieren, die sich durch Kontinuität und Kreativität bis in die oberste Riege der deutschen Beletage vorgearbeitet haben. Ähnliches gilt auch für Eintracht Frankfurt, die nach einem drohenden Niedergang, in den vergangenen Jahren einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht und mit sensationellen Auftritten in Europa für Furore sorgten.

Diese Erfolge sind dabei natürlich auch immer eng mit den handelnden Personen verknüpft. Bei Freiburg ragt natürlich Trainer Christian Streich als Sinnbild der badischen Kontinuität heraus. Aber Sportvorstand Jochen Saier und Finanzvorstand Oliver Leki, der nun gemeinsam mit Axel Hellmann von Eintracht Frankfurt interimsweise die DFL-Spitze leiten wird, erscheinen ebenfalls als vorbildliche Führungspersönlichkeiten, die sich absolut sympathisch präsentieren.

Und die Liste könnte man munter fortführen, beispielsweise mit Namen wie Urs Fischer und Oliver Ruhnert von Union Berlin, Köln-Trainer Steffen Baumgart, Eintracht-Coach Oliver Glasner, Gladbachs Daniel Farke oder Ole Werner von Werder Bremen.

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Foto: dpa/Jürgen Kessler

Natürlich wäre es schöner, wenn wir noch deutlich mehr Streichs und Fischers in den deutschen Profi-Ligen hätten, aber es ist ja auch schon mal sehr beruhigend zu wissen, dass es in der Bundesliga schon jetzt eine ganze Menge an handelnden Personen gibt, die einereits zwar mitten im Fußball-Business drinstecken, sich aber andererseits auch nicht davor verstecken, dieses Geschäft offen zu kritisieren und mitunter sogar Reformen für den Fußball zu fordern, wie es zuletzt Union-Geschäftsführer Ruhnert tat.

Der Amateurfußball lässt sich nicht unterkriegen

Und trotz aller Hoffnungen, die auf den Entscheidungen und Entwicklungen im Profibereich ruhen, bleibt schlussendlich immer noch der Amateursport der wahrscheinlich wichtigste Faktor im deutschen Fußball. Und dieser kämpft vehement um seine Teilhabe – trotz Corona, trotz Energiekrise und trotz einer sinkenden Zahl an Ehrenamtler, was sicherlich auch mit allgemeinen Entwicklungen in der Gesellschaft zusammenhängt.

Dennoch rollte der Ball auch am vergangenen Wochenende wieder auf hunderten von Sportplätzen in ganz Deutschland und knapp 140.000 Mannschaften von der Oberliga bis zur Kreisliga versammelten sich am Samstag oder Sonntag, um ihre Begeisterung für den Fußball gemeinsam auszuleben und das Miteinander zu genießen.

Und wenn es irgendwann nicht mehr weitergeht, nehmen die Amateursportler das Heft sogar selber in die Hand, wie beispielsweise in Leipzig, wo im Jahr 2018 mit der Confederation of Football (CoF) ein alternativer Fußballverband gegründet würde, um einen vom DFB unabhängigen Spielbetrieb anzustreben und die Monopolstellung des deutschen Fußball-Bundes anzugreifen. Auch dieses Beispiel zeigt: Der Amateurfußball lässt sich nicht unterkriegen – und das macht ebenfalls Hoffnung für den deutschen Fußball.

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