Borussias Matthias Ginter im Interview „Instagram hat noch keinen zu einem erfolgreichen Fußballer gemacht“

Mönchengladbach · Matthias Ginter feiert am Samstag sein Comeback, nachdem er sich Ende November eine schwere Gesichtsverletzung zugezogen hatte. Im Interview mit unserer Redaktion spricht er über die Verletzung, Borussias System und soziale Medien.

Borussias Abwehrchef Matthias Ginter (ganz rechts) ist zurück.

Borussias Abwehrchef Matthias Ginter (ganz rechts) ist zurück.

Foto: Dirk Päffgen/Dirk Päffgen (dirk)

Herr Ginter, als Sie sich im Spiel gegen Hannover schwer im Gesicht verletzt hatten, rechnete kaum jemand damit, dass Sie gegen Leverkusen wieder fit sein würden. Selbst überrascht, wie schnell es ging?

Ginter (lacht) Nein, überrascht hat es mich nicht. Das war von Anfang an der Plan. Und darüber bin ich sehr glücklich. Nach zwei Wochen konnte ich mit der Reha und dem Lauftraining beginnen. Weitere 14 Tage später war ich körperlich schon wieder am Maximum. Da aber zu diesem Zeitpunkt Zweikämpfe noch nicht möglich waren, half mir die Winterpause umso mehr, den Bruch vollständig ausheilen zu lassen. Und so konnte ich die gesamte Vorbereitung, wenn auch teilweise mit Maske, absolvieren und bin nun voll im Saft.

Haben Sie Angst, dass so etwas nochmal passiert?

Ginter Angst habe ich gar keine, und zwar aus einem einfachen Grund: Manchmal denkt man bei Verletzungen schon mal öfter an die Situation, in der sie entstanden sind. Bei einem Zusammenprall zum Beispiel ist man beim nächsten Mal dann vielleicht unterbewusst vorsichtiger. Aber in meinem Fall war das eine äußerst unglückliche, fast schon unwahrscheinliche Situation. Dass jemand in mich hineinstolpert und nicht ausweichen kann, dürfte eigentlich nicht mehr passieren.

Enge Situationen werden aber immer mal vorkommen.

Ginter Solche Situationen hatte ich bereits in den Testspielen, besonders beim Telekom-Cup gegen Hertha BSC. Das war der für mich beste Test, weil die Berliner mit Vedad Ibisevic und Davie Selke, also zwei sehr robusten Stürmern, gespielt und mit vielen hohen Bällen agiert haben. Da habe ich auch nicht zurückgesteckt. Man kann also sagen, dass sich mein Kopf gut erholt hat, alles verheilt ist und vor allem, dass ich mir dem auch bewusst bin und keine Rücksicht nehmen muss.

Nach dem Bombenanschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund war das schon die zweite Extremsituation, die sie erleben mussten. Wie verarbeiten Sie sowas?

Ginter Ich bin ein Mensch, der immer versucht, in allem das Positive zu sehen. Nach der Diagnose war es im ersten Moment schwierig für mich, weil ich zuvor nie wirklich verletzt war und man wusste auch nicht genau sofort, was beschädigt war und wie schnell der Heilungsverlauf sein wird. Aber nachdem die Ärzte das Schlimmste ausgeschlossen hatten, war mein Blick nach vorne gerichtet. Es hätte auch schlimmer ausgehen können. So ähnlich war es auch damals in Dortmund, da hätte es auch anders kommen können. Trotz negativer Erfahrungen gelingt es mir, die positiven Seiten zu erkennen. Und ich denke, wenn man jeweils den Ausgang sieht, dass dies genau die richtige Herangehensweise ist.

Ist das grundsätzlich Ihre Einstellung?

Ginter Es bringt allgemein nichts, sich selbst zu bemitleiden und zu fragen: „Warum passiert das gerade mir?“ Ich bin nicht der Typ, der sich alles schlecht redet. Denn es geht immer schlimmer, und es wird auch nicht besser, wenn man sich selbst runterzieht.

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Foto: dpa/Marius Becker

Haben die beiden Vorfälle etwas in Ihnen verändert?

Ginter Ich war schon immer jemand, dem bewusst war, dass die Gesundheit das Allerwichtigste ist. Wir Fußballer leben oft im Tunnel oder in einer Blase, aber es gibt eben wichtigere Dinge, wie vom Kopf her voll da zu sein und dass es einem körperlich gut geht. Das habe ich immer schon wertgeschätzt. Nach der Verletzung habe ich mir aber auch mal das eine Auge zugehalten und dachte mir, dass ich das auf keinen Fall will. Aber zum Glück ist ja alles gut ausgegangen.

Haben Sie mal darüber nachgedacht, einen Helm zu tragen wie beispielsweise Torhüter Petr Cech?

Ginter Weil die Situation so ein Zufall war und ich denke, dass das nie wieder passiert, habe ich das nicht.

Ohne Maske und ohne Helm, dafür aber mit 33 Punkten aus der Hinrunde starten Sie und Borussia in Leverkusen in die Rückrunde. Was sind Ihre Erwartungen?

Ginter Mit Erwartungen sollte man vorsichtig sein. Sie bringen einem auch nichts. Das Ziel ist aber klar: Wir wollen so weitermachen wie bisher. Und dafür wollen wir versuchen, gut in die Rückserie zu starten. Wir wissen, wie schwer es ohnehin schon ist, dort zu spielen und jetzt, wo die Leverkusener einen neuen Trainer haben, kann es sein, dass sie noch ein paar Prozentpunkte drauflegen. Wir müssen also sofort im Wettkampfmodus sein und unsere beste Leistung abrufen. Wir sind bislang gut damit gefahren, uns immer nur auf das nächste Spiel zu fokussieren. So haben wir im Borussia-Park bislang jedes Spiel gewonnen und auch auswärts gegen starke Mannschaften gut ausgesehen. Der Rest wird sich zeigen.

Die Vorbereitung lief aber nicht ideal.

Ginter Stimmt. Die Testspiele waren nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Beim Telekom-Cup haben wir aber gezeigt, dass wir es können und haben gegen Berlin und Bayern München gute Leistungen geboten, beide Male zu Null gespielt. Grundsätzlich ist die Vorbereitung aber auch nur die Vorbereitung. Im Sommer haben wir auch einige Spiele verloren und sind trotzdem gut in die Hinrunde gestartet. Jetzt kommt die Zeit, in der es zählt, und ich bin optimistisch.

In der letzten Saison schwächelte Borussia nach einer guten Hinrunde.

Ginter Das war damals etwas anders. Denn schon in den letzten Spielen der Hinrunde war der Wurm drin. Da haben wir in Freiburg und Wolfsburg verloren, außerdem im Pokal gegen Leverkusen. Jetzt sind wir aber gefestigter. Die, die damals schon dabei waren, haben nun noch ein Jahr mehr Erfahrung, außerdem haben wir im Sommer super Neuzugänge dazu bekommen. Und jeder hat gemerkt, dass wir nicht mehr so ausrechenbar wie letztes Jahr sind. Deswegen blicke ich dem Rückrundenstart zuversichtlich entgegen und bin mir sicher, dass wir so stabil sind, dass wir nicht mehr einbrechen.

Im neuen System spielen Sie mit fünf Offensiven, dennoch ist es gelungen, die Defensive zu stärken und mit 18 Gegentoren die zweitbeste Abwehr der Liga zu werden.

Ginter (lacht) Mir will das ja nie einer glauben, aber ich sage schon immer, dass alles zusammenhängt. Wir, die Abwehr, das Mittelfeld und der Sturm, greifen zusammen an und verteidigen auch gemeinsam. Nun ist es so, dass wir eine offensivere Grundausrichtung und so mehr Aktionen in der gegnerischen Hälfte haben. Dadurch ist der Ball weiter von unserem Tor entfernt, was uns zugutekommt. Im letzten Jahr war das noch anders, da standen wir deutlich tiefer.

Aber die große Kunst ist, trotz der offensiven Ausrichtung stabil zu sein. Peter Bosz, der nun Trainer bei Bayer Leverkusen ist, war das in Dortmund nicht gelungen.

Ginter Es geht ja auch um die Balance. Wir wollen nicht Harakiri spielen oder kreuz und quer anlaufen und dann sind nur noch wir Verteidiger da, die man mit einem langen Ball überspielen kann. Wir hatten in der Hinrunde ein gutes Gespür dafür, wann wir hoch attackieren können und wann es besser war, etwas tiefer zu stehen.

Sind Sie da einer der Taktgeber?

Ginter Das meiste bekommen wir vom Trainerteam vorgegeben und die Grundprinzipien sind ja auch immer gleich. Jeder weiß in der Theorie, wann die richtige Zeit fürs Pressing ist. Die Aufgabe von uns Führungsspielern ist es, das immer wieder einzufordern. Aber eigentlich weiß jeder, was zu tun ist.

Nach der Hinrunde besteht die große Chance, sich wieder für den Europapokal zu qualifizieren. Ist so etwas entscheidend für Ihre Zukunft?

Ginter Ich denke jetzt nicht an den Sommer, sondern habe nur das Spiel in Leverkusen im Kopf. Ein guter Start ist für uns alle wichtig. Deswegen kann ich jetzt auch nicht sagen, was sein wird, oder welche Auswirkungen etwas haben wird. Grundsätzlich bin ich, wie gesagt, ein Optimist. Und ich denke, dass das Bestmögliche dabei rumkommt.

Aber wäre es nicht auch für Ihre Karriere in der Nationalmannschaft wichtig, im internationalen Wettbewerb zu spielen?

Ginter Jeder Fußballer will international spielen. Wir haben in unserem Kader ein super Potenzial, tolle junge Spieler und gute Neuzugänge. Jeder, der hier schon im Europapokal gespielt hat, will wieder dorthin zurück. Das ist doch klar. Deswegen spielen wir bei Borussia, um das wieder zu schaffen. So geht es auch mir. Ich will wieder unter der Woche und alle drei, vier Tage spielen. Aber es gibt in der Nationalmannschaft auch Spieler, die eine feste Rolle haben und nicht international spielen. Es kommt immer auf die Leistungen im Verein an.

Sehen Sie sich nun als Stammspieler in der Nationalmannschaft?

Ginter Ich habe fünf von sechs Spielen nach der WM gemacht, aber ich sehe mich in erster Linie, auch wenn heutzutage viel über Egos und Einzelspieler diskutiert wird, als Mannschaftsspieler. Ich versuche mich immer als Teil des Teams zu sehen. Jeder will selber spielen, aber wir sollten alle gemeinsam versuchen, den eingeleiteten Umbruch voranzutreiben, damit wir wieder erfolgreich als Nationalmannschaft spielen. Dabei will ich helfen.

Viele Fußballer präsentieren heute ihr Ego vor allem in sozialen Medien.

Ginter Mit dem Weg, den ich bisher gegangen bin, bin ich eigentlich ganz gut gefahren. Es wäre auch nicht authentisch, wenn ich jetzt damit anfangen würde, darauf zu achten, wie ich mich am besten vermarkten und verkaufen kann. Ich sehe mich und uns als Fußballer. Ich will jeden Tag nutzen, um mich zu verbessern. Der Rest kommt dann von alleine – wenn man das denn will. Wenn nicht, lässt man es eben sein, das ist typabhängig.

Also bildet sich eine Marke auf dem Platz?

Ginter Man kann noch so viel posten: Wenn man nicht mehr auf dem Platz steht, ist man früher oder später nicht mehr im Fokus. In erster Linie zählt die Leistung, um weiter voranzukommen. Instagram hat noch keinen zu einem erfolgreichen Fußballer gemacht.

Bei Borussia haben sich aber in diesem Team einige Spieler zu guten Fußballern entwickelt. Ist der nächste Schritt, mehr für Neuzugänge zu investieren, wie man es schon im vergangenen Sommer bei Alassane Plea gemacht hat?

Ginter Es ist ganz normal, dass die Preise immer höher werden und mehr Geld ausgegeben wird. Aber bei uns steckt viel Potenzial in der Mannschaft und wenn wir so zusammenbleiben, kann etwas entstehen. Wichtig ist, sich zuerst als Team zu entwickeln, danach sollte man erst über Neuzugänge reden. Wir haben einen super Kader und man wird sehen, was im Sommer sein wird. Vielleicht verlässt uns auch der eine oder andere Spieler, aber man hat in den letzten Jahren schon gesehen, dass dann sofort ein Top-Ersatz da war. Die Verantwortlichen haben da viel Erfahrung.

Bei Plea hat sich die Investition von 23 Millionen Euro gelohnt.

Ginter Man hat in der letzten Saison gemerkt, dass wir keinen Stoßstürmer hatten, der zehn bis 15 Tore pro Jahr garantiert. Das war ein Puzzleteil, das gefehlt hat. Ich bin sehr froh, dass er jetzt hier ist.

Ihr Vertrag läuft bis 2021, es gibt immer mal Gerüchte, dass Top-Klubs an Ihnen interessiert seien. Gibt es einen Traumverein für Sie?

Ginter Ich bin bei diesem Thema relativ entspannt und bleibe da ganz bei mir. Ich habe aus meiner Freiburger Zeit gelernt, als jede Woche ein neues Gerücht kam und ich jedes Mal darauf geantwortet habe und daraus weitere Geschichten entstanden sind. Allein aus Respekt vor Gladbach gehört es sich nicht, dass ich zu sehr über andere Vereine spreche. Grundsätzlich gibt es viele Eigenschaften, die bei einem Verein passen müssen. Man will spielen, das Umfeld soll stimmen, das Team muss zu einem passen, der Trainer muss auf einen setzen und bestenfalls spielt man europäisch.

Das ist das einzige, was Borussia also noch zum Traumverein fehlt.

Ginter (lacht) Ich bin hier sehr glücklich und habe schon häufig gesagt, dass die Borussia wie meine zweite Heimat geworden ist.

Heute feiern Sie Ihren 25. Geburtstag, herzlichen Glückwunsch dafür. Haben Sie eigentlich einen weiteren Karriereplan?

Ginter In jedem Training und jedem Spiel kann etwas passieren, da bringt einem der tollste Plan nichts, daher habe ich auch keinen. Ich versuche alles, damit es meinem Körper so gut wie möglich geht. Am Donnerstag bin ich beispielsweise noch in meiner Freizeit in die Kältekammer gegangen, weil mir sowas gut tut. So lange es mir Spaß macht und mein Körper das mitmacht, will ich auf möglichst hohem Niveau weitermachen.

Dank Ihres Niveaus hat sich Nico Elvedi auch an Ihrer Seite weiterentwickelt.

Ginter Nico hat wie viele andere in der Hinrunde einen riesigen Schritt gemacht. Er hat super Spiele gezeigt, wir haben zusammen ein blindes Verständnis. Er weiß, was ich mache, ich weiß, was er macht, wir ergänzen uns super. Er ist ein super Innenverteidiger und ich bin froh, mit ihm spielen zu können.

Mit 25 sind Sie also schon Ausbilder?

Ginter (lacht) Ich habe eben mit vielen sehr guten Innenverteidigern gespielt und versuche diese Erfahrungen nun an die jungen Spieler weiterzugeben, egal auf welcher Position sie spielen. Nico und ich sind aber kein Abwehr-Duo, das sich pushen und anschreien muss. Wenn er das gebraucht hätte, hätte ich das aber gemacht. Bei uns reichen aber meist schon Blicke aus.

Elvedi selbst sagt, er hat während Ihrer Verletzung einen großen Schritt gemacht, weil er plötzlich der Abwehrchef war.

Ginter Das kenne ich aus eigener Erfahrung ja auch. Wenn ich in Dortmund neben Mats Hummels oder Sokratis gespielt habe, wusste ich, die übernehmen Verantwortung und sind für mich da. Wenn ich dann mal mit Mikel Merino in der Innenverteidigung gespielt habe, war klar, dass ich das jetzt mache und versuche, ihm zu helfen und immer für ihn da zu sein. Deswegen war es für Nico gut, nun auch mal die andere Seite gesehen zu haben.

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